Wo Tom Hanks draufsteht, ist Unterhaltung und zumindest ein Quäntchen Humanismus drin. Das zieht verlässlich Zuschauer in die Kinos. Da gemeinsame Leinwanderlebnisse noch ein Weile warten müssen, ist Hanks‘ neuer Film in Deutschland nun bei Netflix erschienen. Dabei hat der Western von Regisseur Paul Greengrass durchaus Größeres verdient als den heimischen Bildschirm.
Info
Neues aus der Welt
Regie: Paul Greengrass,
118 Min., USA 2020;
mit: Tom Hanks, Helena Zengel, Michael Angelo Covino
Veteran findet Waisenkind
Hier schlägt sich der ehemalige Hauptmann und im wahrsten Sinne des Wortes abgekämpfte Bürgerkriegsveteran Captain Kidd (Tom Hanks) als Nachrichtenvorleser durch. Im Gepäck hat er mehrere lokale und überregionale Zeitungen; damit tingelt er von Ort zu Ort und liest der zahlungswilligen Dorfbevölkerung Neuigkeiten aus aller Welt vor. Unterwegs findet er ein verwaistes, blondes Mädchen (Helena Zengel, bekannt aus „Systemsprenger“), das offenbar von Indianern des Kiowa-Stammes entführt und aufgezogen wurde.
Offizieller Filmtrailer
Entschleunigung statt Action
Laut ihren Ausweispapieren handelt es sich um eine Deutsche namens Johanna. Der Versuch des Captain, sie den Behörden zu übergeben, misslingt. Nun fühlt er sich verpflichtet, das Mädchen selbst bei ihren Verwandten abzuliefern – auch wenn die lange Reise durch den wilden Süden der USA viele Gefahren birgt. Sie wird zudem überraschend enden.
Seitdem Paul Greengrass bei drei Filmen aus der „Bourne“-Reihe Regie führte, ist der Engländer bekannt als Spezialist für Actionfilme mit etwas Tiefgang. Dagegen setzt er diesmal auf Entschleunigung und nuancierte Charakterzeichnung. In seiner Adaption von Paulette Jiles‘ Roman „News Of The World“ verlässt sich der Regisseur ganz auf seinen Hauptdarsteller. Beide arbeiteten bereits bei „Captain Phillips“ (2013) zusammen, einem actionreichen Doku-Drama über einen Piratenüberfall vor der Küste Somalias.
Kind weckt Begehrlichkeiten
Man merkt dem Captain an, dass er mehr gesehen hat, als ihm lieb ist; seine stoische Miene behält er auch in den wenigen Action-Sequenzen. Nur bei seinen Auftritten als Vorleser wird er zum fesselnden Erzähler. Er berichtet dem Publikum nicht nur vom großen Rest der Welt, sondern muss mitunter politische Kontroversen schlichten. Dabei strahlt er besonnene Weisheit aus; auch in einer brutalen Welt hat er seine Menschlichkeit nicht verloren.
Das Mädchen, dessen er sich annimmt, hat nach sechs Jahren bei Indianern nichts mehr mit der Siedlerwelt zu tun: Es spricht weder seine Muttersprache noch Englisch, hört nur noch auf seinen indianischen Namen „Zikade“, singt immerzu und spricht lieber mit Pferden als mit Weißen. Die haben offenbar ihre Kiowa-Familie umgebracht. Das doppelt verwaiste Kind ruft nicht nur Irritationen hervor, sondern weckt zudem Begehrlichkeiten bei zwielichtigen Gestalten. Ihrem in die Jahre gekommenen Beschützer verlangt das einiges ab.
Panorama einer erschütterten Gesellschaft
Die Begegnung der beiden ganz unterschiedlichen Außenseiter wird eingebettet in ein Panorama der Gesellschaft im Wüstenstaat Texas. Sie ist durch den Bürgerkrieg schwer gezeichnet und traumatisiert – alle Bewohner hegen enormen Hass auf die Obrigkeit; vor allem auf die Truppen aus den Nordstaaten, die als Besatzer empfunden werden. Darin kann man durchaus Bezüge zur gegenwärtigen Spaltung der USA erkennen.
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Captain Phillips" – Dokudrama über Piraten-Kidnapping in Somalia von Paul Greengrass mit Tom Hanks und hier ein Bericht über den Film "Systemsprenger" - mit acht Deutschen Filmpreisen prämiertes Jugend-Drama mit Helena Zengel von Nora Fingscheidt und hier eine Besprechung des Films "The Homesman" - aufwühlend realistischer Western von und mit Tommy Lee Jones. Hintergrund
Konventionell inszeniert
Visuell bietet der Film großes Kino, gefällig inszeniert. Die Kamera weidet sich an den endlosen Weiten der Prärie und den Gesichtern der Protagonisten; der altmodisch orchestrale Soundtrack tut sein übriges. Wie zu John Waynes Zeiten haftet kein Staubkorn an den Kleidern; es erschließt sich auch nicht, warum jeder Strauchdieb über tadellos weiße Zähne verfügt.
Solche Details stören das authentische Bild, das Greengrass zu malen versucht. Zudem wirken die zwei Stunden inhaltlich etwas überfrachtet. Das natürliche Zusammenspiel der Hauptfiguren wiegt diese Schwächen jedoch auf. Die beiden entwickeln im Verlauf der Reise nicht nur eine Art gemeinsame Sprache, sondern ein tiefes Verständnis füreinander – und führen wieder einmal vor, dass Wahlverwandtschaften oft die bessere Option sind.