Byambasuren Davaa

Die Adern der Welt

Amra (Bat-Ireedui Batmunkhw) und Erdene (Yalalt Namsrai) beten am Baum. Foto: Pandora Film
(Kinostart: 29.7.) Öko-Krimi in der Mongolei: Ein Vater will den Vormarsch von Bergbau-Baggern stoppen, sein Sohn in einer Talent-Show singen. Regisseurin Byambasuren Davaa erzählt ihre Globalisierungs-Story facettenreich und frei von Polit- oder Ethno-Kitsch.

Mittelasiatische Filme über die Weiten zwischen Kaspischem Meer und Kamtschatka kommen nur noch selten in deutsche Kinos. Liegt es an allgemeiner Re-Provinzialisierung des Kulturbetriebs, dem neue Ideen und Konzepte von Migranten zugetragen werden müssen? Oder daran, dass diese Weltgegend inzwischen pauschal dem Einflussbereich Chinas und seiner brachialen Turbomodernisierung zugeschlagen wird?

 

Info

 

Die Adern der Welt

 

Regie: Byambasuren Davaa,

95 Min., Mongolei/ Deutschland 2020;

mit: Bat-Ireedui Batmunkh, Enerel Tumen, Yalalt Namsrai

 

Website zum Film

 

Vor zwei Jahrzehnten war das jedenfalls noch anders: Im Zuge der Wiederentdeckung des Ostens nach dem Ende des Kalten Kriegs füllten sich auf der Autorenfilm-Landkarte weiße Flecken wie Kasachstan, Kirgistan oder die Mongolei mit Farben. Während dieser kurzen Welle ging als höchste Auszeichnung 2007 der Goldene Bär an den chinesischen Regisseur Wang Quan’an: sein Film „Tuyas Hochzeit“ spielt in der Inneren Mongolei.

 

Vordiplomfilm mit Oscar-Nominierung

 

Vier Jahre zuvor hatte die mongolische Regisseurin Byambasuren Davaa einen Überraschungshit gelandet. Ihr märchenhafter Dokumentarfilm „Die Geschichte vom weinenden Kamel“, den sie mit Luigi Falorni für ihr Vordiplom an der Filmhochschule gedreht hatte, wurde in 60 Ländern gezeigt und für einen Oscar nominiert. Auch die folgenden Dokus „Die Höhle des gelben Hundes“ (2005) und „Das Lied von den zwei Pferden“ (2009) waren Achtungserfolge. Danach legte Davaa eine längere Pause ein.

Offizieller Filmtrailer


 

Goldkehle für „Mongolia’s Got Talent“

 

Nun kehrt die Regisseurin mit ihrem ersten Spielfilm „Die Adern der Welt“ ins Kino zurück. Erneut siedelt sie ihn in ihrer mongolischen Heimat an. Doch erstmals präsentiert Davaa nicht nur althergebrachte Lebensformen in malerischen Landschaften, sondern zeigt, wie bedroht beide sind: durch rücksichtslose Ausbeutung von Bodenschätzen. Allerdings nicht mit einer simplen Konfrontation von Tradition und Moderne, sondern einer einfach konstruierten, aber facettenreichen Fabel.

 

Der zwölfjährige Amra (Bat-Ireedui Batmunkh) lebt mit seiner Familie in der Steppe; sie sind Nomaden. Vater Zaya (Enerel Tumen) bringt ihn täglich mit seinem selbstgebauten Cabrio in die Schule. Mutter Erdene (Yalalt Namsrai) kümmert sich um die Schafherde und stellt Käse her, den Zaya auf dem Markt verkauft. Amra träumt davon, beim TV-Gesangswettbewerb „Mongolia’s Got Talent“ in der Hauptstadt Ulaanbataar aufzutreten, und hofft auf die Erlaubnis seines Vaters.

 

Zum Goldschürfen Schule schwänzen

 

Zaya hat andere Sorgen: Internationale Bergbau-Firmen erwerben immer mehr Schürfrechte für Goldminen und vertreiben die Nomaden aus ihren Weidegebieten. Bei einer Versammlung in seiner Jurte will Zaya kollektiven Widerstand dagegen organisieren. Doch es stellt sich heraus, dass die meisten Hirten bereits ihr Land für geringe Summen verkauft haben und fortziehen wollen. Kurz nach dieser Blamage stirbt er bei einem Autounfall.

 

Amra fühlt sich daran schuldig. Um seiner Mutter zu helfen, heuert er bei einer Truppe illegaler Schürfer an, die auf eigene Faust mit primitiven Mitteln nach Gold sucht. Während Erdene glaubt, Amra verdiene Geld mit Käse-Verkauf, schwänzt der Junge die Schule, um unter Tage zu graben. Als das auffliegt, besänftigt ihn nur die Aussicht, auf der Bühne singen zu dürfen. Und voilà: Der Film klingt mit seinem Vortrag des titelgebenden Lieds aus, während eine Bergwerks-Mondlandschaft aus der Vogelschau zu sehen ist.

 

Gewitzt Spielräume ausschöpfen

 

Dieser Zusammenstoß der Zivilisationen ist unvermeidlich: In kaum einer anderen Weltregion prallen archaische Lebensweisen und rabiate Industrialisierung nach sowjetischem Vorbild so krass aufeinander – auch wenn die Kombinate mittlerweile von börsennotierten Konzernen abgelöst worden sind.

 

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Eine größere Welt" - gelungenes Porträt einer Schamanin in der Mongolei von Fabienne Berthaud mit Cécile de France

 

und hier eine Besprechung des Films "Nomaden des Himmels" – Porträt von Pferdezüchtern in Kirgistan von Mirlan Abdykalykov

 

und hier einen Bericht über den Film "Der letzte Wolf (3D)" – Bestseller-Verfilmung aus der chinesischen Mongolei als Systemkritik im Wolfspelz von Jean-Jacques Annaud.

 

Wer unterliegt, scheint klar. Doch Davaas Protagonisten lassen sich nicht ohnmächtig beiseite schieben, sondern schöpfen gewitzt ihre Spielräume aus. Sie reparieren so findig schrottreife Autos, wie sie in einsamen Jurten ihr Leben mit Smartphones organisieren.

 

Fein abgestimmter Genre-Mix

 

Dabei zeichnet die Regisseurin alle Akteure ambivalent: Keiner ist frei von egoistischen Motiven, und doch verweigert sich niemand elementarer Solidarität. Ebenso ist die Bildsprache: Die Kamera schwelgt in kargen Tableaus und taucht zugleich ins familiäre Jurten-Treibhaus ein.

 

Dieses Land ist zu leer, als dass die wenigen dort lebenden Menschen einander ignorieren könnten. Dazu passt, dass ein Zwölfjähriger die Hauptrolle spielt – so zielstrebig wie ein Erwachsener. Die fein abgestimmte Mischung aus Coming of Age, ethnologischer Studie, Familiendrama und Öko-Krimi macht den anrührenden Reiz dieses Films für alle Generationen aus – er ist keineswegs nur ein Jugendfilm.