Tarzan und Arab Nasser

Gaza Mon Amour

Siham (Hiam Abbass) und Issa (Salim Dau). Foto: Alamode Film
(Kinostart: 22.7.) Der Gott Apollo, der Fischer Issa und die Näherin Siham: Tarzan und Arab Nasser zeigen in ihrer Liebesgeschichte aus Gaza das Leben realistisch, aber ohne sensationsheischende Konfliktberichterstattung.

Ein ganz besonderer Fang verändert das Leben des in die Jahre gekommenen palästinensischen Fischers Issa (Salim Daw), als er vor Gaza in der Fünf-Kilometer-Zone, die er mit seinem Boot befahren darf, eine Statue des griechischen Gottes Apollon aus dem Meer zieht: Der Gott hat ein deutlich erigiertes Glied – und Issas eigene, seit langem versiegte Libido meldet sich zurück. Sie beschert ihm von nun an feuchte Träume und erinnert ihn daran, dass es nie zu spät ist, nach dem Glück zu streben.

 

Info

 

Gaza Mon Amour

 

Regie: Tarzan und Arab Nasser,

87 Min., Frankreich/ Palästina/ Deutschland/ Portugal 2020;

mit: Salim Daw, Hiam Abbass, Maisa Abd Elhadi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die Zwillingsbrüder Tarzan und Arab Nasser, für Buch und Regie in ihrem zweiten abendfüllenden Film verantwortlich, zeigen die Stadt in blaugrauen Bildern – als eine Welt, die in alle Richtungen abgeriegelt und begrenzt ist. Mangel, Stromrationierung und Checkpoints prägen die Normalität. Ihre Nahaufnahmen aus dem Alltag eines Ensembles von Einwohnern gehen über das vielfach verbreitete Stereotyp von Gaza als größtem Freiluftgefängnis der Welt hinaus.

 

Lethargie und Gängelung

 

Die Figuren des Films haben sich irgendwie zwischen zu wenig Verdienst und zu vielen Rechnungen eingerichtet. Die größte Hoffnung liegt aber gerade für die Jüngeren darin, irgendwann aus der Lethargie des Ortes und der Gängelung durch korrupte Behörden auszubrechen. Ihr Traum ist es, sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen – weit weg von „der Scheiße“, in die Issas Generation sie geritten hat, wie es ein befreundeter Ladenbesitzer für ihn zusammenfasst.

Offizieller Filmtrailer


 

Sihams heimlicher Verehrer

 

Issa hingegen weiß, dass seine Zukunft genau hier liegt, wo er schon immer zu Hause war. Statt wegzugehen, will er die Witwe Siham (Hiam Abbass) für sich gewinnen. Sie lebt mit ihrer geschiedenen Tochter zusammen und ist Näherin in einem Geschäft in der Nähe des Marktes, auf dem Issa tagsüber die Fische verkauft, die er nachts angelt. Insgeheim ist Issa in die zunächst wenig nahbar wirkende Frau verliebt.

 

Beflügelt durch die Ankunft des antiken Gottes will er sich nun ein Herz fassen und Siham bitten, seine Frau zu werden. Bereits die Vorstellung davon reicht aus, seinen Tagesablauf in eine Folge von kleinen Freuden zu verwandeln. Als die Zeit gekommen ist, trägt Issa eine große Menge Parfüm auf und macht sich auf den Weg, seinen Antrag zu stellen.

 

Statt Antrag Gefängnis

 

Apollon, der Deus ex Machina aus dem Meer, hat gleichzeitig einen parallelen Strang der Erzählung in Gang gesetzt: Die Verwaltung der Autonomiebehörde hat Wind von Issas Fang bekommen – und lässt die Statue kurzerhand in seiner Wohnung beschlagnahmen. Aber Issa zeigt sich renitent und weigert sich zu kooperieren – so landet er im Gefängnis, noch bevor er die Geliebte erreicht.

 

Allerdings hat der schelmenhafte Protagonist im Lauf seines Lebens als Junggeselle genügend sturen Eigensinn entwickelt, um sich auf seinem Weg nicht beirren zu lassen – weder von der Einmischung seiner Schwester noch durch Übergriffe der Obrigkeit. Selbst in die Gemeinschaftszelle verfolgen ihn seine erotischen Träume, und mit unerschütterlicher Entschlossenheit hält er an seinem Willen zur Verwirklichung seines Liebesglücks fest.

 

Menschsein in Gaza

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Renzension des Films "Vom Gießen des Zitronenbaums" - skurril-manirierte Episoden-Tragikomödie von und mit dem palästinensischen Filmemacher Elia Suleiman

 

und hier eine Besprechung des Films "Bethlehem" – brillanter Spionage-Thriller im Nahostkonflikt von Yuval Adler

 

und hier ein Beitrag über den Film "Das Schwein von Gaza" – Tragikomödie über Viehzucht im Gaza-Streifen von Sylvain Estibal

 

Über weite Strecken wird der Film zur Feier eigenbrötlerischen Menschseins unter schwierigen Umständen, getragen von seinen liebenswert skurrilen Hauptfiguren. Eigenwilliger Humor mit glaubhaft in Szene gesetzten Marotten sowie die realistische Zeichnung der Lebensumstände in Gaza bewahren ihn davor, in den Kitsch manch romantischer Komödie abzugleiten.

 

Allerdings ist der satirisch angelegte Nebenstrang, der den Umgang der Mächtigen der Autonomiebehörde mit der wertvollen antiken Statur schildert und auf wahren Begebenheiten beruhen soll, etwas sehr einfach, um nicht zu sagen: platt geraten. Zudem verbinden sich die beiden Handlungsstränge nicht zu einem stringenten Plot, der die Entwicklung der Charaktere überzeugend darstellen könnte.

 

Hier wäre mehr Drehbucharbeit gefragt gewesen. Vor allem hätte der interessante, aber wenig auserzählte Charakter der Siham deutlich mehr Gewicht erhalten sollen – insbesondere, weil sie mit Hiam Abbass von einer der überzeugendsten Schauspielerinnen der Region verkörpert wird. Insgesamt aber ist „Gaza Mon Amour“ ein in den Grundzügen gelungener und in großen Teilen einnehmender Film aus einer Weltgegend, die dem Publikum hierzulande fast ausschließlich durch sensationsheischende Konfliktberichterstattung vor Augen tritt.