Es war ein Täuschungsskandal mit Ansage, der Mitte der Nuller Jahre die Literaturwelt erschütterte: Eine bereitwillige Öffentlichkeit hatte sich von Laura Albert (Laura Dern) gewaltig an der Nase herumführen lassen. Als Jeremiah „Terminator“ – JT – LeRoy veröffentlichte die Autorin vermeintlich autobiographische Einblicke in die Lebenswelt eines drogensüchtigen, minderjährigen Strichers – ohne kenntlich zu machen, dass es sich bei LeRoy um ein Pseudonym handelte.
Info
Zu schön um wahr zu sein -
Die JT LeRoy Story
Regie: Justin Kelly,
108 Min., USA 2018;
mit: Kristen Stewart, Diane Kruger, Laura Dern
Weitere Informationen zum Film
Wo ist LeRoy?
Bis dato war Albert gar nicht als Schriftstellerin in Erscheinung getreten; als Sexpertin „Laura Victoria“ war sie immerhin zu einer gewissen Bekanntheit gekommen. Der veritable Hype um ihr Debüt „Sarah“ (2000) und die Kurzgeschichtensammlung „The Heart is Deceitful Above All Things“ (2001) – auf deutsch als „Jeremiah“ veröffentlicht – wurde noch dadurch angefacht, dass LeRoy nicht öffentlich auftrat, angeblich wegen seiner Angst vor der Bühne. Interviews gab der neue Stern am Literaturhimmel nur telefonisch oder per e-Mail.
Offizieller Filmtrailer
Sonnenbrille und Perücke
Jedoch stieg der Druck, dass sich das Enigma endlich der neugierigen Öffentlichkeit präsentieren solle. Und so engagierte Albert ihre Schwägerin Savannah Knoop (Kristen Stewart), die fünf Jahre lang mit Perücke und Sonnenbrille den jungen Mann verkörperte – während Albert selbst LeRoys überkandidelte Agentin Speedy gab. 2005 flog der Schwindel auf.
Zwei Dokumentarfilme haben den Fall bereits ausgeleuchtet: Marjorie Sturms „The Cult of JT LeRoy“ (2015) und „Author: The JT LeRoy Story“ (2016) von Jeff Feuerzeig. In dieser bizarren Geschichte steckt viel Diskussionswertes, das sich in fiktionalisierter Form vielleicht noch besser darstellen ließe: Worin genau besteht hier der Betrug? Was macht eine als „echt“ wahrgenommene Stimme aus? Ist Authentizität in der medialen Vermittlung nicht immer konstruiert? Regisseur Justin Kelly hat die Geschichte nun in einem Spielfilm gepackt: „Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story“.
Leroy, der Avatar
Wäre die öffentliche Empörung vielleicht weniger groß gewesen, wenn ein Mann in die Haut des J. T. LeRoy geschlüpft wäre? Die Identitätsfragen, die in der Geschichte stecken, würden in unserer genderfluideren Gegenwart vermutlich anders diskutiert, als das noch vor anderthalb Jahrzehnten der Fall war, als die Täuschung aufflog.
Albert erklärte nach der Enttarnung durch die Presse, sie hätte LeRoy einst erfunden, um bei einer Krisen-Hotline besser über ihre Missbrauchserfahrungen reden zu können – ein Therapeut habe ihr dann geraten, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Albert betrachtet LeRoy als realen Teil ihrer selbst; sie nannte ihn ihren „Avatar“. Erhellend wäre, wenn der Film einen Eindruck ihrer Prosa vermittelte, die die Öffentlichkeit seinerzeit so begeisterte. Davon bekommt man im Film wenig mit – man muss dieses Vorwissen schon mitbringen. So bleibt für den Zuschauer der Kern der Geschichte vage.
Kein Vergnügen als Mann
Anders als bei den Dokus steht bei Kelly nicht Albert im Fokus, sondern die LeRoy-Darstellerin Knoop; er zeigt ihre Perspektive, angelehnt an ihre Memoiren „Girl Boy Girl: How I Became JT LeRoy“ (2008). Knoop, die sich schon vor dem Rollentausch ihre Kurven weghungerte und die Brüste abband, hatte durchaus Spaß daran, sich als Mann in Szene zu setzen – ein Vergnügen, das sich in Kellys Film allerdings kaum vermittelt. Stewarts LeRoy schleicht meist wie ein geprügelter Hund umher.
Hintergrund
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Verschenktes Potential
Blutleer bleibt auch das angedeutete Techtelmechtel zwischen Knoop alias LeRoy und der Regisseurin Eva (Diane Kruger). Diese Figur ist offenbar an die Regisseurin und Schauspielerin Asia Argento angelehnt, die „The Heart Is Deceitful Above All Things“ 2004 als dunkle Trailer-Trash-Geschichte verfilmte. Sie täuscht hier große Gefühle vor, um an die Verfilmungsrechte zu gelangen – und bricht Knoop, die sich zunehmend mit ihrem Alias identifiziert, das Herz.
Der hochkarätig besetzte Film schlägt am ehesten Funken, wenn sich die beiden zentralen Protagonistinnen aneinander reiben, wenn die Spannungen zwischen ihnen hochkochen – etwa, als Knoop findet, dass LeRoy jetzt auch ihr gehört: immerhin leiht sie ihm ihren Körper. In solchen Momenten bekommt man eine Ahnung, was in der Geschichte steckt – und was Kelly mit seiner unentschiedenen Verfilmung an Potenzial verschenkt.