Franco Maresco

Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war

Letizia Battaglia fotografiert bei einer Demonstration. Foto: missingFILMs
(Kinostart: 26.8.) ... das, was sie mal war: organisiertes Verbrechen als Billig-Show. Regisseur Franco Maresco beobachtet die Doppelmoral auf Sizilien gegenüber der Mafia. Seine Doku glänzt mit schrägen Typen, miesen Musikern und einer Schlagerparade des Grauens.

Der Cavaliere und die Mafia-Clans: 2014 untersuchte Regisseur Franco Maresco in „Belluscone“, warum seine sizilianischen Landsleute den erzkorrupten Medienmogul und vierfachen Regierungschef Silvio Berlusconi unverhohlen bewundern. Der Film unterhielt und entsetzte gleichzeitig mit einem für politische Dokus ungewöhnlichen Mix aus flotten Off-Kommentaren, entlarvenden Schnitten und satirischen Untertönen.

 

Info

 

Die Mafia ist auch nicht mehr das,
was sie mal war

 

Regie: Franco Maresco,

105 Min., Italien 2019;

mit: Letizia Battaglia, Ciccio Mira, Matteo Mannino

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die – abgesehen von Berlusconi – schillerndste Figur in diesem Film war der windige Entertainer Ciccio Mira: Er veranstaltete außer einer TV-Show in einem lokalen Sender auch Straßenfeste mit einer Art neapolitanischen Schlagerrevue des Grauens, um Berlusconi zu unterstützen. Mit beiden gibt es in Marescos neuem Film „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ ein Wiedersehen. Berlusconi taucht allerdings nur kurz auf, als Mischung aus Schaufenster-Mannequin und Heiligen-Ikone.

 

Straßenfest im Sozialbau-Ghetto

 

Dagegen wird Ciccio Mira diesmal besonders viel Platz eingeräumt, denn er führt exemplarisch vor, was Maresco am Herzen liegt. Er will zeigen, welchen Einfluss die Cosa Nostra im Palermo des Jahres 2017 immer noch hat – 25 Jahre nach der Ermordung der Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Zum Gedenken an die beiden Mafiajäger will Ciccio Mira in der berüchtigten Neubausiedlung „Zona Espansione Nord“ (ZEN) von Palermo ein Straßenfest ausrichten.

Offizieller Filmtrailer


 

Weder Talent noch Sinn für Ironie

 

Bei den Vorbereitungen begleitet ihn Maresco mit der Kamera und bohrenden Fragen, die Ciccio mehr oder weniger schlagfertig an sich abgleiten lässt. Derweil werden wir Zeugen der Proben von verkrachten Musikern, alternden Tänzerinnen und selbsternannten Sängern; sie sind allesamt so frei von Talent wie von Sinn für Ironie. Keiner von ihnen lässt sich dazu überreden, vor laufender Kamera „Nein zur Mafia“ zu sagen. Auch Miras „Produzent“ Matteo Mannino weigert sich beharrlich, gegen das organisierte Verbrechen Stellung zu beziehen.

 

Warum also diese Farce? Mit ihrem opportunistischen Verhalten spielt Miras Truppe dem Regisseur in die Hände, der veranschaulichen will, dass bloße Lippenbekenntnisse nichts mit Zivilcourage zu tun haben. Mira hat Feste für Berlusconi ausgerichtet, natürlich auch für die Cosa Nostra. Warum sollte er sich nicht nun aus öffentlichen Kulturtöpfen bedienen, um die Mafiajäger zu ehren, die in Italien den Status von Nationalhelden genießen?

 

Foto-Kämpferin gegen die Mafia

 

Als moralischen Gegenpol bringt Maresco eine andere Figur ins Spiel. Die Fotografin Letizia Battaglia hat sich dem zivilgesellschaftlichen Kampf gegen das organisierten Verbrechen verschrieben; ihre enzyklopädische Bilddokumentation der Mafia-Gewalttaten machte sie international bekannt. Schon die Eröffnungsszene zeigt deutlich ihren Charakter: knallhart, humorvoll, unbestechlich und nie um eine Obszönität verlegen.

 

Battaglia ist fassungslos, dass die Erinnerung an ihre Mitstreiter Falcone und Borsellino nach 25 Jahren zum inhaltsleeren Spektakel verkommen ist. Doch sie glaubt immer noch an einen möglichen Wandel und hält den Filmemacher für einen „Scheiß-Skeptiker“. Der führt ihr seinerseits vor, dass „die einfachen Leute“ heutzutage nichts von Falcone und Borsellino halten, und was Ciccio Mira in der Zwischenzeit mit seiner pseudoneapolitanischen Gurkentruppe auf die Beine gestellt hat. Das ist ziemlich absurd.

 

Real oder mockumentary?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Il Traditore –Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra" - grandioses Anti-Mafia-Epos von Marco Bellocchio

 

und hier einen Berechnung des Films "Paranza – Der Clan der Kinder" – fesselndes Dokudrama über Teenie-Mafiosi in Neapel von Claudio Giovannesi

 

und hier eine Kritik des Films "Loro – Die Verführten" – monumentales Biopic über Silvio Berlusconi von Paolo Sorrentino

 

und hier einen Beitrag über den Film "Dogman" – düstere Mafia-Parabel in Süditalien von Matteo Garrone

 

und hier einen Bericht über den Film "Das Land der Heiligen – La Terra dei Santi" – origineller Film über die italienische Mafia aus Frauensicht von Fernando Muraca

 

Zumal der Regisseur geradezu vernarrt in Mira ist und dies mit allen Mitteln akzentuiert: Immer wenn dessen Schädel ins Bild gerät, entfärbt sich dieses zu Schwarzweiß. Genüsslich hakt Maresco nach, wenn Mira sich im Interview widerspricht oder Fremdwörter verwechselt. Seine mehrfach offensichtliche Geistesschwäche wird vom Regisseur zusätzlich in beißenden Off-Kommentaren bloßgestellt.

 

Dabei personifiziert dieser Schmieren-Impresario das ganze Elend der sizilianischen Gesellschaft: ihre verdruckste Ergebenheit gegenüber dem organisierten Verbrechen und ihr stilles, als ehrenvolle „omertà“ („Schweigen“) verbrämtes Einverständnis mit der Mafia. Diese Verlogenheit wirkt so grotesk, dass die Frage im Raum steht: Ist Ciccio Mira echt oder eine Kunstfigur, die durch Überspitzung entlarven soll? Dann wäre der Film ein mockumentary.

 

Windbeutel für die Paten

 

Für letzteres sprechen – womöglich absichtlich – einige Einstellungen. Zudem hält die mit großartiger Musik unterlegte Montage alles ständig in der Schwebe der Ungewissheit. Mafia-Mitglieder kommt im Film übrigens kaum vor. Nur ein Laufbursche wird aus sicherer Distanz gefilmt, als er Miras Truppe auf dem „Höhepunkt“ des Straßenfestes ausrichtet, sie sollten jetzt lieber Schluss machen mit dem Theater.

 

Das bestätigt freilich Marescos Titel-These: Wenn die Cosa Nostra sich inzwischen mit Windbeuteln wie Mira und Mannino abgibt, dann ist sie wirklich nicht mehr das, was sie früher einmal war. Bewusst unbestimmbar zwischen Inszenierung und Fallstudie, Opera buffa und trauriger Wahrheit gehalten, vermittelt der Film noch eine zweite Botschaft: Lasst euch nicht täuschen.