
Auch in langjährigen Freundschaften und Beziehungen gibt es mitunter flüchtige Augenblicke der Fremdheit, in denen man sich fragt, ob einem nicht ein entscheidender Puzzlestein zum Verständnis des Anderen fehlt. Behält doch jeder Mensch ein paar Geheimnisse für sich; meist das ist auch in Ordnung. Doch im schlimmsten Fall haben solche Heimlichkeiten die Explosivität einer Bombe. Hinterher fragt sich der oder die Betroffene: Hätte ich es nicht vorher sehen müssen? Waren die Anzeichen nicht klar? Warum war ich dafür blind?
Info
Die Welt wird eine andere sein
Regie: Anne Zohra Berrache,
119 Min., Deutschland/ Frankreich 2021;
mit: Canan Kir, Roger Azar, Jana Julia Roth
Weitere Informationen zum Film
Mutiger Traum-Kommilitone
Ihr Leben wird noch komplizierter, als sie den libanesischen Kommilitonen Saeed (Roger Azar) kennenlernt. Der gut aussehende Charismatiker nimmt sie durch seine Unerschrockenheit und Spontaneität sofort für sich ein. Der Anfang ihrer Liebe ist traumhaft, doch bald ziehen Wolken am Horizont auf.
Offizieller Filmtrailer
Beide führen Doppelleben
Aslıs Mutter (Özay Fecht) ist strikt gegen ihre Beziehung zu einem „Araber“; die arabisch-türkischen Gräben sind tiefer als der gemeinsame islamische Glaube. Sehr zu Saeeds Ärger verheimlicht Aslı fortan die Beziehung zu ihm vor ihrer Familie – sogar ihre Hochzeit. Doch nicht nur Aslı führt ein Doppelleben. Auch Saeed verändert sich zusehends: Er wechselt das Studienfach. Religion wird für ihn wichtiger, seine Ansichten werden radikaler. Außerdem lässt er sich einen Bart stehen; eines Tages verschwindet er ohne Erklärung für mehrere Monate in den Jemen.
Diese Ehe ist ein beständiges Auseinanderdriften und doch wieder Zusammenkommen. Hauptsächlich scheint Aslı und Saeed zu verbinden, dass sie einander einen Strohhalm zum Festhalten bieten. Dabei imaginieren beide eine Liebe, die längst keine reale Substanz mehr hat. Erneut bricht Saeed auf, diesmal Richtung Florida, um dort seinen Pilotenschein zu machen.
Gattin wusste nichts von Attentatsplan
Worauf das hinauslaufen wird, ist zu diesem Zeitpunkt für den Zuschauer längst klar, doch es geht Regisseurin Anne Zohra Berrached nicht um Überraschungseffekte. Die Handlung beruht lose auf dem Leben von Ziad Samir Jarrah, einem der Attentäter des 11. Septembers 2001. Das von ihm entführte Flugzeug zerschellte auf einem Feld in Pennsylvania – alle Insassen starben.
Hintergrund
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Der Terrorist als Sunnyboy
Der Film wird allein aus Aslıs Perspektive erzählt. Es ist die Sicht einer Liebenden, die nicht zu genau hinschauen will, um ihre Beziehung zu schützen. Verbissen klammert sie sich an deren schöne Seiten; das ist nur allzu menschlich. Was hingegen den aus wohlhabendem, modern orientiertem Hause stammenden Libanesen zu seinem monströsen Verbrechen motiviert, bleibt vage und schemenhaft; am ehesten offenbar eine recht diffuse Wut auf die westliche Welt.
Irgendwann scheint Saeed so verstrickt in seine geheimen Netzwerke zu sein, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt. Ihm verleiht Schauspieler Roger Azar eine Ausstrahlung, die nur schwer mit seiner Tat in Einklang zu bringen ist. Man fragt sich unwillkürlich, ob Terroristen so sympathisch dargestellt werden dürfen.
Kammerspielhafte Intensität
„Ich möchte Filme machen, die nicht mit Antworten enden, sondern den Zuschauer mit Fragen entlassen“, kommentiert Anne Zohra Berrached, selbst Tochter einer Deutschen und eines Algeriers. Das ist der Regisseurin zweifellos gelungen, wie auch schon im Vorgängerfilm „24 Wochen“ (2016). Dieses Porträt eines Paares, das mit der Frage ringt, ob es einen behinderten Fötus abtreiben soll, hat zwar ein ganz anderes Thema, wird aber von einer ähnlich kammerspielhaften Intensität getragen.