Anne Zohra Berrached

Die Welt wird eine andere sein

Der Traum vom Fliegen: Es beginnt als übermütiges Spiel der beiden Verliebten - Asli (Canan Kir) und Saeed (Roger Azar). Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 12.8.) Der Verbrecher im eigenen Bett: Regisseurin Anne Zohra Berrached zeichnet eine Liebesbeziehung nach, die an Doppelleben zerbricht – aber nicht an Ehebruch, sondern an Terror, der die Welt erschüttert. Auf manche Fragen gibt es keine Antworten.

Auch in langjährigen Freundschaften und Beziehungen gibt es mitunter flüchtige Augenblicke der Fremdheit, in denen man sich fragt, ob einem nicht ein entscheidender Puzzlestein zum Verständnis des Anderen fehlt. Behält doch jeder Mensch ein paar Geheimnisse für sich; meist das ist auch in Ordnung. Doch im schlimmsten Fall haben solche Heimlichkeiten die Explosivität einer Bombe. Hinterher fragt sich der oder die Betroffene: Hätte ich es nicht vorher sehen müssen? Waren die Anzeichen nicht klar? Warum war ich dafür blind?

 

Info

 

Die Welt wird eine andere sein

 

Regie: Anne Zohra Berrache,

119 Min., Deutschland/ Frankreich 2021;

mit: Canan Kir, Roger Azar, Jana Julia Roth

 

Weitere Informationen zum Film

 

So ergeht es am Ende der jungen Aslı (Canan Kir) mit ihrem Liebsten Saeed. Sie ist eine junge Deutsch-Türkin, die gegen den Widerstand ihrer traditionell denkenden Mutter Mitte der 1990er Jahre Medizin studiert. Eine charakterstarke, wenn auch etwas naive junge Frau, die mühsam zwischen den Anforderungen ihrer verschiedenen Lebenssphären navigiert: Sowohl als türkische Tochter als auch als deutsche Studentin reibt sie sich ständig an den Erwartungen Anderer.

 

Mutiger Traum-Kommilitone

 

Ihr Leben wird noch komplizierter, als sie den libanesischen Kommilitonen Saeed (Roger Azar) kennenlernt. Der gut aussehende Charismatiker nimmt sie durch seine Unerschrockenheit und Spontaneität sofort für sich ein. Der Anfang ihrer Liebe ist traumhaft, doch bald ziehen Wolken am Horizont auf.

Offizieller Filmtrailer


 

Beide führen Doppelleben

 

Aslıs Mutter (Özay Fecht) ist strikt gegen ihre Beziehung zu einem „Araber“; die arabisch-türkischen Gräben sind tiefer als der gemeinsame islamische Glaube. Sehr zu Saeeds Ärger verheimlicht Aslı fortan die Beziehung zu ihm vor ihrer Familie – sogar ihre Hochzeit. Doch nicht nur Aslı führt ein Doppelleben. Auch Saeed verändert sich zusehends: Er wechselt das Studienfach. Religion wird für ihn wichtiger, seine Ansichten werden radikaler. Außerdem lässt er sich einen Bart stehen; eines Tages verschwindet er ohne Erklärung für mehrere Monate in den Jemen.

 

Diese Ehe ist ein beständiges Auseinanderdriften und doch wieder Zusammenkommen. Hauptsächlich scheint Aslı und Saeed zu verbinden, dass sie einander einen Strohhalm zum Festhalten bieten. Dabei imaginieren beide eine Liebe, die längst keine reale Substanz mehr hat. Erneut bricht Saeed auf, diesmal Richtung Florida, um dort seinen Pilotenschein zu machen.

 

Gattin wusste nichts von Attentatsplan

 

Worauf das hinauslaufen wird, ist zu diesem Zeitpunkt für den Zuschauer längst klar, doch es geht Regisseurin Anne Zohra Berrached nicht um Überraschungseffekte. Die Handlung beruht lose auf dem Leben von Ziad Samir Jarrah, einem der Attentäter des 11. Septembers 2001. Das von ihm entführte Flugzeug zerschellte auf einem Feld in Pennsylvania – alle Insassen starben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "24 Wochen" – beeindruckendes Abtreibungs-Drama von Anne Zohra Berrached

 

und hier ein Interview "Ich habe selbst abgetrieben" mit Regisseurin Anne Zohra Berrached zum Film "24 Wochen"

 

und hier einen Beitrag über den Film "In the Darkroom" – fesselnde Doku über die Ex-Ehefrau des Terroristen Carlos von Nadav Schirman

 

und hier einen Bericht über den Film "Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats" - aufschlussreiche Doku über eine Dschihadisten-Familie in Syrien von Talal Derki

 

und hier eine Besprechung des Films "The Green Prince" – faszinierende Doku über den abtrünnigen Sohn eines Hamas-Chefs von Nadav Schirman.

 

Von den Anschlagsplänen hatte seine in Deutschland lebende Frau nach eigener Aussage nichts gewusst. Vermutlich wird Aslı lebenslang von Fragen verfolgt werden, auf die es keine Antworten gibt. Wie sie nach einer solchen Desillusionierung weiter leben kann, bleibt offen.

 

Der Terrorist als Sunnyboy

 

Der Film wird allein aus Aslıs Perspektive erzählt. Es ist die Sicht einer Liebenden, die nicht zu genau hinschauen will, um ihre Beziehung zu schützen. Verbissen klammert sie sich an deren schöne Seiten; das ist nur allzu menschlich. Was hingegen den aus wohlhabendem, modern orientiertem Hause stammenden Libanesen zu seinem monströsen Verbrechen motiviert, bleibt vage und schemenhaft; am ehesten offenbar eine recht diffuse Wut auf die westliche Welt.

 

Irgendwann scheint Saeed so verstrickt in seine geheimen Netzwerke zu sein, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt. Ihm verleiht Schauspieler Roger Azar eine Ausstrahlung, die nur schwer mit seiner Tat in Einklang zu bringen ist. Man fragt sich unwillkürlich, ob Terroristen so sympathisch dargestellt werden dürfen.

 

Kammerspielhafte Intensität

 

„Ich möchte Filme machen, die nicht mit Antworten enden, sondern den Zuschauer mit Fragen entlassen“, kommentiert Anne Zohra Berrached, selbst Tochter einer Deutschen und eines Algeriers. Das ist der Regisseurin zweifellos gelungen, wie auch schon im Vorgängerfilm „24 Wochen“ (2016). Dieses Porträt eines Paares, das mit der Frage ringt, ob es einen behinderten Fötus abtreiben soll, hat zwar ein ganz anderes Thema, wird aber von einer ähnlich kammerspielhaften Intensität getragen.