Tom Schilling

Fabian oder Der Gang vor die Hunde

Nicht ohne meine Kippe: Jakob Fabian (Tom Schilling). Foto DCM Film Distribution
(Kinostart: 5.8.) Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert: Das Ende der Weimarer Republik beobachtete Erich Kästner 1931 mit den Augen eines haltlosen Moralisten. Seinen Erfolgsroman verfilmt Regisseur Dominik Graf als sinnenprall stimmiges Epochen-Panorama.

Erich Kästners autobiografischer Roman „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“, 1931 erstmals erschienen, gilt als Schlüsselwerk der Weimarer Republik: Neben der Handlung um den Titelhelden reflektiert es den aufkommenden Faschismus. Zwei Jahre nach der Erstausgabe wurde das Buch bereits als „entartet“ von den Nazis verbrannt.

 

Info

 

Fabian oder Der Gang vor die Hunde

 

Regie: Dominik Graf,

176 Min., Deutschland 2021;

mit: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker

 

Weitere Informationen zum Film

 

Eine Verfilmung hat der 1974 verstorbene Autor immer verweigert; den ersten, durchwachsenen Versuch unternahm Wolf Gremm 1980. Wesentlich ausgereifter ist die Adaption „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ von Dominik Graf. Allein schon der Filmtitel verweist auf die Werktreue, mit der der Regisseur die Vorlage behandelt; ursprünglich wollte Kästner den Roman genauso nennen.

 

Treiben in tanzenden Aufnahmen

 

Graf scheut sperrige Themen und Geschichten nicht. Aus diesem Stoff macht der Regisseur wahrhaft großes Kino, in dem er die Aufnahmen zum Tanzen bringt, während sich die Protagonisten darin treiben lassen. Anfangs spaziert die Kamera durch die heutigen, realen Schauplätze des Geschehens, um nach einer wilden Fahrt im Berlin des Jahres 1931 zu landen.

Offizieller Filmtrailer


 

Melancholischer Zweckpessimismus

 

Hier schlägt sich der studierte Germanist Jakob Fabian (Tom Schilling) tagsüber als schlecht bezahlter Werbetexter bei einer Zigarettenfirma durch. Nachts zieht er mit seinem besten Freund Labude (Albrecht Schuch) durch die Kneipen und Bordelle der Stadt. Dabei pflegt Fabian seinen melancholischen Zweckpessimismus; er sieht sich als unbeteiligter Flaneur und Befürworter von moralischem Anstand, den er überall verschwinden sieht. Labude, unglücklicher Sohn aus reichem Haus, agitiert hingegen lieber für eine bessere Welt.

 

Bei einem dieser Streifzüge begegnet Fabian der selbstbewussten Nachwuchsjuristin Cornelia (Saskia Rosendahl), die für eine Kinofirma arbeitet. Beide verlieben sich sofort ineinander und kommen für ein paar Tage zusammen. Doch Fabian verliert seine Anstellung und versucht, das zu verheimlichen. Dagegen gibt Cornelia den Avancen ihres Chefs nach; der Produzent stellt ihr eine Filmkarriere in Aussicht.

 

Nummernrevue von Laster + Elend

 

Cornelia will Fabian als heimlichen Geliebten behalten, doch das lehnt er ab und verlässt sie. Kurz darauf begeht Labude Selbstmord, ausgelöst von der Untreue seiner Verlobten und der angeblichen Ablehnung seiner Habilitationsschrift, die sich als übler Scherz eines rechtsnationalen Neiders herausstellt. Fabian hält nun nichts mehr in Berlin; er setzt sich nach Dresden zu seinen Eltern ab.

 

Der im Stil der Neuen Sachlichkeit geschriebene Roman, der vielen als Kästners bestes Werk gilt, weist keine durchkomponierte Geschichte auf, sondern ist eher eine Nummernrevue: Szenen von Laster und Dekadenz wechseln mit solchen von Armut und Elend ab. Alles gesehen aus Fabians Perspektive, dessen Empfindungen und Beobachtungen meist lakonisch und oft ironisch geschildert werden.

 

Unglamouröse Reichshauptstadt

 

Seinen sprunghaften Bewusstseins-Strom zur stringenten Handlung in stimmigen Konstellationen umzuformen, ist Graf meisterlich gelungen. Manche Stationen hat er weggelassen, einiges umgestellt, aber viele der grandios pointierten Dialoge fast wortwörtlich übernommen. Anderes lässt er von zwei Erzählerstimmen mit Zitaten des Originaltextes kommentieren.

 

Im Gegensatz zu Ausstattungsorgien wie „Berlin Babylon“ erscheint hier die Reichshauptstadt wenig glamourös, sondern trägt schwer an den Folgen von Erstem Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise sowie den Vorboten des Nazi-Regimes. Das Häusermeer bevölkern kleine Leute, die in kargen Zimmern hausen, sich abrackern und zum Ausgleich in schäbigen Kaschemmen amüsieren, wo alle Standesgrenzen aufgehoben scheinen: Halbweltdamen treffen auf Anzugträger, Kriegsversehrte oder Transvestiten mit Arzt-Zulassung.

 

Stricher-Bordell + Sadisten-Modell

 

All das übersetzt Dominik Graf in schnörkellose, doch rauschhaft vibrierende Bilder. Er zeigt sinnesprall den Überschwang des Verliebtseins ebenso wie scharfe Kontraste zwischen Grunewald-Villa und Arbeitslosen-Warteschlange. Dabei gelingt ihm nicht zur das Kunststück, die raschen Schauplatzwechsel motiviert wirken zu lassen. Er bringt er auch nonchalant die Kolportage-Elemente des Romans unter: etwa eine nymphomanische Anwaltsgattin (Meret Becker), die ein Bordell mit Strichern eröffnet. Oder eine lesbische Künstlerin, die ihre Modelle skrupellos schlagwütigen Sadisten überlässt.

 

Solche Krassheiten, die Klischees vom Sündenpfuhl Berlin bedienten, dürften weiland gehörig zum Erfolg des Buches beigetragen haben. Unwillkürlich fühlt man sich an „Cabaret“ von 1972 erinnert: Das Musical von Bob Fosse mit Liza Minelli in der Hauptrolle beruhte auf dem Roman „Goodbye to Berlin“ (1939) von Christopher Isherwood. Er hielt darin seine Erinnerungen an das schwullesbische „Bermuda-Dreieck“ im damals mondänen Schöneberg fest.

 

Anstand bleibt blass

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die geliebten Schwestern"bestechendes Biopic über Schillers Dreiecksbeziehung von Dominik Graf

 

und hier eine Besprechung des Films "Lara" - intensives Mutter-Sohn-Kammerspiel von Jan-Ole Gerster mit Tom Schilling

 

und hier einen Beitrag über den Film "Berlin Alexanderplatz" - Verfilmung des Epochenromans von Alfred Döblin durch Burhan Qurbani mit Albrecht Schuch

 

und hier einen Bericht über den Film "Systemsprenger" – mit acht Deutschen Filmpreisen prämiertes Problemkind-Drama von Nora Fingscheidt mit Albrecht Schuch.

 

Derart halbseidene Nostalgie ist Grafs Sache nicht. Er rückt eher semi-dokumentarisch Fassaden oder Wandplakate in den Fokus; etwa die Parole „Lernt schwimmen“– mit dem Strom der Zeit und der Masse. Zuweilen kommt das etwas geschichtsdidaktisch daher; heute weiß jeder, dass diese Geschichte böse ausging.

 

Dass sie dennoch nicht zur dreistündigen Volkspädagogik wird, liegt zum Gutteil am Hauptdarsteller. Tom Schillings Jünglingsgesicht, stets zwischen Schaulust und Skepsis schwankend, trägt den Film auch durch schwächere Episoden; etwa seinen Rückzug ins recht provinziell ausgemalte Dresden. Seine verhaltene Prägnanz lässt vergessen, dass er eigentlich wenig zu melden hat: Wie der von ihm ständig beschworene „Anstand“ konkret aussehen soll, wird nie deutlich – bei Kästner ebenso wenig wie in dieser Verfilmung.

 

Liebe in Zeiten des Untergangs

 

Das macht nichts: Dadurch bleibt dem Zuschauer Zeit und Raum, dieses detailscharf ausgemalte Epochen-Panorama zu genießen und sich davon mitreißen zu lassen. Schließlich geht es um eine Liebe, die wie eine Stichflamme auflodert und verglüht – vor dem Hintergrund einer sich auflösenden Gesellschaftsordnung, in der sich Moral keiner leisten kann. Ein Nichtschwimmer wie Fabian geht da zwangsläufig unter.