Mahalia Jackson+ Louis Armstrong

Jazz an einem Sommerabend (WA)

Dinah Washington singt. Foto: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 5.8.) Live-Premiere auf der Leinwand: 1958 nahm Regisseur Bert Stern das "Newport Jazz Festival" auf. Seine mitreißende Doku mit Stars wie Mahalia Jackson, Louis Armstrong und Thelonious Monk kommt digital restauriert erneut ins Kino – ein sagenhaft sinnlicher Konzertfilm.

Das Newport Jazz Festival ist die Mutter aller Jazz- und Pop-Festivals der Gegenwart. 15 Jahre vor Woodstock begründeten die Eheleute George und Joyce Wein eine Tradition, die bis heute Nachahmer findet: Sie holten die besten Musiker ihrer Generation aus den Clubs, Ballsälen und Konzertbühnen von Chicago, Atlanta und New York, für Auftritte auf dem Land.

 

Info

 

Jazz an einem Sommerabend (WA)

 

Regie: Bert Stern + Aram Avakian,

85 Min., USA 1959;

mit: Louis Armstrong, Chuck Berry, Mahalia Jackson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Während draußen auf dem Atlantik um den „America’s Cup“ gesegelt wurde, trafen sich im mondänen Rhode Island Künstler und Zuhörer für ein Sommerwochenende ganz im Zeichen der Musik. Nina Simone, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Miles Davis genossen es, hier nicht nur als Entertainer, sondern auch als ernstzunehmende Künstler wahrgenommen zu werden; sie nahmen Live-Alben mit dem Qualitäts-Prädikat „Newport“ auf.

 

Gespielt wurde Tag + Nacht

 

Weltweit Eindruck machte auch der abendfüllende Konzertfilm „Jazz on a Summer’s Day“, den 1958 der Fotograf Bert Stern drehte; im Folgejahr lief er unter dem Titel „Jazz an einem Sommerabend“ auch in bundesdeutschen Kinos. Beide Titel sind weder falsch noch richtig: Gespielt wurde ein ganzes Wochenende lang, bei Tag und bis in die Nacht.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Jedes Standbild ein Plattencover

 

Der Film wurde nun in 4K-Qualität remastered. Das erlaubt eine kleine Zeitreise in die zweite Goldene Ära des Jazz: In den 1950er Jahren hatte er die Big-Band-Ära hinter sich gelassen und begonnen, sich in kleineren Besetzungen stilistisch auszudifferenzieren. Die einstige Kneipenmusik war zur Kunst geworden.

 

Gleich zu Beginn wird deutlich, wie ernst Bandleader wie Jimmy Guiffre die Sache nahmen. Während dessen diszipliniertes Trio den Film einläutet, beschwören im Gegenschnitt Aufnahmen von Segelbooten, vom Publikum und der näheren Umgebung die Stimmung des Sommers 1958 herauf. Derweil bleibt Stern mit der Kamera dicht an den Musikern, so dass jedes Standbild vom Bühnengeschehen ein Plattencover sein könnte.

 

Publikums- und Kritiker-Lieblinge

 

Durch diese hautnahen Aufnahmen schlägt das Gebotene schnell in den Bann. Es tritt auf: ein bunter Reigen aus heute fast vergessenen Erfolgssängerinnen wie Anita O’Day einerseits, längst kanonisierten Jazz-Legenden andererseits. Der blinde Pianist George Shearing ist mit einem Song vertreten, ebenso der schrullige Außenseiter Thelonious Monk oder der Saxophon-Kraftprotz Gerry Mulligan.

 

An den Reaktionen des Publikums lässt sich recht gut ablesen, wer damals wirklich populär war, und wer eher wegen guter Plattenkritiken eingeladen wurde. Im Rückblick ergibt das eine herrliche Mischung, in der sich die musikalischen Höhepunkte nur so jagen. Big Maybelle Smith und Dinah Washington tragen Gospel und Rhythm & Blues vor; beides passte mit unter dem Schirm.

 

Gelebte Utopie

 

Den wohl anspruchsvollsten Beitrag liefert das Quartett von Schlagzeuger Chico Hamilton, das schon vorher kurz beim Proben zu sehen ist: „Blue Sands“ weist mit hypnotischem Spiel den Weg in die Zukunft des Jazz in den 1960er Jahren. Auf den zeitgenössischen Boden zurück holen die mit drei oder vier Songs großzügiger bedachten headliner: Louie Armstrong und Mahalia Jackson lassen erwartungsgemäß die Bühne erbeben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Django – Ein Leben für die Musik" - Biopic über die Jazz-Legende Django Reinhardt von Étienne Comar

 

und hier einen Beitrag über den Film "Miles Davis – Birth of the Cool" – hervorragende Doku über die Jazz-Legende von Stanley Nelson

 

und hier einen Bericht über den Film "Born to be Blue" – eindrucksvolles Biopic über den legendären Jazz-Trompeter Chet Baker von Robert Budreau mit Ethan Hawke

 

 

Das Publikum, das anfangs auf der Wiese in Gartenstühlen saß, tanzt längst ausgelassen; die Segregation, die im Rest der USA noch herrscht, wirkt weit weg. Auch wenn das Ambiente mit Segelbooten und Strandvillen im Rückblick gutbürgerlich bis spießig erscheint: Das Newport Jazz Festival war eine gelebte Utopie im Sinne der Bürgerrechtsbewegung.

 

 

Gute Festival-Phantomschmerzen

 

Kurzum: ein reiner Musikgenuss, der dankenswerterweise nicht durch längere Wortbeiträge gestört wird. Nur gelegentlich kommt der damalige MC zu Wort, und Louis Armstrong erzählt vor seinem Auftritt ein paar Anekdoten; sie lohnen sich allein deswegen, weil er den Papst darin einen „fine little fella“ nennt. Zudem sehen in den rekonstruierten 35mm-Bildern selbst alle Zuhörer im Publikum so glamourös wie Filmstars aus – ein Triumph des Kinos über YouTube.

 

Ebenso dank des brillanten Schnitts von Co-Regisseur Aram Avakian, der mit seiner Bildmontage praktisch das Regelwerk für künftige Konzert-Dokus niederlegte. Das gilt gleichfalls für Sterns Kamera. Dieses mitunter sagenhaft sinnlichen Konzerterlebnis löst zwar intensive Festival-Phantomschmerzen aus, aber auf gute Weise.