Karlsruhe

Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst

Ilka Halso: Kitka River, 2004, aus der Serie: Museum of Nature, Foto: © Ilka Halso. Courtesy: Kunststiftung DZ Bank, Frankfurt am Main
175 Jahre Staatliche Kunsthalle Karlsruhe: Ihr Jubiläum feiert sie mit einer opulenten Schau über Gewächse in der Kunst zwischen Naturbeobachtung und Umweltzerstörung. Eine facettenreiche Tour d’Horizon von Blumenvasen bis Bäumefällen.

Im Mai 1846 wurde der älteste Bau der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe eingeweiht. Entworfen vom Architekten Heinrich Hübsch, sollte er die Kunstsammlung der badischen Herrscherfamilie aufnehmen. Wenige Jahre später folgten die Errichtung der Orangerie und Anlage des Botanischen Gartens. Kunst und exotische Pflanzen – die badischen Großherzöge waren beidem zugetan.

 

Info

 

Inventing Nature.
Pflanzen in der Kunst

 

24.07.2021 -  31.10.2021

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6, Karlsruhe

 

Katalog 29 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Doch um diese Verbindung geht es Pia Müller-Tamm, Leiterin der Kunsthalle, im 175. Jahr ihres Bestehens nicht. In der Ausstellung „Inventing Nature“, wegen Corona um ein Jahr verschoben, stehen die Kunst-Natur und ihre kreative Erfindung im Fokus. Angesichts brennender Wälder und überflutender Flüsse könnte die Ausstellung aktueller kaum sein.

 

Werke aus sieben Jahrhunderten

 

177 Arbeiten von 80 Künstlern sind in Karlsruhe versammelt. Das Spektrum umfasst Werke aus sieben Jahrhunderten: von Martin Schongauers „Heiligem Sebastian“ aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, der von Pfeilen durchbohrt am Marterbaum steht, bis zu Martin Schwenks urwüchsigen Polyurethan-Bäumen von 2020. Mittelalterliche Tafelbilder mit Paradiesdarstellungen und Tulpenbücher des Barocks werden kontrastiert etwa mit den Miniaturplastiken aus Gräsern und Kräutern von Christiane Löhr.

Trailer zur Ausstellung: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe


 

Moosbedeckte Steine auf Gipsbeinen

 

Die Kleeblumen-Serie von Peter Dreher mit 80 Einzelbildern schweigt den Betrachter eindringlich an. Im nächsten Raum zwitschern Vögel aus dem Off im grotesken Videofilm „Coexistencia“ (2003) von Donna Conlon aus Panama: Sie lässt Blattschneiderameisen aufmarschieren, die neben ihrer üblichen Beute auch Blattfragmente mit politischen Symbolen in ihren Bau tragen. Die Blütenstaub-Sammlung von Wolfgang Laib ruht in Einmachgläsern; er bestäubte 2013 aufwändig das Museum of Modern Art in New York.

 

Müller-Tamm sieht in all dem „einen Beitrag zur Orientierung über die grundlegende Bedeutung von Pflanzen für das Leben auf der Erde“. Dass es dabei um mehr als Biodiversität geht, verdeutlichen schon zu Beginn zwei moosbedeckte Steine auf menschlichen Gipsbeinen aus Gießharz. An der Skulptur „Stone“ (2019) von Erwin Wurm ist nur das Moos auf den Steinen pflanzlich. Aber es dominiert den Stein, der seinerseits die männlichen Beine dominiert, die hagestolzartig den Anspruch der „Krone der Schöpfung“ behaupten. Das ist zum Lachen komisch, wie vieles in der Schau – wobei es manchmal im Halse stecken bleibt.

 

Natur verbrauchen + allegorisch feiern

 

Zum Auftakt begrüßen den Besucher Flora und Daphne. Flora als Allegorie des Frühlings und der Pflanzenwelt wird beispielhaft auf dem oft reproduzierten Relief „Triumph der Flora“ (1863) von Jean-Baptiste Carpeaux gezeigt. Die Nymphe Daphne verwandelt sich in zwei Stichen des 17. Jahrhunderts auf der Flucht vor dem übergriffigen Apoll in einen Lorbeerbaum. Ein Paradox: Während nach dem Dreißigjährigen Krieg durch zügellosen Holzbedarf und Landschaftsverbrauch die Aneignung der Natur drastisch forciert wurde, feierte man sie zugleich in femininen Allegorien.

 

Den Gegenpol markiert am Ende der Ausstellung eine Videoarbeit von Julian Charrières. Sie zeigt in Endlosschleife fallende Baumriesen; zwischen den Rodungsopfern huschen gelegentlich Waldarbeiter hindurch. Ein Anblick, der in seiner stummen Brutalität schwer zu ertragen ist: Der Betrachter wird gleichsam in die umgekehrte Rolle des Apolls versetzt, der einst Daphnes Verwandlung fassungslos zuschaute.

 

Wald erobert Tschernobyl zurück

 

Acht Säle breiten im Stil einer barocken Natursammlung oder Wunderkammer diverse Aspekte des Themas aus: in Kapiteln wie „Blühende Vielfalt“, „Der forschende Blick“ oder „Vegetabile Residuen“. Oft stehen Bäume im Mittelpunkt. In einem Paradiesgarten von Martin Schongauer nähren und schützen sie das Jesuskind. Thomas Struth stellt in seiner monumentalen Farbfoto-Serie „New Pictures from Paradise“ (1998-2007) den Betrachter vor undurchdringliche Dickichte aus tropischem Grün.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gewächse der Seele: Pflanzenfantasien zwischen Symbolismus und Outsider Art" im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Menagerie der Medusa - Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten" - gelungene Werkschau über den Erfinder von Waldboden-Stillleben in der Galerie Alte & Neue Meister, Schwerin

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Bios - Konzepte des Lebens in der zeitgenössischen Skulptur" im Georg Kolbe Museum, Berlin

 

und hier einen Beitrag über den Film "Fantastische Pilze – Die magische Welt zu unseren Füßen" - visuell eindrucksvolle Natur-Doku von Louie Schwartzberg

 

und hier einen Bericht über den Film "Das geheime Leben der Bäume" mit Bestsellerautor Peter Wohlleben von Jörg Adolph und Jan Haft.

 

 

Dagegen erscheint in den monochromen Fotografien von Volker Kreidler die Tschernobyl benachbarte Geisterstadt Prypjat betretbarer als je zuvor: Als „Dritte Landschaft“ wird sie zurzeit vom Wald zurückerobert. Der Kartonagen-Wald von Eva Jospin („Forêt courbe“, 2018) lässt ratlos: „Gedenke Wald, dass du Karton bist, und zu Karton wirst du wieder.“ Ist es nicht eher anders herum: Karton war Wald, und wird es dereinst wieder sein?

 

Pflanzen entgiften Uranabbau-Gelände

 

Diese facettenreiche Ausstellung propagiert keine klaren Devisen à la „Zurück zur Natur“, feiert keine blühenden Landschaften und kritisiert auch nicht lauthals Umweltzerstörung. Sie trägt geduldig und fleißig ganz verschiedene Positionen zusammen: zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Natur und dem Umgang mit ihr, zu ihrer Bedeutung für den Menschen und umgekehrt.

 

Dabei darf es durchaus auch schön werden, mit üppig blühenden Blumen. Etwa bei Gaspar Peeter Verbruggens „Dame mit Blumenstillleben“ aus der Zeit um 1700 oder den Ackerkräutern in „Blumenstillleben im grünen Krug“ (1910) von Odilon Redon; von seinen „Blumenseelen“ sprach der Kulturphilosoph Walter Benjamin. Dagegen sind die Seelen der Blumen bei Susanne Kriemann radioaktiv verseucht: Ihre komplexe Installation von 2016 demonstriert bei Pflanzen auf dem Gelände des früheren Uranabbaus in der DDR deren Fähigkeit, den Boden zu entgiften und nebenbei seltene Metalle für die Produktion von Smartphones zu gewinnen.

 

Ab November jahrelange Schließung

 

Den vorletzten Raum der Ausstellung dominiert die Installation „Pflanzen dichten“ des Schweizer Künstlerduos Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger. Sie füllen einen riesigen runden Tisch mit botanischen Sammelstücken, technischen Apparaten der Naturforschung und biomorphem Nippes – auf dass aus diesem Chaos eine neue Schöpfung werde. Laut Kirchenvater Augustinus ist „ein großes Buch aber die Gestalt der Schöpfung selbst“; dieses Buch wird jedoch vom Menschen inzwischen umgeschrieben. Auch die Karlsruher Kunsthalle verändert ihr Erscheinungsbild radikal. Ab November wird sie für mehrere Jahre schließen: Ein großer Umbau und eine Erweiterung stehen an.