Berlin

Neueröffnung Museum für Asiatische Kunst + Ethnologisches Museum im Humboldt Forum

Großes Auslegerboot von der Insel Luf (Bismarck-Archipel, Papua Neuguinea) im Modul „Ozeanien: Mensch und Meer. Ein Meer von Inseln“ des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum. Foto: © Staatliche Museen zu Berlin / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Foto: Alexander Schippel
Globalkunst ohne Globalisierung: Das Humboldt Forum ergibt sich der Postkolonialismus-Debatte, betrachtet aber ansonsten alle Kulturen isoliert. Trotz steriler Überwältigungs-Ästhetik beglückt das Wiedersehen mit fantastischen Meisterwerken.

Sie waren die monumentalsten Mauerblümchen in der deutschen Museumslandschaft: Die Museen in Berlin-Dahlem zählten zu den großen Wendeverlierern. Die Wiedervereinigung verschob sie an den geographischen und mentalen Rand der Hauptstadt. Spätestens mit dem Umzug der Gemäldegalerie ans Kulturforum 1998 fielen die beiden übrigen Museen für Asiatische Kunst und Ethnologisches in einen Dornröschenschlaf, den nur noch wenige Besucher störten.

 

Info

 

Neueröffnung Museum für Asiatische Kunst + Ethnologisches Museum im Humboldt Forum

 

ab 23.09.2021

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr,

freitags + samstags bis 22 Uhr

im Humboldt Forum, Westflügel, Schlossplatz, Berlin

 

Katalog 12,50 €

 

Weitere Informationen

 

Aus dem weckte sie 2002 der Bundestags-Beschluss, das Berliner Stadtschloss wiederaufzubauen. Als „Humboldt Forum“, in dem die beiden Museen – neben mehreren Anhängseln – ihre enorm reichen und hochwertigen Sammlungen gebührend präsentieren können, die den Vergleich mit Beständen in London, Paris und New York nicht scheuen müssen. Ein wahrhaftes Haus der Weltkulturen, das alle Kontinente gleichermaßen berücksichtigt.

 

Benin-Bronzen zurück nach Nigeria

 

Dann drehte sich der Wind. Postkolonialismus-Aktivisten forderten, die meisten Museums-Objekte sollten, da einst gewaltsam beschafft, an die Ursprungsländer zurückgegeben werden. 2017 trat die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus dem Beirat des Humboldt Forums aus, weil an den Objekten „Blut klebe“; ihre Herkunft müsse lückenlos erforscht werden. Inzwischen konzentriert sich die Debatte auf bestimmte Werkgruppen, etwa die so genannten Benin-Bronzen, die britischen Truppen 1897 in Westafrika erbeuteten. Dazu zählen rund 1000 Objekte in deutschen Museen; ab 2022 sollen sie Nigeria übereignet werden.

Impressionen der Ausstellung im Ethnologischen Museum


 

Raubkunst ist überall

 

Der Diskurs über Restitution prägt auch die Neueröffnung der beiden Museen im Humboldt Forum. Fast könnte man meinen, er werde von ihnen als eigentlicher Auftrag betrachtet. Zwar sind bislang nur zwei Fünftel der neuen Dauerausstellung im Westflügel des Schlosses eingerichtet. Bedeutende Kollektionen wie diejenigen großer Teile Afrikas, der islamischen Welt und der indianischen Kulturen Amerikas werden erst im Frühjahr 2022 zu sehen sein. Doch die schon zugänglichen Abteilungen vermitteln den Eindruck: Raubkunst ist überall.

 

Angefangen bei der Selbstdarstellung der Museen: Vier Positionspapiere zu „postkolonialer Provenienzforschung“ füllen 29 dicht bedruckte Blätter in der Pressemappe. Ein broschiertes „Begleitheft“ zum Thema ist doppelt so groß wie der neue Kurzführer. Worauf es den Machern ankommt, wird in der zweiten und dritten Etage deutlich: „Intro-Räume“ und Schaumagazine belehren über die Kolonialvergangenheit und ihre Folgen.

 

Trophäen-Schau wiederholt Ignoranz

 

Teils sehr kleinteilig: Hinter einem Banner mit den Worten „I have a white frame of reference and a white world view“ („Ich habe den Bezugsrahmen und die Weltsicht von Weißen“) wird am Beispiel älterer Schulbücher Satz für Satz erklärt, wie diskriminierend ihre Inhalte sind, oder wie Migrantenkinder aus Namibia in der DDR behandelt wurden.

 

Ähnlich volkspädagogisch sind die Schaumagazine konzipiert: Einstige koloniale Raffgier sollen in mannshohen Vitrinen übereinander gestapelte Objekte veranschaulichen – ohne ihre Gestaltung und Funktion zu erläutern. Man erfährt nur, aus welcher Region Afrikas oder Ozeaniens sie stammen. Dass diese Trophäen-Schau die Ignoranz der früheren Kolonialherren gleichsam repliziert, scheint die Kuratoren nicht zu bekümmern.

 

Kannibalen-Mahlzeit künftiger Christen

 

Den durch gedrängte Enge gewonnenen Platz füllen teils Zonen für Schautafeln oder „Familienflächen“, teils raumgreifende Installationen zeitgenössischer Künstler. Nur wenige ergänzen die Exponate intelligent oder ironisch wie eine Fotografie des Samoaners Greg Semu, der 2010 mit Indigenen Leonardos Abendmahl nachgestellt hat: „Das letzte Kannibalen-Mahl, weil wir morgen Christen werden“. Die meisten anderen Arbeiten wären auf einer Biennale gut aufgehoben; hier wirken sie wie Fremdkörper.

Impressionen der Ausstellung im Museum für Asiatische Kunst


 

Hochkulturen als isolierte Inseln

 

Insgesamt ist der Parcours sehr weitläufig angelegt. Im Dahlemer Museumskomplex, der 2017 schloss, war jede Abteilung unterschiedlich gestaltet. Das hatte den Reiz eines Labyrinths; man wusste nie, was einen hinter der nächsten Ecke erwartete. Dagegen entpuppt sich der neue Schlossbau, dessen barocke Retro-Fassaden viele Gemüter erregen, im Inneren als arg monotoner Betonklotz mit sterilen Saalfluchten. Gegen das Diktat rechter Winkel samt mattgrauer Decken, Pfeiler und Böden kommen etliche Exponate optisch kaum an.

 

Wobei die gleichförmige Architektur paradoxerweise das Einzige ist, was sie miteinander verbindet. Ansonsten erscheinen die Hochkulturen des Planeten als isolierte Inseln. Nirgends tauchen globale Querverbindungen auf, wie etwa – auf ganz unterschiedliche Weise – in den Dauerausstellungen des Grassi Museums für Völkerkunde zu Leipzig oder des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums. Selten werden wechselseitige Kontakte und Einflüsse oder zeitliche Entwicklungen angedeutet. Als hätte erst die Brutalität des Kolonialismus diese Kulturen aus abgeschotteter Selbstgenügsamkeit herausgerissen – ahistorischer geht es kaum.

 

5000 Jahre in wenigen Vitrinen

 

Die wenigen Räume, die dieses Schema sprengen, wirken überinszeniert. Die Halle für Südsee-Boote, derzeit noch halb leer, mag attraktiver werden, wenn sie sich bald füllt. Doch der Kuppelsaal für die Freskenmalerei der nördlichen Seidenstraße befremdet. Diese mehr als 1000 Jahre alten buddhistischen Bilder kamen durch die vier Turfan-Expeditionen von 1902 bis 1914 nach Berlin. In Dahlem hatte man sie in der Rekonstruktion einer Höhle angebracht: nicht originalgetreu, aber sehr suggestiv. Nun hängen sie in schiefen Kuben, die Haustrümmern ähneln.

 

Ähnlich fragwürdig erscheint, wie der Saal mit chinesischer Kunst eingerichtet wurde. Ihn dominiert ein 16 Tonnen schweres Holzdach in Pagodenform vom chinesischen Star-Architekten Wang Shu. Darunter ein 60 Quadratmeter großes Hofmaler-Gemälde an der Wand; weil es sehr lichtempfindlich ist, wird es meist durch eine Digitalprojektion ersetzt. Gegenüber steht ein Kaiserthron mit Paravent, der einzige in Europas Museen. Fast alle weiteren Artefakte dieser 5000 Jahre alten Hochkultur sind in wenigen Vitrinen zusammengepfercht, Epochen und Stile bunt durcheinander.

 

Für fixe Touristen + pedantische Experten

 

Solche Überwältigungs-Ästhetik setzt über weite Strecken auf spektakuläre Schauwerte für flüchtige Betrachter, die nicht mit ausführlichen Kommentaren behelligt werden sollen. Alles andere wird zu überbordenden Tableaus arrangiert. Darin steckt auch eine eurozentrische Anmaßung: Wo, wenn nicht hier, wäre der Ort, um mithilfe eindrucksvoller Originale detailliert über außereuropäische Kulturen zu informieren und für sie zu begeistern?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Tanz der Ahnen - Kunst vom Sepik in Papua-Neuguinea" - grandiose Überblicks-Schau über melanesische Kunst + Kultur in Berlin, Zürich + Paris

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Unvergleichlich: Kunst aus Afrika" - erstklassige Vergleichs-Schau von europäischen + afrikanischen Werken im Bode-Museum Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Buddha – Sammler öffnen ihre Schatzkammern" - exzellente Überblicks-Präsentation von Meisterwerken buddhistischer Kunst aus 2.000 Jahren in der Völklinger Hütte, Völklingen

 

und hier einen Bericht über die Ausstellungen "Gesichter Chinas: Porträtmalerei der Ming- und Qing-Dynastie (1368-1912) + Wechselblicke - Zwischen China und Europa 1669-1907" - große Überblicksschau im Kulturforum, Berlin

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Humboldt Lab Dahlem: Probebühne 1" zur Kombination von Ethnologica + zeitgenössischer Kunst in den Museen Dahlem, Berlin.

 

Diese Präsentation scheint auf zwei Gruppen ausgerichtet: einerseits Touristen, die von einem Highlight zum nächsten eilen. Und andererseits Fachbesucher, denen unzählige Täfelchen mit Herkunftsangaben nachweisen sollen, dass die Museen ihre postkolonialen Hausaufgaben gemacht haben. Trotz aller Defizite beglückt diese Neueröffnung dennoch: weil man Meisterwerke wieder bewundern kann, die jahrelang im Depot verschwunden waren.

 

Thron-Geschenk für Willem Zwo

 

Etwa einen unfassbar reich verzierten Haustempel von Jainisten aus dem 18. Jahrhundert; diese nordindische Religion ist ähnlich alt wie der Buddhismus. Oder fast 2000 Jahre alte, perfekt erhaltene Buddha- und Götter-Reliefs der Gandhara-Kultur im heutigen Pakistan; hier mischten sich hellenistische und hinduistische Strömungen. Oder unglaublich komplexe malanggan-Skulpturen für Totengedenkfeiern auf der melanesischen Insel Neuirland; in ihnen verschmelzen Mensch- und Tierfiguren miteinander.

 

Oder den komplett mit Glasperlen und Kauri-Muscheln bestickten Thron von Sultan Njoya, Herrscher von Bamum im heutigen Kamerun: Er verschenkte das kostbare Original 1908 an Kaiser Wilhelm II., weil eine Kopie nicht rechtzeitig fertig wurde. Zwar erhoffte sich der Sultan, vom deutschen Monarchen als ebenbürtig anerkannt zu werden, und wurde darin enttäuscht – doch der prächtige Perlenthron war Gegenstand eines diplomatischen Manövers, kein Raubgut.

 

Im Ostflügel besser machen

 

Für differenzierte Darstellungen, wie und auf welchen Wegen die halbe Million Objekte im Besitz des Ethnologischen Museums nach Berlin kam, böten sich Sonderausstellungen an. Sie könnten auch aufzeigen, welche neuen Erkenntnisse Provenienzforschung tatsächlich liefert – außer Arbeitsbeschaffungs-Programmen für Ethnologen. Doch in ihrer Dauerschau sollten sich beide Museen auf ihre Mission besinnen: dem breiten Publikum die Vielfalt der Kulturen weltweit zu vermitteln. Sie haben noch ein halbes Jahr Zeit, es im Ostflügel des Schlosses besser zu machen.