Zwei Köpfe ragen unter einer Bettdecke hervor. Sie fragen sich, was sie aneinander mögen und was nicht. Der eine Kopf sagt: „Wir sollten uns trennen. Ich habe das Gefühl, wir ziehen hier ein Programm durch, das wir uns selbst gar nicht ausgedacht haben“. Der andere ist nicht einverstanden: Sie seien doch jetzt schon fünf Jahre zusammen und hätten das Wichtigste für eine Partnerschaft gemeinsam – ihnen seien die gleichen Sachen egal.
Info
Nö
Regie: Dietrich Brüggemann,
119 Min., Deutschland 2021;
mit: Alexander Khuon, Anna Brüggemann, Hanns Zischler
Krise und method acting
Sie handeln von verschiedenen Lebensphasen des Paares: Schwangerschaft, der Tod eines Elternteils und eine berufliche Krise, die Dina als gelernte Schauspielerin in einem absurden method acting-Workshop zu überwinden versucht. Nicht alle Figuren sind so schrill wie die exzentrische Kursleiterin, deren Gesichtszüge die Kamera aus der Nähe beobachtet.
Offizieller Filmtrailer
Zu müde zum Schenkelklopfen
Doch alle Charaktere sind überzeichnet: der sadistische Zahnarzt (Felix Goeser), der Michael quält; der launische Frauenarzt (Mark Waschke), der dem Paar ungefragt das Geschlecht ihres Kindes verrät; Michaels tyrannischer Vater Joachim (Hanns Zischler) – sie alle werden getränkt mit Klischees, die ein Bedürfnis nach Peinlichkeit zu bedienen scheinen. Und weil Klischees nichts anderes sind als Wetten auf eine erwartete Wiederholung, entsteht schnell ein Ermüdungseffekt, der selbst die Energie fürs Schenkelklopfen raubt.
Während der Inhalt recht voraussehbar ist, zeigt Brüggemann gutes Gespür für die Form. Viele der Vignetten sind – wie schon in seinem Film „Kreuzweg“ (2014) – als Tableau gedreht: eine unbewegte Kameraeinstellung, die alle Akteurinnen und Akteure zugleich zeigt. Weil diese Perspektive das Künstliche und Theatralische verstärkt, wird wenigstens das Zuschauen erträglich.
Super Special Lifestyle
Zudem steht das genretypische Stilmittel der Überzeichnung im produktiven Widerspruch zum roten Faden des Plots, der eine Art Generationenporträt der Mittdreißiger darstellt. Es geht um ein Bedürfnis, das viele sowohl antreibt als auch besorgt: die Angst, ein unauthentisches Leben zu führen, also eines, das nicht selbst-, sondern fremdbestimmt ist – „ein Programm durchziehen“, wie Michael es zu Beginn nennt. Im Bestreben, das verhasste Durchschnittsleben zu verweigern, erfüllt das Paar genau das, was der Soziologe Andreas Reckwitz 2017 in seinem Erfolgsbuch über die „Gesellschaft der Singularitäten“ den westlichen Gesellschaften insgesamt attestiert: einen starken Drang zu einem Lebensstil, der Individualität inszeniert und zelebriert, oft verbunden mit einer Ablehnung des Gewöhnlichen.
Hintergrund
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und hier einen Beitrag über den Film "Körper und Seele" - betörend traumschöner Sieger-Liebesfilm der Berlinale 2017 von Ildikó Enyedi
und hier einen Bericht über den Film "Kreuzweg" – Milieustudie strenggläubiger Christen von Dietrich Brüggemann, prämiert mit dem Silbernen Bären 2014.
Kalkuliert oder nur plump?
Während sein Sohn sich immer wieder in den Schleifen der Selbstoptimierung verfängt, scheint Joachim einfach nur jenem Programm zu folgen, dem alle anderen entkommen wollen. Insofern lässt sich „Nö“ als Kommentar auf eine Gesellschaft verstehen, in der Glück häufig an der Selbsterzählung scheitert, weil man ständig zwischen Leben und Abbild hin- und her springen muss.
Fragt sich nur, warum Regisseur Brüggemann – bei aller Sensibilität für das aktuelle soziale Klima, die er in diesem Film demonstriert – im Frühjahr 2021 die Kampagne „#allesdichtmachen“ lancierte. Darin thematisierten 50 deutsche Schauspieler in satirisch gemeinten Video-Clips die staatlichen Corona-Maßnahmen. Dass diese Aktion bei allem Recht auf politische Kritik von vielen als pietätlos gegenüber Covid-19-Opfern empfunden wurde, hätte er ahnen müssen. Womöglich war das aber auch kalkuliert – wie einige plumpe Pointen in diesem Film.