Dietrich Brüggemann

Am Küchentisch mit Babyphone: Dine (Anna Brüggemann) und Michael (Alexander Khuon). Foto: FLARE FILM/FILMWELT Filmagentur
(Kinostart: 30.9.) Szenen einer Ehe – sieben Jahre in 14 Schnitten: Regisseur Dietrich Brüggemann porträtiert ein Mittdreißiger-Paar, das sich in den Schleifen der Selbstoptimierung verfängt. Eine lakonische Komödie, deren Pointen gelegentlich etwas plump geraten.

Zwei Köpfe ragen unter einer Bettdecke hervor. Sie fragen sich, was sie aneinander mögen und was nicht. Der eine Kopf sagt: „Wir sollten uns trennen. Ich habe das Gefühl, wir ziehen hier ein Programm durch, das wir uns selbst gar nicht ausgedacht haben“. Der andere ist nicht einverstanden: Sie seien doch jetzt schon fünf Jahre zusammen und hätten das Wichtigste für eine Partnerschaft gemeinsam – ihnen seien die gleichen Sachen egal.

 

Info

 

 

Regie: Dietrich Brüggemann,

119 Min., Deutschland 2021;

mit: Alexander Khuon, Anna Brüggemann, Hanns Zischler

 

Website zum Film

 

Das „Nö“, mit dem Dina (Anna Brüggemann) den Trennungsvorschlag ihres Partners Michael (Alexander Khuon) in der Eröffnungsszene ablehnt, setzt den Grundton der gleichnamigen Komödie von Dietrich Brüggemann: Lakonie. Die oft ausschweifenden Dialoge, die gelegentlich an das verlaberte US-Genre mumblecore erinnern, werden hier häppchenweise serviert. In 15 Einstellungen erzählt der Regisseur die folgenden sieben Jahre aus dem Leben der beiden Mittdreißiger.

 

Krise und method acting

 

Sie handeln von verschiedenen Lebensphasen des Paares: Schwangerschaft, der Tod eines Elternteils und eine berufliche Krise, die Dina als gelernte Schauspielerin in einem absurden method acting-Workshop zu überwinden versucht. Nicht alle Figuren sind so schrill wie die exzentrische Kursleiterin, deren Gesichtszüge die Kamera aus der Nähe beobachtet.

Offizieller Filmtrailer


 

Zu müde zum Schenkelklopfen

 

Doch alle Charaktere sind überzeichnet: der sadistische Zahnarzt (Felix Goeser), der Michael quält; der launische Frauenarzt (Mark Waschke), der dem Paar ungefragt das Geschlecht ihres Kindes verrät; Michaels tyrannischer Vater Joachim (Hanns Zischler) – sie alle werden getränkt mit Klischees, die ein Bedürfnis nach Peinlichkeit zu bedienen scheinen. Und weil Klischees nichts anderes sind als Wetten auf eine erwartete Wiederholung, entsteht schnell ein Ermüdungseffekt, der selbst die Energie fürs Schenkelklopfen raubt.

 

Während der Inhalt recht voraussehbar ist, zeigt Brüggemann gutes Gespür für die Form. Viele der Vignetten sind – wie schon in seinem Film „Kreuzweg“ (2014) – als Tableau gedreht: eine unbewegte Kameraeinstellung, die alle Akteurinnen und Akteure zugleich zeigt. Weil diese Perspektive das Künstliche und Theatralische verstärkt, wird wenigstens das Zuschauen erträglich.

 

Super Special  Lifestyle

 

Zudem steht das genretypische Stilmittel der Überzeichnung im produktiven Widerspruch zum roten Faden des Plots, der eine Art Generationenporträt der Mittdreißiger darstellt. Es geht um ein Bedürfnis, das viele sowohl antreibt als auch besorgt: die Angst, ein unauthentisches Leben zu führen, also eines, das nicht selbst-, sondern fremdbestimmt ist – „ein Programm durchziehen“, wie Michael es zu Beginn nennt. Im Bestreben, das verhasste Durchschnittsleben zu verweigern, erfüllt das Paar genau das, was der Soziologe Andreas Reckwitz 2017 in seinem Erfolgsbuch über die „Gesellschaft der Singularitäten“ den westlichen Gesellschaften insgesamt attestiert: einen starken Drang zu einem Lebensstil, der Individualität inszeniert und zelebriert, oft verbunden mit einer Ablehnung des Gewöhnlichen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Undine" - ergreifendes mythologisches Liebesdrama von Christian Petzold

 

und hier eine Besprechung des Films "Wie gut ist Deine Beziehung?" - clever konstruierte Sittenkomödie über den Zwang zur Selbstoptimierung von Ralf Westhoff

 

und hier einen Beitrag über den Film "Körper und Seele" - betörend traumschöner Sieger-Liebesfilm der Berlinale 2017 von Ildikó Enyedi

 

und hier einen Bericht über den Film "Kreuzweg" – Milieustudie strenggläubiger Christen von Dietrich Brüggemann, prämiert mit dem Silbernen Bären 2014.

 

Die Darstellung dieses Widerspruchs scheitert, wo der Zwang zur Pointe Selbstzweck wird: etwa bei einer Hochzeit, wo ausgerechnet der Bräutigam bei seiner Festansprache freie Partnerwahl nahe legt. Sie glückt da, wo das Komische bricht, etwa wenn Michaels Vater auch am Sterbebett seinen beiden Söhnen keine Zärtlichkeit zeigen kann. Er wirkt damit einerseits wie das Relikt einer vergangenen Zeit, andererseits aber authentisch.

 

Kalkuliert oder nur plump?

 

Während sein Sohn sich immer wieder in den Schleifen der Selbstoptimierung verfängt, scheint Joachim einfach nur jenem Programm zu folgen, dem alle anderen entkommen wollen. Insofern lässt sich „Nö“ als Kommentar auf eine Gesellschaft verstehen, in der Glück häufig an der Selbsterzählung scheitert, weil man ständig zwischen Leben und Abbild hin- und her springen muss.

 

Fragt sich nur, warum Regisseur Brüggemann – bei aller Sensibilität für das aktuelle soziale Klima, die er in diesem Film demonstriert – im Frühjahr 2021 die Kampagne „#allesdichtmachen“ lancierte. Darin thematisierten 50 deutsche Schauspieler in satirisch gemeinten Video-Clips die staatlichen Corona-Maßnahmen. Dass diese Aktion bei allem Recht auf politische Kritik von vielen als pietätlos gegenüber Covid-19-Opfern empfunden wurde, hätte er ahnen müssen. Womöglich war das aber auch kalkuliert – wie einige plumpe Pointen in diesem Film.