Eugene Boateng

Borga

Endlich am Ziel: Kojo (Eugene Boateng) kommt als feiner Pinkel am Flughafen von Accra an. Foto: Chromosom Film GmbH/ © Tobias von dem Borne
(Kinostart: 28.10.) Reich werden ist schwer, reich scheinen umso mehr: Im Film von Regisseur York-Fabian Raabe gaukelt ein Exilant seiner Familie in Ghana Wohlstand vor – und ruiniert sich beinahe damit. Ein faszinierend facettenreiches Nord-Süd-Drama aus schwarzer Sicht.

Fragt man Kids in Schwarzafrika, was sie werden wollen, wenn sie erwachsen sind, antworten vier von fünf: nach Europa gehen und reich werden. Ihre Fixierung auf den Erdteil der früheren Kolonialmächte ist so groß wie ihre Unwissenheit über die dortigen Verhältnisse. Davon handelt „Borga“.

 

Info

 

Borga

 

Regie: York-Fabian Raabe,

107 Min., Ghana/Deutschland 2021;

mit: Eugene Boateng, Christiane Paul, Ibrahima Sanogo

 

Website zum Film

 

Der kleine Kojo lebt mit seiner Familie in Agbogbloshie, einem Bezirk von Ghanas Hauptstadt Accra. Dieser Stadtteil ist berühmt-berüchtigt für die Verwertung von Elektroschrott aus Industrieländern. Unter katastrophalen Bedingungen zerlegen und verbrennen meist Kinder und Jugendliche die Kunststoffe von Gehäusen und Kabeln, um an wertvolle Bestandteile heranzukommen: Altmetall-Recycling als Umwelt-Desaster.

 

Regelbruch will gelernt sein

 

Eines Tages trifft Kojo auf einen Borga: Der „reiche Onkel“ scheint in Deutschland zu Geld gekommen zu sein. Er rät dem Knirps, herauszufinden, welche Regeln er brechen müsse, um wohlhabend zu werden. Diese Begegnung geht ihm nicht mehr aus dem Kopf: Fortan träumt er davon, nach Deutschland auszuwandern, um es dort zu etwas zu bringen.

Offizieller Filmtrailer OV


 

Drogenschmuggel im Maßanzug

 

Zehn Jahre später hat der junge Mann (Eugene Boateng) die Chance dazu; allerdings dauert es lange, bis er sich in die Bundesrepublik durchgeschlagen hat. Hier gerät er an seinen Landsmann Bo (Ibrahima Sanogo), der Schrott en gros exportiert und Kojo für ein Taschengeld als Handlanger anheuert. Besser behandelt ihn Lina (Christiane Paul), die er beim Tanzen in einer Bar kennenlernt: Sie lässt sich auf eine Affäre mit ihm ein.

 

Seinem Borga-Wunschtraum kommt Kojo näher, als er beginnt, für Bo Drogen zu schmuggeln: Nun darf er im schicken Anzug mit Taschen voller Geschenke nach Accra fliegen. Doch seiner Einladung ins Luxushotel folgt keiner seiner Angehörigen. Daraufhin besucht er seinen Neffen Ekwo, der sich von seinem vermeintlichen Wohlstand blenden lässt. Auf Drängen ihrer Mutter verspricht sein Bruder Kofi, künftig mit ihm zusammenzuarbeiten.

 

Die Finanztransfer-Blase platzt

 

Lukrativer als Drogentransport wird für Kojo, selbst alte Elektrogeräte nach Afrika zu verschiffen. Sein Geschäft wächst so rasch wie die finanziellen Forderungen seiner Familie. Als er wieder nach Accra fliegt, um eine Ladung zu vermarkten, platzt die Blase: Das angeblich von seinem Geld errichtete Haus ist nur ein Torso. Kofi wirft ihm vor, sein Borga-Getue habe alle Verwandten ruiniert, weil sie nun bei ihren Landsleuten als Krösusse gälten und ausgenommen würden. Neffe Ekwo ist seinem Vorbild gefolgt und nach Europa abgehauen. Und Lina verlässt ihn, zumindest zeitweise, weil er mit gefälschtem Pass reist.

 

Aufstieg und Desillusionierung eines deutsch-ghanaischen Grenzgängers inszeniert Regisseur York-Fabian Raabe konsequent aus Sicht der Hauptfigur. Kein Wunder: Er hat die Rolle gemeinsam mit Eugene Boateng entwickelt, der sie mit geradezu vibrierender Präsenz verkörpert. Dadurch verschiebt sich die gesamte Perspektive: Die Mühsal jahrelanger Wanderung gen Norden wird kurz abgehandelt. Auch Deutschland bildet nur die Kulisse für ein Drama, das sich weitgehend unter ghanaischen Immigranten abspielt.

 

Fluch der family tax

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Berlin Alexanderplatz" - Verfilmung von Döblins Roman-Klassiker mit afrikanischem Flüchtling als zeitgenössischer Hauptfigur von Burhan Qurbani

 

und hier eine Besprechung des Films "Seefeuer - Fuocoammare" - Berlinale-Siegerfilm 2016: Dokumentation über Flüchtlinge auf Lampedusa von Gianfranco Rosi

 

und hier einen Bericht über den Film "Nairobi Half Life" - packender Thriller über ein Doppelleben in Kenias Hauptstadt von Tosh Gitonga

 

und hier ein Beitrag über den Film "Mediterranea" – authentisches Flüchtlings-Drama in Süditalien von Jonas Carpignano.

 

Ihr von der Mehrheitsgesellschaft ignoriertes Milieu bietet einerseits etwas Nestwärme in der Fremde, andererseits geht es darin rau zu – ein komplexes Geflecht aus Freundschaft und Ausbeutung. Ähnlich sieht es in Kojos alter Heimat aus: Seine Auftritte als reicher Pinkel bringen das Sozialgefüge durcheinander und ihn in Zugzwang.

 

Um nicht das Gesicht zu verlieren, muss er fortlaufend die family tax bezahlen; Wohlhabende gelten für ihr Umfeld als wandelnde Bankautomaten. In vielen Entwicklungsländern machen Überweisungen von Emigranten aus dem Ausland einen erheblichen Teil des Nationaleinkommens aus.

 

Heimat des Prinzips Hoffnung

 

Afrikaner nicht als bedürftige und bemitleidenswerte Flüchtlinge, sondern als findige und tatkräftige Kleinunternehmer, die sich in kulturellen Dilemmata zwischen Herkunft und Ankunft verfangen: Das ist ein völlig neues Rollenprofil im hiesigen Kino. Allein diese Innovation rechtfertigt schon die zahlreichen Preise, die „Borga“ bereits eingeheimst hat.

 

Dazu kommen noch etliche genau beobachtete Details, die der Film beiläufig vorführt – wann wäre die Gruppendynamik in afrikanischen Familien oder die Eskalation von Gewalt unter Slumbewohnern so realistisch und nachvollziehbar dargestellt worden? Da sieht man dem Regisseur gerne nach, dass er seine Story nicht mit Scheitern enden lässt; Afrika ist auch der Heimatkontinent des Prinzips Hoffnung. All das macht „Borga“ zu einem kleinen, funkelnden Meisterwerk.