Sönke Wortmann

Contra

Äpfel mit Birnen vergleichen: Naima (Nilam Farooq, l.) und ihr Mentor, Professor Pohl (Christoph Maria Herbst, r.) verstehen einander allmählich trotz ihrer Unterschiede. Foto: © 2020 Constantin Film Verleih GmbH
(Kinostart: 28.10.) Pygmalion im Uni-Hörsaal: Ein arroganter Professor trainiert eine Migranten-Studentin für Debatten-Wettbewerbe. Das Remake einer französischen Komödie gerät sehr deutsch: Regisseur Sönke Wortmann zeichnet Figuren und Milieus sorgfältig, aber mit wenig Esprit.

Über fehlende Chancengleichheit für Migranten im Bildungssektor wird in Frankreich schon länger diskutiert als hierzulande. Auch das französische Kino verhandelt das Thema eigentlich in fast jeder Culture-Clash-Komödie. 2017 machte Regisseur Yvan Attal daraus eine feinsinnige Dramödie: Er spannte in „Die brillante Mademoiselle Neïla“ eine algerischstämmige Studentin mit einem hochmütigen Professor zusammen; beide lieferten sich pointierte Wortgefechte.

 

Info

 

Contra

 

Regie: Sönke Wortmann,

103 Min., Deutschland 2020;

mit: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Ernst Stötzner

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diesen charmanten Schlagabtausch hat Komödienspezialist Sönke Wortmann nun auf deutsche Verhältnisse angepasst. Offenbar will er damit ein Erfolgsrezept wiederholen: Sein letzter Film „Der Vorname“ (2018) war eine Adaption der französischen Komödie „Le Prénom“ von 2012. Epidemiebedingt kommt „Contra“ mit einem Jahr Verspätung ins Kino; es beginnt mit dem fast idyllischen Vor-Corona-Betrieb an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

 

Zu spät beim ersten Auftritt

 

In die Einführungsvorlesung für Jura-Erstsemester von Starprofessor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) platzt Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) verspätet in den vollen Hörsaal hinein. Der Ehrerbietung gewohnte Herr fühlt sich gestört. Er beleidigt die junge Frau vor allen Zuhörern mit einer rassistischen Bemerkung; im Internet-Zeitalter wird derlei sofort viral verbreitet.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Paris nach Frankfurt verlegt

 

Das kann die Uni-Leitung nicht ignorieren. Sie verdonnert den misanthropischen Professor dazu, die gekränkte Studentin auf einen prestigeträchtigen Debattier-Wettbewerb deutscher Universitäten vorzubereiten. Viele Chancen billigt man ihr nicht zu; stattdessen soll Pohl die Gelegenheit bekommen, sich reinzuwaschen, bevor er vor dem akademischen Disziplinarausschuss antreten muss. Davon weiß Naima nichts; also lässt sie sich widerwillig auf das Angebot ein. So unsympathisch Pohl auch sein mag – sie kann viel von ihm lernen.

 

Die Ausgangskonstellation übernimmt Wortmann originalgetreu von der französischen Vorlage, deren dramaturgischem Gerüst er ebenfalls folgt. Einzelheiten sind jedoch an deutsche Verhältnisse angepasst; so wird die Handlung aus Paris nicht nach Berlin, sondern in die Rhein-Main-Metropole verlegt. In der deutschen Großstadt mit dem höchsten Anteil migrantischer Einwohner prallen die Lebenswelten biodeutscher Wohlstandsbürger und beengt in Wohnsilos hausender Zuzügler kontrastreicher aufeinander.

 

Zwischen Uni + Essen beim Italiener

 

Mit viel Sorgfalt schildert der Film Naimas Lebensverhältnisse zwischen resigniertem Teenager-Bruder und einer Mutter, die für ihre McJobs überqualifiziert ist. Geld ist immer knapp, der Aufenthaltsstatus der Familie fragil. Seine Einbürgerung kann vorerst nur Naimas Sandkastenfreund Mo (Hassan Akkouch) feiern, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hat. Pohls einsames Dasein spielt sich hingegen zwischen Uni und seinem Lieblingsitaliener ab, bei dem er allabendlich speist.

 

Ihren Studienplatz hat sich Naima hart erkämpft. Sie ist nie um eine schlagfertige Antwort oder einen kessen Spruch verlegen; allerdings ist ihre Ausdrucksweise nicht so raffiniert, dass man sie in akademischen Kreisen wirklich ernst nehmen würde. Pohl erkennt aber rasch ihr rhetorisches Talent und fordert sie heraus, indem er sie mit Klischees über Herkunft und Status konfrontiert: Kopftuch, Burka oder Unterschichts-Kleidungsstil.

 

Guter Wille statt Überraschungen

 

Das ungleiche Duo aus arrogantem Professor und so redegewandter wie großherziger Studentin harmoniert verblüffend gut. Herbst gelingt es, beim Zyniker Pohl verborgene Wärme durchscheinen zu lassen – ihn plagt der Schmerz eines traumatischen Erlebnisses. Tatsächlich ist es der Schmerz, der die beiden gegensätzlichen Charaktere miteinander verbindet; dadurch lernen sie, sich gegenseitig zu respektieren. Allerdings verläuft ihre Annäherung sehr reibungslos.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die brillante Mademoiselle Neïla" - geistreiche Tragikomödie über eine Studentin als Rhetorik-Ass von Yvan Attal; der französische Film war die Vorlage für "Contra"

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Vorname" - witzige Tragikomödie über bürgerliche Milieus von Sönke Wortmann mit Christoph Maria Herbst 

 

und hier einen Bericht über den Film "Schoßgebete" - Verfilmung des Bestsellers von Charlotte Roche als Sex-Neurosen-Chronik von Sönke Wortmann.

 

Der deutschen Fassung fehlen manche Überraschungen, die dem französischen Original seinen Reiz verliehen; funkelnder Esprit wird durch volkspädagogisch erwünschten guten Willen ersetzt. Ein Beispiel: Um ihr Lampenfieber abzubauen, lässt Daniel Auteuil seinen Schützling Neïla Auszüge aus „Julius Cäsar“ von Shakespeare im voll besetzten U-Bahn-Waggon vortragen. Was sie mit Bravour meistert; alle Passagiere sind beeindruckt. In „Contra“ stellt sich Christoph Maria Herbst vor die Frankfurter Oper und deklamiert selbst Zeilen aus Goethes „Faust“ – Naima bleibt nur die Rolle der Zuhörerin.

 

Verlustreicher Kulturtransfer

 

Da versteht sich quasi von selbst, dass sie beim Debatten-Wettbewerb an keiner Hürde strauchelt und eine Runde nach der anderen gewinnt, bis sie im Bundesfinale steht. Auch die Enthüllung, dass Pohl sich ihrer nur angenommen hat, um seiner Suspendierung vorzubeugen und seine Karriere zu retten, kann ihren Siegeszug nur kurz aufhalten. Die Zulassung als Anwältin wird zum verdienten Lohn für ihre Mühen. Das geht alles arg glatt; bei Bedarf helfen kleine Tanzeinlagen zum Stressabbau.

 

Man mag Regisseur Wortmann zugute halten, dass er sein Sujet weder als Sittenkomödie noch als Problemdrama abhandelt, sondern Bildungsgefälle und soziale Mobilität mit den nötigen Zwischentönen behandelt. Doch sein Bemühen, allen gesellschaftlich relevanten Aspekten gerecht zu werden, wirkt etwas bemüht.  Eloquenz und rhetorische Brillanz des Vorbilds gehen dabei flöten – wie meist, wenn Deutsche französische Kultur und Lebensart nachahmen wollen.