
Im Jahr 1920 kehrt ein Trupp österreichischer Soldaten auf einem Donaukahn aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Wien. Gerade als sie einen verstorbenen Kameraden über Bord werfen, erreichen sie ihr Ziel. Doch sie finden nicht mehr die Stadt vor, die sie kannten; so wie auch sie nicht mehr dieselben Menschen sind. Alle Gebäude und Wahrzeichen wie der Stephansdom und Hauptbahnhof, der Prater und sein Riesenrad, stehen zwar noch – aber alles schräg und quer zueinander, schiefe Winkel allerorten.
Info
Hinterland
Regie: Stefan Ruzowitzky,
99 Min., Österreich/ Deutschland/ Luxemburg/ Belgien 2021;
mit: Murathan Muslu, Liv Lisa Fries, Maximilian von der Groeben
Weitere Informationen zum Film
Schlaflos im weichen Bett
In den Köpfen der Heimkehrer herrscht ähnliches Durcheinander. Sie leiden an dem, was wir heute Posttraumatisches Stresssyndrom (PTSD) nennen. Nachdem der Trupp sich aufgelöst hat, folgt die Erzählung zunächst ihrem Anführer, Oberstleutnant Peter Perg. Der hat vor dem Krieg geheiratet, wie sich herausstellt. Während seine Kameraden im Obdachlosenasyl landen, kehrt Perg in seine leere Wohnung zurück; seine Familie hat auf dem Land Zuflucht gesucht. Schlaf findet er in seinem weichem Bett jedoch nicht.
Offizieller Filmtrailer
Düster, aber gewöhnlich
Die Fahrt zu Frau und Kind schiebt er auf. Für ihn, der vor dem Krieg ein erfolgreicher Polizeiermittler war, gibt es umgehend Arbeit: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen, der seine Opfer grausig zugerichtet hinterlässt. Perg ahnt ziemlich schnell, was den Killer umtreibt. Mithilfe einer seit Jahren in ihn vernarrten Ärztin (Liv Lisa Fries) und seines mittlerweile die Karriereleiter hoch gekletterten Ex-Kollegen (Max van der Groeben) will er ihn nun stoppen.
So entwickelt sich „Hinterland“ zu einem düsteren, aber im Grunde gewöhnlichen Kriminalfilm, der sich von seinem Serien-Pendant „Babylon Berlin“ optisch angenehm abhebt. Die Kulissen sind malerisch dunkel, die Leichenfunde so grausig inszeniert wie in David Finchers Neo-Noir-Thriller „Sieben“ (1995). Die Psyche der Akteure wird mit Licht und Schatten subtil ausgeleuchtet. Die eingestreuten Artefakte aus Malerei, Photographie und Musik sind gründlich recherchiert; sie werden präzise im Dienste der Geschichte platziert.
Simpel, fad, vorhersehbar
Doch die Dialoge klingen hölzern; sie schwanken unentschlossen zwischen anachronistischer und zeitgenössischer Sprache, Dialekt und Hochdeutsch. Auch fehlt dem Drehbuch der ätzende Humor, mit dem wohl nur Wiener wie der Volkstheater-Dramatiker Johann Nestroy oder der Publizist Karl Kraus der untergründigen Bosheit der Stadt zuleibe rücken konnten.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Narziss und Goldmund" - Adaption des Romanklassikers von Hermann Hesse als Abenteuerfilm von Stefan Ruzowitzky
und hier eine Besprechung des Films "Frantz" - subtiles Kammerspiel über Hinterbliebene nach dem Ersten Weltkrieg von François Ozon,
und hier ein Beitrag über den Film "1917" - meisterlich suggestiv gefilmtes Drama über den Ersten Weltkrieg von Sam Mendes
und hier einen Bericht über "Somnambule - erstes internationales Caligari-Festival" zur Nachwirkung des Stummfilm-Klassikers in der Brotfabrik, Berlin.
Leider keine Femme fatale
Der originelle Geniestreich, der sich anfangs abzuzeichnen scheint, ist diese österreichisch-luxemburgisch-belgisch-deutsche Melange also nicht – sondern eher ein Hinweis darauf, was „Berlin Babylon“ hätte werden können anstelle von überteuert ausgestattetem TV-Durchschnitt. Woran auch Liv Lisa Fries erinnert, die schauspielerisch in beiden 1920er-Jahre-Welten unterwegs ist.
In „Hinterland“ wirkt sie leider etwas blass; das liegt nicht nur am Make-up. Weil der Plot sich ohnehin am amerikanischen Film Noir orientiert, wäre sie als Femme fatale sicher interessanter gewesen denn als seltsame Mischung aus Fan, Kollegin und love interest. Am ehesten bleibt dagegen der Hauptdarsteller in Erinnerung. Murathan Muslu sieht nicht nur trotz oder wegen seiner leichten Kriegsentstellung unglaublich gut aus, sein nuanciertes Spiel trägt den Film auch über eher seichte Passagen.