Stefan Ruzowitzky

Hinterland

Kriminalinspektor Peter Berg (Murathan Muslu) blickt auf Wien. Foto: © SquareOne Entertainment
(Kinostart: 7.10.) Düsteres Kriminalspiel: Kaum zurück aus der Kriegsgefangenschaft, muss Oberstleutnant Perg es mit einem Serienmörder aufnehmen – Regisseur Stefan Ruzowitzky inszeniert einen historischen Thriller in expressionistischer Kulisse.

Im Jahr 1920 kehrt ein Trupp österreichischer Soldaten auf einem Donaukahn aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Wien. Gerade als sie einen verstorbenen Kameraden über Bord werfen, erreichen sie ihr Ziel. Doch sie finden nicht mehr die Stadt vor, die sie kannten; so wie auch sie nicht mehr dieselben Menschen sind. Alle Gebäude und Wahrzeichen wie der Stephansdom und Hauptbahnhof, der Prater und sein Riesenrad, stehen zwar noch – aber alles schräg und quer zueinander, schiefe Winkel allerorten.

 

Info

 

Hinterland

 

Regie: Stefan Ruzowitzky,

99 Min., Österreich/ Deutschland/ Luxemburg/ Belgien 2021;

mit: Murathan Muslu, Liv Lisa Fries, Maximilian von der Groeben

 

Weitere Informationen zum Film

 

Regisseur Stefan Ruzowitzky hat sich bei der Kulissen-Gestaltung am deutschen Expressionismus orientiert, vor allem an Robert Wienes Stummfilmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von 1920; aber auch an der Malerei von George Grosz, Otto Dix und anderen. Es ist ein Triumph der Bühnenmalerei, der den Film von Beginn an mit einem düsteren Grundton unterlegt.

 

Schlaflos im weichen Bett

 

In den Köpfen der Heimkehrer herrscht ähnliches Durcheinander. Sie leiden an dem, was wir heute Posttraumatisches Stresssyndrom (PTSD) nennen. Nachdem der Trupp sich aufgelöst hat, folgt die Erzählung zunächst ihrem Anführer, Oberstleutnant Peter Perg. Der hat vor dem Krieg geheiratet, wie sich herausstellt. Während seine Kameraden im Obdachlosenasyl landen, kehrt Perg in seine leere Wohnung zurück; seine Familie hat auf dem Land Zuflucht gesucht. Schlaf findet er in seinem weichem Bett jedoch nicht.

Offizieller Filmtrailer


 

Düster, aber gewöhnlich

 

Die Fahrt zu Frau und Kind schiebt er auf. Für ihn, der vor dem Krieg ein erfolgreicher Polizeiermittler war, gibt es umgehend Arbeit: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen, der seine Opfer grausig zugerichtet hinterlässt. Perg ahnt ziemlich schnell, was den Killer umtreibt. Mithilfe einer seit Jahren in ihn vernarrten Ärztin (Liv Lisa Fries) und seines mittlerweile die Karriereleiter hoch gekletterten Ex-Kollegen (Max van der Groeben) will er ihn nun stoppen.

 

So entwickelt sich „Hinterland“ zu einem düsteren, aber im Grunde gewöhnlichen Kriminalfilm, der sich von seinem Serien-Pendant „Babylon Berlin“ optisch angenehm abhebt. Die Kulissen sind malerisch dunkel, die Leichenfunde so grausig inszeniert wie in David Finchers Neo-Noir-Thriller „Sieben“ (1995). Die Psyche der Akteure wird mit Licht und Schatten subtil ausgeleuchtet. Die eingestreuten Artefakte aus Malerei, Photographie und Musik sind gründlich recherchiert; sie werden präzise im Dienste der Geschichte platziert.

 

Simpel, fad, vorhersehbar

 

Doch die Dialoge klingen hölzern; sie schwanken unentschlossen zwischen anachronistischer und zeitgenössischer Sprache, Dialekt und Hochdeutsch. Auch fehlt dem Drehbuch der ätzende Humor, mit dem wohl nur Wiener wie der Volkstheater-Dramatiker Johann Nestroy oder der Publizist Karl Kraus der untergründigen Bosheit der Stadt zuleibe rücken konnten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Narziss und Goldmund" - Adaption des Romanklassikers von Hermann Hesse als Abenteuerfilm von Stefan Ruzowitzky

 

und hier eine Besprechung des Films "Frantz" - subtiles Kammerspiel über Hinterbliebene nach dem Ersten Weltkrieg von François Ozon,

 

und hier ein Beitrag über den Film "1917" - meisterlich suggestiv gefilmtes Drama über den Ersten Weltkrieg von Sam Mendes

 

und hier einen Bericht über "Somnambule - erstes internationales Caligari-Festival" zur Nachwirkung des Stummfilm-Klassikers in der Brotfabrik, Berlin.

 

 

Zudem ist der Plot relativ simpel gestrickt, die eingeflochtene Liebesgeschichte fad und all das Proto-Profilertum, das sich historische Krimis einfach nicht verkneifen können, ist letztlich umsonst, da der Killer es auch auf Perg persönlich abgesehen hat. Das Finale im Dachstuhl des Stephansdoms war von Beginn an unausweichlich. Und wer am Anfang aufgepasst hat, kann zwar nicht wissen, wer der Mörder ist, aber weiß immerhin, wer ihn spielt.

 

Leider keine Femme fatale

 

Der originelle Geniestreich, der sich anfangs abzuzeichnen scheint, ist diese österreichisch-luxemburgisch-belgisch-deutsche Melange also nicht – sondern eher ein Hinweis darauf, was „Berlin Babylon“ hätte werden können anstelle von überteuert ausgestattetem TV-Durchschnitt. Woran auch Liv Lisa Fries erinnert, die schauspielerisch in beiden 1920er-Jahre-Welten unterwegs ist.

 

In „Hinterland“ wirkt sie leider etwas blass; das liegt nicht nur am Make-up. Weil der Plot sich ohnehin am amerikanischen Film Noir orientiert, wäre sie als Femme fatale sicher interessanter gewesen denn als seltsame Mischung aus Fan, Kollegin und love interest. Am ehesten bleibt dagegen der Hauptdarsteller in Erinnerung. Murathan Muslu sieht nicht nur trotz oder wegen seiner leichten Kriegsentstellung unglaublich gut aus, sein nuanciertes Spiel trägt den Film auch über eher seichte Passagen.