
„Redemption Now“ ist ein unschlagbar attraktiver Ausstellungstitel: Erlösung jetzt! Wer kann dazu schon nein sagen? Allerdings wird diese Verheißung im Jüdischen Museum Berlin (JMB) nicht eingelöst, weil begreiflicherweise weder die israelische Künstlerin noch die Kuratoren sie wörtlich nehmen – sondern nur als Fluchtpunkt ihrer Reflexionen. Nicht nur das hinterlässt beim Besucher ein leichtes Katergefühl.
Info
Yael Bartana –
Redemption Now
04.06.2021 – 21.11.2021
täglich 10 bis 19 Uhr
im Jüdischen Museum Berlin, Lindenstr. 9-14
Begleitbuch 42 €
Über Dünen bei Tel Aviv rasen
Die israelische Herkunft der 1970 geborenen Künstlerin, die zionistisch-säkular aufwuchs, kommt in den folgenden Video-Installationen zur Geltung. Alle entstanden 2003: „When Adar enters“ und „Ad de´lo Yoda“ porträtieren orthodoxe Juden während des Purim-Festes. Ein bizarrer Macho-Freizeitspaß ist in „Kings of the Hill“ zu bestaunen: Möchtegern-Rallyepiloten jagen ihre Geländewagen über steile Dünen nahe Tel Aviv.
Impressionen der Ausstellung
Dollar-Bomber + Menora-Helikopter
Ebenfalls spielerisch, aber mit ernstem Hintergrund, vergnügen sich in „Wild Seeds“ (2005) Jugendliche auf einem Hügel: Eine Gruppe verschlingt und verknotet ihre Leiber, eine andere versucht, sie auseinander zu reißen und fort zu tragen. Wie Soldaten es müssen, wenn sie Protestkundgebungen militanter jüdischer Siedler auflösen. Diese vier Dokumentationen bieten anschauliche Einblicke in israelischen Alltag, wirken aber wie Fingerübungen im Vergleich zum Folgenden.
Programmatisch kündigt die Tapete „Waiting for the Messiah“ (2014) das Kommende an: Auf einem großformatigen Druck im Stil einer Federzeichnung umschwirren Dollar-Bomber und Menora-Helikopter das alte, brennende Jerusalem und das „neue Jerusalem“ in Sȃo Paulo. Ein 15-minütiger Audio-Vortrag raunt aus ferner Zukunft über eine „Simone die Unergründliche“, die als Mann in Jerusalem auf mysteriöse Weise schwanger wurde und damit einen religiösen Bürgerkrieg auslöste.
Rückkehr von Juden nach Polen
Solche Arbeiten nennt Bartana „pre-enactment“: Aus vermeintlich künftiger Perspektive rekonstruiert sie, welche Ereignisse bis dahin hätten geschehen können. Das überzeugendste Beispiel für diesen Ansatz bietet am Ende des Parcours „And Europe Will Be Stunned“ („Und Europa wird verblüfft sein“, 2007-11). Dieser Werkkomplex kreist um das von ihr erfundene „Jewish Renaissance Movement in Poland“ (JRMiP): Es soll mehr als drei Millionen polnischstämmiger Juden die Rückkehr in die Heimat ihrer Vorväter ermöglichen.
Dazu dient eine Video-Trilogie. Im ersten Teil „Alpträume“ hält ein junger Führer im verlassenen, grasüberwachsenen Nationalstadium in Warschau eine mitreißende Rede über die segensreiche Wirkungen, die jüdische Remigration nach Polen entfalten würden. Allerdings lauscht ihm nur eine Schar Pfadfinder. Im zweiten Teil „Mauer und Turm“ errichten JRMiP-Aktivisten an der Stelle des früheren Warschauer Ghettos einen Kibbuz. Ihre Ausstattung, die Kameraführung und hymnische Chöre auf der Tonspur entsprechen dem Schema stalinistischer Planübererfüllungs-Propaganda.
Abschied vom aufgebahrten Führer
Im dritten Teil „Ermordung“ hat ein unbekannter Attentäter den jungen Führer getötet; nun wird er im Warschauer Kulturpalast aufgebahrt. Trauernde JRMiP-Mitglieder nehmen von ihm Abschied und richten eine pompöse Gedenkfeier aus. Ihre Choreographie entspricht in Ikonographie und Pathosformeln den Standards diktatorischer Regime im 20. Jahrhundert – ein gespenstischer Déjà-vu-Effekt.
Tatsächlich war Europa verblüfft: 2011 repräsentierte Bartana mit ihrer Aufsehen erregenden Schöpfung Polen auf der Biennale von Venedig. Ein Jahr später inszenierte sie auf der 7. Berlin-Biennale einen „JRMiP-Kongress“ als Höhepunkt des ansonsten recht rabaukigen Agitprop-Spektakels; einige Memorabilia-Überbleibsel sind in der Schau zu sehen.
Restitutions-Debatten antizipiert
An dieser Arbeit fasziniert immer noch ihre Ambivalenz: einerseits das Recycling einer totalitären, überwunden geglaubten Ästhetik – die aber weiterhin zu motivieren und mobilisieren vermag. Andererseits ein politisches Anliegen, das abstrus und illusionär wirkt – doch auch positive Effekte zeitigen würde, ließe es sich umsetzen. Ohne es zu ahnen, nahm Bartana manche radikalen Rückgabe-Forderungen in heutigen Restitutions-Debatten vorweg: „pre-enactment“ im besten Sinne.
Ein solcher Geniestreich ist der Künstlerin seither nicht mehr geglückt. Am ehesten noch mit „Inferno“ (2013): Darin lässt sie den Nachbau des Salomonischen Tempels, den eine evangelikale Freikirche in Sȃo Paulo errichtet hat, im apokalyptischen Flammenmeer untergehen. Der Film war in der Jerusalem-Schau des JMB 2018/9 zu sehen, wird aber diesmal leider nicht gezeigt.
Speers Germania im Wannsee
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der "Neuen Dauerausstellung" ab August 2020 im Jüdischen Museum Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Jahrhundertzeichen – Tel Aviv Museum of Art visits Berlin" mit dem Beitrag "JRMiP" von Yael Bartana im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Bericht über das Festival "Kino der Kunst 2015" mit dem Beitrag "Inferno" von Yael Bartana in München
und hier ein Beitrag über die "7. Berlin-Biennale" 2012 mit dem Beitrag "JRMiP" von Yael Bartana in den KW, Berlin.
Ebenso wenig mit der äußerst aufwändigen Auftragsarbeit für die Werkschau im JMB: Die Dreikanal-Videoinstallation „Malka Germania“ („Königin Deutschland“) imaginiert die Ankunft des Messias in Berlin. Eine androgyne Frau mit blondem Kurzhaar, Typ Tilda Swinton, reitet in heller Kleriker-Kluft auf einem Esel durch die Stadt à la Einzug nach Jerusalem – vorbei an historisch bedeutsamen Orten wie Siegessäule, Reichstag und Flughafen Tempelhof. Bedrückte Bundesrepublikaner folgen ihr durch den Wald, israelische Soldaten überkleben Straßenschilder mit hebräischen Schriftzügen. Am Ende steigt ein monströses Modell von Albert Speers größenwahnsinnigen „Reichshauptstadt Germania“-Entwürfen aus dem Wannsee auf wie ein Unterwasser-Ufo.
Uncharismatische Heilsgestalt
Was am JRMiP-Komplex zwingend wirkte, die Ausrichtung aller Details an einer zündenden Grundidee, zerfasert in „Malka Germania“ zu lauter Versatzstücken. Sie kommen bedeutungsschwanger daher, erscheinen aber reichlich beliebig. Zumal der stummen Königin trotz markanter Züge jedes Charisma fehlt, ohne das eine Heilsgestalt kaum auskommt. So führt auch diese Ausstellung nicht das Ende aller Zeiten herbei. Die angekündigte Erlösung durch Videokunst bleibt aus; das Publikum muss weiter im irdischen Jammertal leben.