Chiara Mastroianni

Zimmer 212 – In einer magischen Nacht 

Richard Warrimer (Vincent Lacoste) muss sich zwischen Irene Haffner (Camille Cottin, li.) und Maria Mortemart (Chiara Mastroianni, re.) entscheiden. Foto: Olymp Film
(Kinostart: 14.10.) Die Geister, mit denen sie schlief: Eine notorische Ehebrecherin wird mit all ihren Liebhaber gleichzeitig konfrontiert. Regisseur Christophe Honoré kreuzt Psychoanalyse mit Screwball-Komödie – für eine feinsinnig sinnliche Gespenster-Schau.

Beziehungspause leicht gemacht: Nachdem Ehemann Richard (Benjamin Biolay) herausgefunden hat, dass seine Frau Maria (Chiara Mastroianni) ihn seit vielen Jahren mit jüngeren Männern betrügt, stopft sie eine Tasche mit dem Nötigsten voll, geht quer über die Straße – und quartiert sich im Hotel gegenüber ein. Von ihrem Zimmer 212 aus hat sie beste Sicht auf die Panoramafenster der gemeinsamen Wohnung, um Richard zu beobachten.

 

Info

 

Zimmer 212 -
In einer magischen Nacht

 

Regie: Christophe Honoré,

97 Min., Frankreich/ Belgien/ Luxemburg 2019;

mit: Chiara Mastroianni, Benjamin Biolay, Vincent Lacoste

 

Weitere Informationen zum Film

 

Während der einsam vor sich hin wütet und brütet, bekommt Maria unerwartet Gesellschaft. Plötzlich liegt im Nebenzimmer Richard auf dem Bett – aber als 25-Jähriger, als Maria ihn kennen und lieben lernte. Der junge Richard (Vincent Lacoste) macht ihr erst Vorwürfe, wie sie ihn so grausam behandeln könne, verfällt aber rasch ihren Reizen.

 

Klavierspiel + Nachwuchshoffnung

 

Als nächste taucht Irène Haffner (Camille Cottin) auf. Sie war Richards Klavierlehrerin und erste große Liebe; ihre Beziehung endete, als er sich mit Maria verlobte. Was die damalige Irène nie verwunden hat; sie blieb unverheiratet. Nun hofft sie, endlich am Ziel ihrer Wünsche zu sein: Sie wechselt die Straßenseite, spielt ihrem früheren Schüler auf dem Piano vor und verspricht ihm Kinder, die er mit Maria nie bekam – muss aber enttäuscht von dannen ziehen.

Offizieller Filmtrailer OmdU


 

Vom Jugendbuch zum Film

 

Derweil bevölkert sich Marias Hotelzimmer. Ihre tote Mutter und Großmutter zählen eine Liste all ihrer Seitensprünge auf; die genannten Jünglinge machen es sich überall im Raum bequem oder gehen aufeinander los. Ein schräger Conférencier, der sich als Marias Wille vorstellt, versucht vergeblich, in diesem Figuren- und Gefühls-Chaos Ordnung zu schaffen. Die Geplagte flüchtet mit Irène zu deren Haus am Meer. Dort treffen sie auf die heutige Irène (Carole Bouquet), die alles viel gelassener sieht – da sie Frauen den Männern vorzieht.

 

Solche ständigen Sprünge in den Konstellationen und Zeitebenen könnten verwirrend oder aufgesetzt wirken, wäre „Zimmer 212“ nicht ein Film von Christophe Honoré. Er fing als Autor von Kinder- und Jugendbüchern an und wechselte später als Dramatiker und Regisseur zum Theater, bis er ab dem Jahr 2000 fünfzehn Filme drehte. Fast alle handeln von den Irrungen und Wirrungen der Liebe, die Honoré mit leichter Hand skizziert und zugleich scharfsichtig seziert. Dabei arbeitet er gern mit den gleichen Darstellern zusammen.

 

Geistwesen als Stammpersonal

 

In fünf seiner letzten acht Filme wirkt Chiara Mastroianni mit; diesmal an der Seite von Benjamin Biolay, dem gelegentlich schauspielernden Star des „Nouvelle Chanson“. Mit ihm war sie von 2002 bis 2005 auch verheiratet; die beiden könnten also Szenen ihrer Ehe nachspielen. Deren Scheitern verwunderte wenig, wenn Biolay auch im Privatleben derart zerknautscht in Strickjacke, Bermuda-Shorts und Liebestöter-Wollsocken herumschlurft. Dagegen erscheint Vincent Lacoste immer noch so rosig frisch wie in der Hauptrolle von Honorés HIV-Drama „Sorry Angel“ (2018).

 

Was man von der Grundidee nicht sagen kann: Seit Hamlets Vater- und Macbeths Wahn-Visionen zählen Geistwesen, die Verdrängtes repräsentieren, zum Stammpersonal der europäischen Literatur. Das kreuzt Honoré mit der Psychoanalyse, indem er Marias gesamtes Liebesleben samt Verwandtschaft als Wiedergänger aufmarschieren lässt: Sie lernt im Zeitraffer, wann und wie sie andere beglückt oder verletzt hat. Die erfahren wiederum, dass ihre einstigen Hoffnungen oder Ängste sich oft im Lauf der Zeit von selbst erledigt haben.

 

Neues Täter-Opfer-Schema

 

Radikal zeitgenössisch ist jedoch die feministische Volte der Konstruktion. Dass alternde Gatten sich über erloschenes Begehren in der Ehe mit wechselnden Geliebten hinwegtrösten, gilt gemeinhin als üblich – wie die ohnmächtige Verbitterung ihrer hintergangenen Gattinnen. Dieser Film kehrt das um: Maria spielt ihre Affären als erotischen Freizeitspaß ohne größere Bedeutung herunter – während der verzweifelte Richard beteuert, dass er sie nie betrogen hat. Und nicht einmal jetzt fremdgehen kann, um sich zu rächen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Sorry Angel" - realistisches Aids-Drama über einen HIV-positiven Schriftsteller von Christophe Honoré mit Vincent Lacoste

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein" - hervorragendes Musical-Melodram von Christophe Honoré mit Chiara Mastroianni

 

und hier einen Beitrag über den Film "Einsam Zweisam (Deux moi)" - warmherzige Pariser Großstadt-Romanze von Cédric Klapisch mit Camille Cottin

 

und hier ein Bericht über den Film "Unter dem Regenbogen" – feinsinnige Dramödie von Agnès Jaoui mit "Nouvel Chanson"-Star Benjamin Biolay.

 

Dabei interessiert den Regisseur weniger die Triebökonomie an sich als ihre wortreiche Vernebelung. Ihn inspirierte die klassische Screwball-Komödie „Die schreckliche Wahrheit“ (1937): Darin machen Irene Dunne und Cary Grant als probeweise geschiedene Eheleute sich gegenseitig mit Liebeleien eifersüchtig, bis sie wieder zueinander finden. „Zimmer 212“ brennt ebenso ein Feuerwerk aus Szenenwechseln und Dialog-Kaskaden mit sehr französischem Esprit ab; manchmal kommt man beim Lesen der Untertitel kaum hinterher.

 

Alles dreht sich um Musik

 

Zusammengehalten wird das anarchisch-amouröse Potpourri vor allem durch Musik. Sie spielt in Honorés Filmen häufig eine tragende Rolle: In „Chanson der Liebe“ (2007) und „Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein“ (2011) sangen die Protagonisten etliche Monologe. Ganz unvermittelt; wie Menschen zuweilen trällern, wenn ihnen das Herz übergeht.

 

Diesmal dienen eine Sonate des Barockkomponisten Scarlatti und eine Schnulze von Barry Manilow als Leitmotive, um die sich manche Szenen drehen – im Wortsinne. Wie es sich für eine echte Screwball-Komödie gehört, wird alles durcheinander gewirbelt und auf den Kopf gestellt, nur um am Ende wieder ins Lot zu geraten: Maria nimmt Richards Einladung zum Abendessen an.