Gäbe es ein Ranking der beliebtesten Oma-Weisheiten, wäre „Liebe geht durch den Magen“ mindestens in den Top Drei. Essen ist Zuwendung, manchmal Trost und mitunter Status – wie ein Besuch im Sterne-Restaurant. Diese Art der teuren Freizeitgestaltung ist eine Erfindung der Neuzeit. Die Geschichte ihrer Entstehung serviert der neue Film von Éric Besnard farbenprächtig und charmant erfunden; der französische Regisseur hatte 2015 schon „Birnenkuchen mit Lavendel“ appetitlich aufgetischt.
Info
À la Carte! –
Freiheit geht durch den Magen
Regie: Eric Besnard,
112 Min., Frankreich 2021;
mit: Grégory Gadebois, Isabelle Carré, Benjamin Lavernhe
Weitere Informationen zum Film
Schweinefutter für den Adel
Beim entscheidenden Empfang leistet sich Manceron allerdings einen Fauxpas: Er lässt zwischen den Gängen eine eigene Neuschöpfung kredenzen. Pastete mit Trüffeln und Kartoffeln – ein Skandal, denn beide Zutaten gelten als Schweinefutter. Manceron wird entlassen und macht sich mit seinem halbwüchsigen Sohn Benjamin (Lorenzo Lefèbvre) auf den Weg zurück in die Provinz. In der alten Backstube seines verstorbenen Vaters warten aber nur noch nackte Wände auf ihn. Seine Leidenschaft für das Kochen sieht er hier begraben; lustlos backt er Brot für Vorbeireisende.
Offizieller Filmtrailer
Das Buffet der Revolution
Eines Tages jedoch taucht eine geheimnisvolle Frau auf, die bei ihm das Kochen lernen möchte – ein unerhörtes Ansinnen. Aber weil er neugierig ist und ihr nicht glaubt, dass sie eine entlaufene Marmeladenköchin ist, nimmt er sie als Lehrling auf. Talent und Geschmack hat die Dame namens Louise (Isabelle Carré) jedenfalls. Und sie lenkt ihn von seinem Trübsal ab: Während Manceron Louise in die Geheimnisse der Haute Cuisine einweiht, kommen die beiden sich langsam näher.
Der eifrig Rousseau lesende Benjamin hat seinen Vater mit dem aufklärerischen Zeitgeist angesteckt – seine Idee, dass es gute Küche für alle geben sollte, überzeugt Manceron. Mit Louise und seinem Sohn eröffnet er schließlich ein revolutionäres Buffet: Bauern und Handwerker werden ebenso satt wie Bourgeoisie und Adel – und wieder verbreitet sich der Ruhm seiner Kochkünste.
Haute Cuisine für das Volk
Als der Herzog de Chamfort sich zur Rast auf einer Landpartie ankündigt, lebt Manceron wieder auf. Geschäftig bereitet er die feinsten Speisen vor – und muss am Ende der Mahlzeit sein Lokal schließen, weil es dem Herzog nicht gefällt, mit gemeinem Volk an einem Tisch zu sitzen. Aber Manceron lässt sich nicht unterkriegen. Mit Benjamin und Louise eröffnet er doch wieder ein schönes Gasthaus; einen „Ort der Erholung und Erquickung für alle“, wie er es nennt – das erste Restaurant.
Historische Ereignisse mit Wohlfühlkino verbinden kann man in Frankreich sehr gut. Die Haute Cuisine gehört zur Nationalkultur, und es ist trifft zu, dass nach der Entmachtung des Adels durch die Revolution viele nun arbeitslose Köche nach Alternativen suchten – ab 1790 eröffneten sie etliche Lokale vor allem in Paris. Besnard greift in seinem Film dieser Entwicklung etwas vor, indem er seine Hauptfigur zum Erfinder des modernen Restaurantkonzepts mit À-la-Carte-Menü nobilitiert.
Feinschmecker und Freigeist
Diese Revolution findet in der malerischen Provinz statt – das erhöht nicht nur den Schauwert, den auch die reich gedeckten Tafeln der Pariser Adelsgesellschaften reichlich bieten. Die Kamera darf in opulenten Arrangements schwelgen, die an zeitgenössische Gemälde erinnern.
Hintergrund
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Teigkneten überwindet Standesgrenzen
Dass er eine Frau als Lehrling annimmt, ist wohl eher dem heutigen als dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Dem Charme der Geschichte ist dieser Einfall aber förderlich: Es geht natürlich um Sinnlichkeit, die im Essen und seiner Zubereitung Ausdruck findet. Selten wurde auf der Leinwand ein Teig so gefühl- und liebevoll bearbeitet, wurden solch zarte Gesten und Blicke ausgetauscht – die schließlich Standesgrenzen überwinden: Louise ist natürlich mehr, als sie zu sein vorgibt.
Wie dieses ungleiche Paar sich aneinander herantastet, ist locker und leicht inszeniert, ohne die gesellschaftliche Wirklichkeit auszublenden: die Not der Bevölkerung und das omnipräsente Standesgefälle. Dennoch bleibt der Film leichte Kost, der ohne Überraschungen und beinahe vorhersehbar die Emanzipation seiner beiden eigenwilligen Charaktere schildert – die eine der wichtigsten Einrichtungen der modernen Gesellschaftskultur erfinden: das Restaurant.