Eric Besnard

À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen

Kulinarische Meilensteine für Morgen: Der sture Meisterkoch Manceron (Grégory Gadebois) präsentiert dem Herzog erneut seine Pasteten, für die er von diesem gefeuert wurde. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 25.11.) Vom Spitzenkoch im Ancien Régime zum Gastro-Revolutionär: In seinem kino-kulinarischen Drei-Gänge-Menü schildert Regisseur Eric Besnard die Erfindung der Haute Cuisine – mit einer zarten, delikaten Liebesgeschichte zum Dessert.

Gäbe es ein Ranking der beliebtesten Oma-Weisheiten, wäre „Liebe geht durch den Magen“ mindestens in den Top Drei. Essen ist Zuwendung, manchmal Trost und mitunter Status – wie ein Besuch im Sterne-Restaurant. Diese Art der teuren Freizeitgestaltung ist eine Erfindung der Neuzeit. Die Geschichte ihrer Entstehung serviert der neue Film von Éric Besnard farbenprächtig und charmant erfunden; der französische Regisseur hatte 2015 schon „Birnenkuchen mit Lavendel“ appetitlich aufgetischt.

 

Info

 

À la Carte! –
Freiheit geht durch den Magen

 

Regie: Eric Besnard,

112 Min., Frankreich 2021;

mit: Grégory Gadebois, Isabelle Carré, Benjamin Lavernhe

 

Weitere Informationen zum Film

 

Alles beginnt im Frühjahr 1789. Am Hof des Herzogs de Chamfort (Benjamin Lavernhe) ahnt man noch nichts von der kommenden Revolution – man genießt ungeniert bei ausschweifenden Dîners an langen Tafeln Kreationen wie Schwanenragout und schlürft massenweise Austern. Dabei wirft sich man sich Bonmots zu, um die Langeweile zu vertreiben. Des Herzogs Trumpf ist sein Koch Manceron (Grégory Gadebois) und dessen Künste: Mit ihnen kann er immer punkten; so sollen sich für ihn auch die Türen höchster Pariser Kreise öffnen.

 

Schweinefutter für den Adel

 

Beim entscheidenden Empfang leistet sich Manceron allerdings einen Fauxpas: Er lässt zwischen den Gängen eine eigene Neuschöpfung kredenzen. Pastete mit Trüffeln und Kartoffeln – ein Skandal, denn beide Zutaten gelten als Schweinefutter. Manceron wird entlassen und macht sich mit seinem halbwüchsigen Sohn Benjamin (Lorenzo Lefèbvre) auf den Weg zurück in die Provinz. In der alten Backstube seines verstorbenen Vaters warten aber nur noch nackte Wände auf ihn. Seine Leidenschaft für das Kochen sieht er hier begraben; lustlos backt er Brot für Vorbeireisende.

Offizieller Filmtrailer


 

Das Buffet der Revolution

 

Eines Tages jedoch taucht eine geheimnisvolle Frau auf, die bei ihm das Kochen lernen möchte – ein unerhörtes Ansinnen. Aber weil er neugierig ist und ihr nicht glaubt, dass sie eine entlaufene Marmeladenköchin ist, nimmt er sie als Lehrling auf. Talent und Geschmack hat die Dame namens Louise (Isabelle Carré) jedenfalls. Und sie lenkt ihn von seinem Trübsal ab: Während Manceron Louise in die Geheimnisse der Haute Cuisine einweiht, kommen die beiden sich langsam näher.

 

Der eifrig Rousseau lesende Benjamin hat seinen Vater mit dem aufklärerischen Zeitgeist angesteckt – seine Idee, dass es gute Küche für alle geben sollte, überzeugt Manceron. Mit Louise und seinem Sohn eröffnet er schließlich ein revolutionäres Buffet: Bauern und Handwerker werden ebenso satt wie Bourgeoisie und Adel – und wieder verbreitet sich der Ruhm seiner Kochkünste.

 

Haute Cuisine für das Volk

 

Als der Herzog de Chamfort sich zur Rast auf einer Landpartie ankündigt, lebt Manceron wieder auf. Geschäftig bereitet er die feinsten Speisen vor – und muss am Ende der Mahlzeit sein Lokal schließen, weil es dem Herzog nicht gefällt, mit gemeinem Volk an einem Tisch zu sitzen. Aber Manceron lässt sich nicht unterkriegen. Mit Benjamin und Louise eröffnet er doch wieder ein schönes Gasthaus; einen „Ort der Erholung und Erquickung für alle“, wie er es nennt – das erste Restaurant.

 

Historische Ereignisse mit Wohlfühlkino verbinden kann man in Frankreich sehr gut. Die Haute Cuisine gehört zur Nationalkultur, und es ist trifft zu, dass nach der Entmachtung des Adels durch die Revolution viele nun arbeitslose Köche nach Alternativen suchten – ab 1790 eröffneten sie etliche Lokale vor allem in Paris. Besnard greift in seinem Film dieser Entwicklung etwas vor, indem er seine Hauptfigur zum Erfinder des modernen Restaurantkonzepts mit À-la-Carte-Menü nobilitiert.

 

Feinschmecker und Freigeist

 

Diese Revolution findet in der malerischen Provinz statt – das erhöht nicht nur den Schauwert, den auch die reich gedeckten Tafeln der Pariser Adelsgesellschaften reichlich bieten. Die Kamera darf in opulenten Arrangements schwelgen, die an zeitgenössische Gemälde erinnern.

 

Hintergrund

 

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und hier einen Bericht über den Film "Madame Mallory und der Duft von Curry" – Bestseller-Verfilmung von Lasse Hallström mit Helen Mirren

 

und hier ein Beitrag über den Film "Lunchbox" – berührendes Kulinarik-Melodram aus Indien von Ritesh Batra mit Irrfan Khan.

 

Die Provinz ist das Gegenmodell zur höfischen Gesellschaft; der vierschrötige Manceron ist nicht nur optisch ein Gegenentwurf zu den gepuderten Edelleuten, sondern auch ein geborener Feinschmecker und Freigeist. Wie heutige Spitzengastronomen will er lieber mit guten regionalen Zutaten die Gaumen kitzeln – zum Beispiel mit seiner „Köstlichkeit“, jener verschmähten Pastete, die die Geschichte ins Rollen brachte.

 

Teigkneten überwindet Standesgrenzen

 

Dass er eine Frau als Lehrling annimmt, ist wohl eher dem heutigen als dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Dem Charme der Geschichte ist dieser Einfall aber förderlich: Es geht natürlich um Sinnlichkeit, die im Essen und seiner Zubereitung Ausdruck findet. Selten wurde auf der Leinwand ein Teig so gefühl- und liebevoll bearbeitet, wurden solch zarte Gesten und Blicke ausgetauscht – die schließlich Standesgrenzen überwinden: Louise ist natürlich mehr, als sie zu sein vorgibt.

 

Wie dieses ungleiche Paar sich aneinander herantastet, ist locker und leicht inszeniert, ohne die gesellschaftliche Wirklichkeit auszublenden: die Not der Bevölkerung und das omnipräsente Standesgefälle. Dennoch bleibt der Film leichte Kost, der ohne Überraschungen und beinahe vorhersehbar die Emanzipation seiner beiden eigenwilligen Charaktere schildert – die eine der wichtigsten Einrichtungen der modernen Gesellschaftskultur erfinden: das Restaurant.