Kate Winslet + Saoirse Ronan

Ammonite

Mary (Kate Winslet) und Charlotte (Saoirse Ronan). Foto: © TOBIS Film GmbH
(Kinostart: 4.11.) Aus dem Seeschneckenhaus herauskommen: Regisseur Francis Lee porträtiert eine Fossiliensucherin im 19. Jahrhundert, die sich auf eine lesbische Affäre einlässt. Ein schön gefilmtes und subtil gespieltes, etwas konventionelles Kostümdrama.

Ammoniten sind eine vor mehr als 60 Millionen Jahren ausgestorbene Tiergruppe, deren Fossilien seit Jahrhunderten als Schmuck getragen werden. Dafür gilt es zunächst, sie zu finden, denn ihre schneckenhausartig gewundene Schönheit steckt fest in grauem Gestein. Sie muss entdeckt und mühevoll herausgearbeitet werden: Damit bestreitet die Forscherin Mary Anning (Kate Winslet) Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Lebensunterhalt. Sie sucht die Strände in der Nähe ihrer Heimatstadt Lyme Regis an Englands Südküste nach Fossilien ab. Kleinere Funde verkauft sie im Kuriositätenladen, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter betreibt; größere schickt sie zum Museum in London.

 

Info

 

Ammonite

 

Regie: Francis Lee,

118 Min., Großbritannien 2021;

mit: Kate Winslet, Saoirse Ronan, James McArdle

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mary hat sich daran gewöhnt, dass die Anerkennung ausbleibt. Als der junge Wissenschaftler Roderick Murchison (James Mcardle) in ihren Laden stürmt, ist sie von seiner Bewunderung wenig beeindruckt. Murchison ist auf Forschungsreise in der Gegend; und als er weiterreist, lässt er seine kränkliche Frau Charlotte (Saoirse Ronan) zurück, die sich an der See von ihren Depressionen erholen soll – Rodericks Bitte, sich während seiner Abwesenheit um Charlotte zu kümmern, begeistert Mary zunächst wenig.

 

Ammoniten als Metapher

 

Doch in einer Welt, die nur wenig Raum für Träume bietet, finden die beiden Frauen fast zwangsläufig zueinander. Hinter den Narben der Vergangenheit, der Tristesse des Alltags und unter dem strengen Blick der örtlichen Gesellschaft entdecken sie aneinander wahre Schönheit. So dienen die Ammoniten nicht nur als Titel und Handlungsmotor, sondern auch als zentrale Metapher dieses unprätentiösen Kostümdramas von Francis Lee.

Offizieller Filmtrailer


 

Liebesgeschichte unter grauem Himmel

 

In seinem Langfilm-Debüt „God’s Own Country“ (2017) hat der schottische Regisseur eine schwule Liebesgeschichte vor regionaler Landschaftskulisse inszeniert. Nun erzählt er mit „Ammonite“ ein lesbisches Pendant und wandert dafür von Yorkshire nach Dorset. Inspiriert ist sein Film von der Biographie der britischen Fossiliensammlerin Mary Anning, die als aufstrebendes Arbeiterkind zu Lebzeiten kaum beachtet wurde, heute aber als Pionierin der Paläontologie gilt. Für Lee ist sie vor allem eine unabhängige Frau in einer patriarchalen Gesellschaft und als solche eine würdige Heldin.

 

Mit viel Liebe zum Detail drehte er den Film in der grimmig-schönen Küstenlandschaft Englands: wolkenverhangener Himmel über schroffen Stränden und engen Gassen, der Geruch von Salz und Seetang liegt dabei förmlich in der Luft. Die Kamera bleibt nahe an den Protagonistinnen, macht die Schwere der viktorianischen Mode spürbar und gibt dabei den beiden Schauspielerinnen ausgiebig Gelegenheit, ihr Können auszuspielen.

 

Vom Begehren überrumpelt

 

Kate Winslet, seit ihrem Debüt 1994 in „Heavenly Creatures“ immer wieder für unmögliche Liebschaften gecastet, wandelt sich von einer desillusionierten Pragmatikerin zu einer Liebenden – überrumpelt vom eigenen Begehren. Saoirse Ronan, 20 Jahre jünger, verdreht ihr den Kopf, ohne recht zu wissen, wie – oder rückt sie ihr den Kopf erst zurecht? Sie ist es auch, die in jugendlichem Sturm und Drang versucht, die gemeinsame Liebe über ihr vom Schicksal verordnetes Haltbarkeitsdatum hinaus zu retten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "God's Own Country" - herb-romantisches Homosexuellen-Drama von Francis Lee

 

und hier eine Besprechung des Films "Little Women" - unterhaltsames US-Frauen-Historiendrama von Greta Gerwig mit Saoirse Ronan

 

und hier einen Bericht über den Film "Porträt einer jungen Frau in Flammen" - wunderbar nuancierter Historienfilm über lesbische Affäre von Céline Sciamma mit Adèle Haenel

 

und hier ein Beitrag über den Film "Die Verführten" - gelungenes Historiendrama über sieben Frauen im US-Bürgerkrieg von Sofia Coppola mit Nicole Kidman.

 

Der Konflikt mit der Gesellschaft wird dabei mit wohl platzierten Andeutungen als gegeben vorausgesetzt, ohne dramatisch ausgeschlachtet zu werden. Die Männer müssen keine ungehobelten Klötze sein – in der Tat sind sie wirklich nett –, um einer Liebe zwischen Frauen im Weg zu stehen. Das schafft auch Raum für interessante Nebenfiguren, wie Marys Mutter, einen jüdischen Arzt oder auch Marys historisch verbürgte Kollegin Elizabeth Philpot, mit der sie ein spannungsreiches, aber doch vertrautes Verhältnis pflegt. Die Konflikte spielen sich ausschließlich im Innenleben der Figuren ab; ablesbar an Körpersprache, Gestik und Mimik.

 

Vorhersehbar und angenehm entrückt

 

Winslet und Ronan machen dabei jede Nuance nachfühlbar, bis sich ihr Verlangen in einer genretypischen Liebesszene erfüllt. Denn „Ammonite“ ist weniger ein Biopic als vielmehr ein schön gefilmtes und dabei ziemlich konventionelles lesbisches Liebesdrama. Vorhersehbar und historisch angenehm entrückt, schaut es sich weg wie die Verfilmung eines Jane-Austen-Romans: Ähnlich dem erfolgreichen „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (2019) von Céline Sciamma überschreitet „Ammonite“ mühelos die Schwelle vom Autorenfilm zum Mainstream-Kino.