Mia Hansen-Løve

Bergman Island

Chris (Vicky Krieps) und Tony (Tim Roth) sehen die Welt jeweils mit anderen Augen . Foto: © WeltkinoFilmverleih
(Kino-Start: 4.11.) Im Bann des besten Regisseurs aller Zeiten: Ein Filmmacher-Paar sucht nach Inspiration auf der Ostseeinsel Fårö, wo Ingmar Bergman lebte. Die Beziehungschronik von Regisseurin Mia Hansen-Løve verfängt sich in der Orientierungslosigkeit, die sie thematisiert.

Es weht ein frischer Wind auf Fårö – der Insel, deren Name bis heute untrennbar mit dem schwedischen Regisseur Ingmar Bergman verknüpft ist. Dort hat er jahrelang gelebt, seine Drehbücher geschrieben, bisweilen Filme gedreht und im privaten Kellerkino angesehen. Fårö war der Ort, der den Filmemacher, der 1997 in Cannes als „bester Regisseur aller Zeiten“ geehrt wurde, am meisten inspirierte.

 

Info

 

Bergman Island

 

Regie: Mia Hansen-Løve,

112 Min., Frankreich/ Belgien/ Deutschland/ Schweden 2021;

mit: Vicky Krieps, Tim Roth, Mia Wasikowska

 

Weitere Informationen zum Film

 

Seit seinem Tod 2007 zieht es Filmschaffende aus aller Welt auf die kleine Ostseeinsel; in der Hoffnung, am Wirkungsort des großen Kinomagiers Eingebungen für ihre eigene kreative Arbeit zu finden. Auch Chris (Vicky Krieps) und Tony (Tim Roth) brechen im Sommer dorthin auf, um in der Ruhe und Abgeschiedenheit der rauen Küstenlandschaft jeder für sich an neuen Stoffen zu schreiben.

 

Wie ein falsches Paar Schuhe

 

Ein merkwürdiges Paar, schon rein äußerlich: Sie groß, er klein, sie etwa Mitte dreißig, er deutlich älter und auch etablierter. Sie wirken so ungleich wie ein falsches Paar Schuhe, und sind doch miteinander verbunden. Chris und Tony, so will uns Regisseurin Mia Hansen-Løve Glauben machen, stehen nicht nur emotional und sexuell, sondern auch auf besondere Weise intellektuell und künstlerisch im Austausch miteinander.

Offizieller Filmtrailer


 

Inselklima prägt Bildsprache

 

Doch in Wahrheit ist jeder mit sich allein. Bald gehen sie auf der Insel getrennte Wege, weil Tony außerdem vor Ort ist, um im Bergman-Center – einer Art Museum und Kulturzentrum – seine Filme zu präsentieren. Währenddessen erkundet Chris die Umgebung, um einer hartnäckigen Schreibblockade zu entkommen. Dabei weht ihr stets eine kräftige Brise durchs Haar: Immer wieder bringt der Wind Unruhe in die sonst so idyllische Dünenszenerie.

 

Die Bildsprache der französischen Regisseurin wird deutlich geprägt vom unbändig bewegten und wechselhaften Inselklima, auf jeden Fall mehr als vom Zusammenspiel ihrer Hauptfiguren. Denen steht außer ein paar sparsamen Dialogen nicht viel zur Verfügung, um ein glaubhaftes Beziehungsdrama aufzubauen. Kompliziert wird es, als Chris sich entschließt, eine ihrer Drehbuchideen mit Tony zu teilen.

 

Angerissene Paar-Konflikte

 

In diesem Moment beginnt ein Film-im-Film, der es sonst wohl kaum auf die Leinwand geschafft hätte: Es geht – natürlich – erneut um eine Filmemacherin (Mia Wasikowska), die anlässlich der Hochzeit einer Freundin nach Fårö kommt und dort ihrer Jugendliebe (Anders Danielsen Lie) wiederbegegnet. Auf eine leidenschaftliche Nacht folgt Ernüchterung am Morgen. Eine echte Zukunft gibt es für die beiden nicht, weil sie mittlerweile zu sehr im eigenen, anderen Leben stehen.

 

All das erzählt Hansen-Løve mit viel Atmosphäre, aber auch der bedeutungsschwangeren Schwere einer Inszenierung à la Bergman, ohne tatsächlich in die Tiefe zu gehen. Sämtliche Konflikte zwischen den verschiedenen Paaren werden nur angerissen, keiner der Akteure wird zum Träger von Bedeutung. Tim Roth wirkt, als fühlte er sich in der Rolle des erfolgreichen Regisseurs zu wohl, um zu bemerken, dass er oft einfach an seinem Gegenüber vorbei spielt. Vicky Krieps dagegen kann, obwohl schauspielerisch völlig ebenbürtig, ihrer blassen Gestalt keine einprägsamen Facetten verleihen.

 

Sehnsucht nach Szenen einer Ehe

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Alles was kommt – L’Avenir" – vielschichtiges Porträt einer Philosophie-Lehrerin mit Isabelle Hupper von Mia Hansen-Løve

 

und hier eine Besprechung des Films "Auf der Suche nach Ingmar Bergman" – Doku-Hommage zum 100. Geburtstag des Regisseurs von Margarethe von Trotta mit Mia Hansen-Løve

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Ingmar Bergman - Von Lüge und Wahrheit"umfassende Werkschau im Museum für Film und Fernsehen, Berlin.

 

Kaum etwas passiert, um das Geschehen in eine wirklich spannende Richtung zu lenken. Zu viele Fragmente verstellen den Blick aufs Ganze. In die Orientierungslosigkeit, die der Film thematisiert, scheint er selbst am meisten verstrickt. Der Zuschauer sehnt sich geradezu ein Unglück oder ein brutales Streitgespräch herbei, wie man es aus Bergmans Klassiker „Szenen einer Ehe“ (1973) kennt – vergeblich. Kurz vor Schluss sagt Chris: „Ich stecke fest.“ Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf.

 

Trotzdem ist man gleichzeitig seltsam fasziniert von der Einsamkeit der Figuren und ihrer Unfähigkeit, sich aus innerer und äußerer Isolation zu lösen. Regisseurin Hansen-Løve gelingt es immer wieder, authentische Stimmungen heraufzubeschwören: Wie die rauschhafte Wirkung von Musik in „Eden“ (2014), ihrer Hommage an den Dancefloor-House der 90er-Jahre, oder den überwältigenden Moment der ersten großen Liebe in „Eine Jugendliebe“ (2011).

 

Zuviel Wind um wenig

 

In “Bergman Island“ ist die dominante Stimmung ein Gefühl der Lähmung, das sich einstellt, sobald Chris und Tony vom Festland übersetzen. Doch anstatt sie zu kreativ beflügeln, scheint sie das Vermächtnis des Meisterregisseurs eher zu erdrücken. Vermutlich wäre es den Charakteren und ihrer Regisseurin auf einer anderen Insel besser ergangen. Auf Fårö weht ihnen der Ostseewind zu stark um die Ohren.