Ildikó Enyedi

Die Geschichte meiner Frau

Lizzy (Léa Seydoux) und Kapitän Jakob Störr (Gijs Naber) tanzen innig Tango. Foto: Alamode Film
(Kinostart: 4.11.) Ehekrisen eines Wanderarbeiters: Während seine Gattin an Land auf ihn wartet, vergeht ein Kapitän vor Eifersucht. Regisseurin Ildikó Enyedi verfilmt einen Klassiker der ungarischen Literatur – als opulenten Bilderbogen und erlesenes Kunsthandwerk.

Der Herbst der Literaturadaptionen: Ist es Zufall oder steckt dahinter eine Tendenz, dass in den wenigen Wochen seit der Kino-Wiedereröffnung gleich mehrere Werke auf die Leinwand kamen, die Klassiker der Moderne aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfilmten? Angefangen mit „Fabian“ von Erich Kästner über „Martin Eden“ von Jack London und „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann bis zur „Schachnovelle“ von Stefan Zweig?

 

Info

 

Die Geschichte meiner Frau

 

Regie: Ildikó Enyedi,

169 Min., Ungarn/ Deutschland/ Frankreich/ Italien 2021;

mit: Gijs Naber, Léa Seydoux, Louis Garrel, Josef Hader, Ulrich Matthes

 

Website zum Film

 

So verlockend es wäre, daraus einen Trend zu konstruieren, etwa Zwischenkriegszeit-Nostalgie: Dafür sind die genannten Bücher in Umfang, Inhalt und Erzählweise zu unterschiedlich. Sie haben allenfalls ihr Epochen-Dekor gemeinsam. Das springt besonders bei „Die Geschichte meiner Frau“ ins Auge; 1942 veröffentlicht, zählt sie in Ungarn zur Schullektüre. In seinem Roman schildert Milán Füst auf 500 Seiten die Ehe eines ungleichen Paars in den 1920er Jahren; dafür füllte der Autor sieben Jahre lang 40.000 Manuskriptbögen.

 

Heirat wegen Kaffeehaus-Wette

 

Das Ergebnis ähnelt anderen literarischen Großexperimenten der Epoche, etwa dem „Ulysses“ von James Joyce oder Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Füsts Geschichte ist ausschließlich als innerer Monolog ihrer Hauptfigur angelegt, des niederländischen Schiffskapitäns Jakob Störr (Gijs Naber). Aus einer Laune heraus wettet er, diejenige Frau zu heiraten, die als nächste ein Pariser Café betritt. Da es sich um die schöne, verführerische Lizzy (Léa Seydoux) handelt, fällt es ihm leicht, ihr einen Antrag zu machen.

Offizieller Filmtrailer


 

Er auf See + sie an Land

 

Lizzy geht darauf ein: Der stattliche Seebär mit altmodisch galanten Manieren imponiert ihr. Anfangs ziehen sich die Gegensätze an, beide verstehen sich bestens. Doch bald schleicht sich Entfremdung ein. Kein Wunder: Er fährt monatelang auf Frachtschiffen zur See, sie vertändelt wohlversorgt ihre Tage an Land. Zudem verzehrt ihn nagende Eifersucht: Was mag seine Gattin in Paris treiben – und mit wem? Den reichen Nichtstuer Dedin (Louis Garrel) macht Jakob bald als gefährlichsten Nebenbuhler aus; ob zurecht oder nicht, bleibt lange ungewiss.

 

So geht das über etliche Stationen und Jahre hin und her; die meisten zeichnet die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi getreulich nach. Ihre Verfilmung soll ersichtlich dem Geist des Romans gerecht werden, also nichts vergröbern oder unterschlagen. Alle Darsteller füllen ihre Rollen vorzüglich aus; sämtliche Schauplätze sind sorgsam ausstaffiert und beleuchtet; die windungsreiche, aber handlungsarme Story wird in sieben Kapitel unterteilt, um sie zu akzentuieren und mit mehr Spannung aufzuladen.

 

Parabel für männlichen Kontrollverlust

 

Vergebens: Mit geschmackvoller Ausstattung, ausgefeilten Dialogen und einer wortreich seine Seelenpein ausbreitenden Hauptfigur wirkt diese Geschichte wie erlesenes Kunsthandwerk – so gediegen und leblos wie die dunklen Holzvertäfelungen, welche die meisten Räume zieren. Seit ihrem Debütfilm „Mein 20. Jahrhundert“, 1989 in Cannes ein Überraschungserfolg, bis zu „Körper und Seele“, mit dem sie 2017 den Goldenen Bären gewann, galt Ildikó Enyedi als Meisterin poetischer Leichtigkeit und zart hingetupfter Melancholie. Davon bleibt bei diesem überladenen Lastkahn von Historienfilm wenig übrig.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Körper und Seele" - betörendes Liebesfilm-Märchen im Schlachthaus-Milieu, Berlinale-Gewinner 2017 von Ildikó Enyedi

 

und hier eine Besprechung des Films "Fabian" - sinnenprall stimmige Verfilmung des Romans von Erich Kästner durch Dominik Graf

 

und hier einen Beitrag über den Film "Martin Eden" - grandios originelle Adaption des Romans von Jack London durch Pietro Marcello

 

und hier eine Kritik des Films "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" - Verfilmung des Belle-Époque-Schelmenromans von Thomas Mann durch Detlev Buck

 

und hier einen Bericht über den Film "Schachnovelle" - beklemmend kühne Adaption der Erzählung von Stefan Zweig durch Philipp Stölzl mit Oliver Masucci

 

und hier einen Beitrag über den Film "Blau ist eine warme Farbe"Liebesdrama junger Lesben von Abdellatif Kechiche, Cannes-Sieger 2013, mit Léa Seydoux.

 

Es liegt nahe, ihn als Parabel für männlichen Kontrollverlust zu begreifen. Auf dem Meer ist der Kapitän ein absoluter Herrscher über seine Mannschaft und die ihm anvertraute Ladung; stets souverän und kompetent, allseits respektiert und geschätzt. Auf festem Boden verliert er jedoch selbigen unter den Füßen: Auf gesellschaftlichem Parkett, im urbanen Treiben von Bars und Partys verhält er sich linkisch und fehl am Platz. Man wundert sich, dass ihm die leichtlebige Lizzy so lange die Treue hält und sich allerhand gefallen lässt.

 

Zu Konflikten nichts Erhellendes

 

Doch als Retro-Variante der modischen Kritik an toxischer Männlichkeit taugt das nicht: Dafür erscheint der hin und her schwankende Zwei-Meter-Hüne Gijs Naber zu gutherzig und bemüht, seine Ehe zu retten – nur weiß er nicht, wie. Dabei lässt sich seiner Gemahlin nichts vorwerfen: Léa Seydoux flirtet und kokettiert schnippisch, sie reizt die Reichweite ihrer Reize aus, aber sie verrät ihren Gemahl nicht, solange er es nicht tut.

 

Ebenso wenig bietet „Die Geschichte meiner Frau“ Erhellendes zum Grundkonflikt: Wie lässt sich eine intime Beziehung erhalten, wenn die Partner sich kaum sehen? Obwohl dieses Problem im Zeitalter der Globalisierung akuter ist und mehr Menschen betrifft als je zuvor, wie alle Wochenend-Pendler erfahren.

 

So gerät der fast dreistündige Film zum opulenten Bilderbogen, der gerade wegen seiner Treue zur Vorlage recht ziellos mäandert; ein Augenschmaus, der den Betrachter etwas ratlos zurücklässt. Trotz ihrer ungemein sorgfältigen Inszenierung hat sich Regisseurin Enyedi am Hauptwerk von Milán Füst verhoben; nicht jedes Literatur- lässt sich kongenial in ein Kino-Epos verwandeln.