Romain Duris

Eiffel in Love

Schöpfer und Werk: Gustave Eiffel (Romain Duris, li.) am Seine-Ufer, gegenüber der nach ihm benannte Turm. Foto: Constantin Film
(Kinostart: 18.11.) Elon Musk des Dampfmaschinen-Zeitalters: Gustave Eiffel baute das Wahrzeichen von Paris. Dazu motivierte ihn eine unglückliche Liebe, spekuliert Regisseur Martin Bourboulon – in seinem originellen und gelungenen Biopic über den genialen Ingenieur.

Bill Gates, Steve Jobs oder Mark Zuckerberg: Die am meisten bewunderten und gefürchteten Firmenchefs unserer Zeit sind Titanen der IT-Industrie. Dabei wird die moderne Lebenswelt viel stärker durch die Schöpfungen einer anderen Berufsgruppe geprägt. Straßen und Brücken, Hochhäuser und Tunnel, Autos, Schiffe oder Flugzeuge, selbst die unscheinbare, doch überlebenswichtige Kanalisation: All das wurde von Ingenieuren konstruiert.

 

Info

 

Eiffel in Love

 

Regie: Martin Bourboulon,

109 Min., Frankreich/ Deutschland 2021;

mit: Romain Duris, Emma Mackey, Armande Boulanger

 

Website zum Film

 

Wie wirkungsmächtig sie sind, würdigt das Kino selten. Es gibt unzählige Biopics über Maler, Musiker, Schriftsteller und ähnliche kreative Geister. Etliche Filme sind bedeutenden Medizinern, Physikern und anderen Naturwissenschaftlern gewidmet. Aber Ingenieuren? Ihre Abwesenheit auf der Leinwand dürfte zum Teil an ihrem Selbstverständnis liegen. Detailversessen begeistern sie sich für technische Lösungen, die sich kaum visualisieren lassen – allem Menschelnden begegnen sie eher mit Desinteresse. Es lässt sich so schlecht berechnen.

 

Desinteresse an Eiffels Charakter

 

Diese Diskrepanz ist der Ansatzpunkt für „Eiffel in Love“. Der Name des berühmtesten französischen Ingenieurs ist dank des Eiffelturms jedem geläufig; aber nicht der Werdegang des Mannes, der eigentlich Alexandre Gustave Bonickhausen (1832-1923) hieß – seine deutschen Vorfahren stammten aus der Eifel. Selbst seine Biographen scheinen sich wenig für seinen Charakter zu interessieren, bemerkt der fulminant aufspielende Hauptdarsteller Romain Duris: In allen Büchern über ihn komme sein Privatleben kaum vor, die Autoren behandelten nur sein Werk.

Offizieller Filmtrailer


 

Eltern verhindern Jugendliebe-Hochzeit

 

Beides miteinander kurzzuschließen, ist die Ausgangsidee von Drehbuchautorin Caroline Bongrand: Eiffel habe das Pariser Wahrzeichen aus unerfüllter Liebe zu einer Frau gebaut. Genauer: Seine hochfliegenden Gefühle hätten ihn beflügelt, das himmelstürmende Bauwerk in Angriff zu nehmen. Dazu bemüht Bongrand eine wohl verbürgte Episode seines Lebens und malt sie melodramatisch aus.

 

1858 erhielt der Nachwuchsingenieur seinen ersten anspruchsvollen Auftrag: eine 500 Meter lange Eisenbahnbrücke in Bordeaux über den Fluss Garonne. Eiffel errichtete sie als Fachwerk-Konstruktion, was ihm viel Beifall einbrachte. Während der Arbeiten verliebte er sich in die Großbürgertochter Adrienne Bourgès (Emma Mackey), doch eine Hochzeit wurde von ihren begüterten Eltern verhindert: Ein Techniker erschien ihnen nicht standesgemäß.

 

Pläne für Bauten von Peru bis Vietnam

 

Vier Jahre später heiratete er Marie Gaudelet; das Paar hatte fünf Kinder, doch Marie starb bereits 1877. Das übergeht der Film ebenso wie Eiffels kometenhaften beruflichen Aufstieg. Seine Firma lieferte die Konstruktionspläne oder bereits vorgefertigte Bauelemente für Gebäude in der halben Welt, von Estland bis nach Ägypten, von Peru bis Vietnam. Eiffels Mitarbeiter berechneten auch das innere Stützgerüst für die Freiheitsstatue in New York.

 

Bei ihrer Einweihung 1886 war Eiffel längst mit seinem wichtigsten und teuersten Vorhaben beschäftigt. Wie es in seinem Büro zugegangen sein dürfte, macht Regisseur Martin Bourboulon zu Beginn deutlich: Der Boss stürmt herein, wirft auf alles nur einen kurzen Blick, dann mit Anweisungen um sich, lässt niemanden ausreden und treibt alle zur Eile an. Selbst seine Tochter schafft es nicht, ihm beim Mittagessen von ihren Eheplänen zu erzählen.

 

Ausstellungs-Portal als Herzensangelegenheit

 

Dieser Elon Musk des Dampfmaschinen-Zeitalters erstarrt wie vom Blitz getroffen, als er in einer Abendgesellschaft Adrienne Bourgès wiedersieht – 20 Jahre nach ihrer Romanze. Sie ist inzwischen mit Antoine de Restac (Pierre Deladonchamps) verheiratet. Eiffel kennt den Journalisten aus seiner Studienzeit und braucht ihn sogar, um die öffentliche Meinung zugunsten seines Turm-Projektes zu beeinflussen. Zugleich stürzt er sich in eine Affäre mit seiner Frau, denn beider Leidenschaft füreinander flammt wieder auf.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Intrige (J'accuse)" – brillanter Historien-Thriller über die Dreyfus-Affäre in Frankreich kurz vor 1900 von Roman Polanski

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Schaum der Tage" - wunderbar verspielte Verfilmung des surrealen Roman-Klassikers von Boris Vian durch Michel Gondry mit Romain Duris

 

und hier ein Beitrag über den Film "Robert Doisneau – Das Auge von Paris" – anschauliche Dokumentation über den Fotografen von Clémentine Deroudille.

 

Eine reichlich kolportagehafte Konstellation, die sich nicht nur über die Quellenlage, sondern auch die Usancen der damaligen feinen Gesellschaft hinwegsetzt. Doch sie erlaubt dem Film, ein so nüchternes Unterfangen wie den Bau des Eingangsportals für die Pariser Weltausstellung 1889 als Herzensangelegenheit im Wortsinne darzustellen. Was den Fortgang der Arbeiten emotional enorm auflädt: Bei jeder Etappe fiebert der Zuschauer mit, weil mit Stabilität und Termintreue auch das Liebesglück der Protagonisten auf dem Spiel steht.

 

Intensive Gefühle für Stahl + Beton

 

Dabei gelingt es Regisseur Bourboulon, beide Handlungsstränge kunstvoll auszubalancieren: Sie bedingen einander und treiben sich gegenseitig voran, ohne dass dies schematisch wirkte. Am absehbaren Ende triumphiert nicht nur der Visionär über Neider und Zweifler, sondern auch kluges Maßhalten über zerstörerischen Gefühlsüberschwang.

 

Nebenbei hat das Publikum gelernt, wie man einen 7300-Tonnen-Koloss im sumpfigen Boden nahe der Seine verankert, ohne dass er versinkt. Damit macht der Film zwar kontrafaktisch, aber sehr plausibel das Seelenleben von Ingenieuren verständlich: Sie hegen für ihre Kreationen aus Stahl und Beton ähnlich intensive Empfindungen wie Normalsterbliche für ihre Liebsten. Wobei erstere durchaus dauerhafter sind: Bis heute ist der Eiffelturm der wichtigste Sendemast für Radio- und Fernsehprogramme im Großraum Paris.