Halle (Saale)

Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte

Die Himmelsscheibe von Nebra; © LDA Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták
Kosmischer Kalender aus Gold und Bronze: Das 1999 gefundene Prunkstück erweitert unser Wissen über die Frühbronzezeit in Mitteleuropa erheblich. Das zeigt eine große Themenschau im Landesmuseum für Vorgeschichte, die allerdings im Kleinklein der Fundstätten ausfranst.

Heute ist der Südosten von Sachsen-Anhalt zwischen Mittelelbe und Saale ein eher beschaulicher Landstrich, geprägt von Landwirtschaft und Weinanbau im Saale-Unstrut-Gebiet. Doch schon in der frühen Bronzezeit, zwischen etwa 2200 und 1600 v. Chr., war diese Region vergleichsweise dicht besiedelt. Fruchtbare Böden und intensiv genutzte Handelswege machten sie zu einer Drehscheibe für Waren und Ideen in Mitteleuropa.

 

Info

 

Die Welt der Himmelsscheibe
von Nebra – Neue Horizonte

 

04.06.2021 - 09.01.2022

dienstags bis freitags 9 bis 17 Uhr,

am Wochenende 10 bis 18 Uhr

im Landesmuseum für Vorgeschichte, Richard-Wagner-Str. 9, Halle (Saale) 

 

Katalog 19,80 €,
Begleitheft 9,80 €

 

Weitere Informationen

 

Darüber war lange wenig bekannt; es gab keine schriftlichen und wenige materielle Zeugnisse. Das hat sich in jüngster Zeit geändert: Bessere archäologische Methoden förderten eine Fülle neuer Erkenntnisse zutage. Den aktuellen Wissensstand über die Frühbronzezeit präsentiert das Landesmuseum für Vorgeschichte in einer großen Landesausstellung – rund um den wohl spektakulärsten Fund der letzten 50 Jahre.

 

Sonnenreise im Himmelsboot

 

Die Himmelsscheibe von Nebra wurde 1999 zufällig von Raubgräbern entdeckt; sie war einst auf einem Hügel am Unstrut-Fluss zusammen mit zwei Schwertern und Kleinteilen deponiert worden. Die 3600 Jahre alte Bronzescheibe ist die früheste bekannte Firmament-Darstellung überhaupt; zwischen goldener Sonne und Mondsichel sind 32 Sterne verstreut, darunter die sieben Plejaden. Am linken und rechten Rand markieren zwei Horizontbögen die Positionen von Sonnenaufgang und -untergang am längsten und kürzesten Tag des Jahres. Unten verweist ein stilisiertes Himmelsschiff auf den altägyptischen Mythos, dass die Sonne in einem Boot über den Himmel reist.

Feature zur Ausstellung: Woher kommt das Wissen? © Landesmuseum für Vorgeschichte


 

115 Meter großes Ringheiligtum

 

Die Scheibe ist im Lauf von 150 Jahren in fünf Phasen angefertigt und verändert worden. Aus weit gereistem Importgut: Das Zinn für die Bronzelegierung stammte aus den Ostalpen, das Gold für die Auflagen aus dem südenglischen Cornwall. Als wichtigste Information enthält die Scheibe eine Schaltregel: Mit 354 Tagen ist das Mondjahr elf Tage kürzer als das Sonnenjahr. Daher sieht der Mond in jedem Jahr, wenn er an den Plejaden vorbeizieht, etwas anders aus. Erscheint die Mondsichel so breit wie auf der Scheibe, muss man in den Kalender einen zusätzlichen Schaltmonat einfügen: Wer diese Regel kannte, konnte die Jahreszeiten genau bestimmen.

 

Derartiges Herrschaftswissen verlieh enorme Autorität: Die Scheibe war also ein Machtsymbol, was ihre kostbare Ausstattung erklären dürfte. Die Annahme, dass auf ihrem Besitz das Prestige der Elite gründete, stützt sich auf einen weiteren Befund. 1991 wurden mit Flugzeugen südöstlich von Magdeburg zwei Kreisgrabenanlagen entdeckt. Das ältere Ringheiligtum von Pömmelte entstand 2300 v. Chr.; sein Durchmesser beträgt 115 Meter. Dafür wurden Tausende von Baumstämmen in fünf konzentrischen Kreisen aufgestellt und 29 Schachtgruben mit Opfergaben gefüllt.

 

Einsichten wie in Grabungsfeld aufspüren

 

Das Ringheiligtum von Schönebeck in Sichtweite ist 150 Jahre jünger, mit 80 Metern Durchmesser etwas kleiner – und weist weder Schachtgruben noch Opfergaben auf. Offenbar bezeugt dieser Ort einen grundlegenden Wandel in der religiösen und sozialen Praxis. Die Herrschenden legitimierten ihre Macht nun, wie es die Nebra-Scheibe nahelegt, mit ihrer Verbindung zu himmlischen Mächten; Opferrituale waren nicht mehr nötig.

 

Solche spannenden Einsichten muss man in der Ausstellung aufmerksam und findig – einem Archäologen gleich – in der Überfülle von Exponaten aufspüren, die die Kuratoren weiträumig wie auf einem Grabungsfeld verteilt haben. Zwar ist die Ausstellung in acht Bereiche gegliedert, doch die sind in sich wenig schlüssig aufgebaut. An vielen Stellen werden Begriffe eingeführt oder Aspekte angeschnitten, die erst wesentlich später oder gar nicht erläutert werden.

 

Weltbild der Epoche bleibt nebulös

 

Ständig ist von der Aunjetitzer Kultur die Rede, doch weder wird geklärt, warum sie so heißt – nach einem Fundort in Böhmen –, noch was sie bedeutet: So lautet der Fachbegriff für den hier betrachteten Zeitraum. Die Schaltregel als zentrale Botschaft der Nebra-Scheibe wird anfangs kurz erwähnt; was darunter zu verstehen ist, wird aber erst am Ende des Parcours entschlüsselt.

 

Ohnehin bleibt das gesamte Weltbild der Frühbronzezeit nebulös: Zwar sind einige Blickfänger aus ganz Europa zu sehen, etwa der berühmte Goldhut aus Schifferstadt und das goldene Cape von Mold in Wales – doch man erfährt nichts über die Kulte, denen so prachtvoll geschmückte Priester huldigten.

 

13 Meter hoher Grabhügel bei Halle

 

Stattdessen springt die Präsentation geographisch hin und her, reiht kleinteilig kommentierte Funde aus Irland, der Bretagne und Schweiz, aus Spanien und Griechenland aneinander. Oder sie reißt komplexe Themen auseinander: Dass Menschen damals ihr Korn mühselig per Hand auf flachen Steinen mahlten, liest man im Abschnitt über Grabhügel – der mit 13 Metern höchste in Mitteleuropa stand südöstlich von Halle, bis er 1890 abgetragen wurde.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Kunst der Vorzeit - Felsbilder aus der Sammlung Frobenius" – faszinierende Überblicks-Schau über prähistorische Kunst im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Krieg – eine archäologische Spurensuche" über seine Entstehung vor rund 10.000 Jahren im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle/ Saale

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kykladen" über Lebenswelten einer frühgriechischen Kultur in der Ägais der Bronzezeit im Badischen Landesmuseum, Karlsruhe

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Die Welt der Kelten: Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst" im Kunstgebäude und Alten Schloss, Stuttgart.

 

Eine der größten Siedlungen der Frühbronzezeit mit rund 70 Häusern neben dem Ringheiligtum in Pömmelte wird anschaulich rekonstruiert – dessen sakrale Bedeutung kommt aber erst zwei Säle weiter beim Vergleich mit dem englischen Stonehenge zur Sprache.

 

Fiktives wirkt am stimmigsten

 

Anstatt diese mysteriöse Epoche in nahe liegende Lebenssphären wie Unterkünfte, Ernährung und Kleidung, Sozialverbände und –konflikte, Handel und Krieg zu unterteilen, um gesichertes Wissen anhand ausgewählter Fundstücke zu vermitteln, hangeln sich die Macher von Fundstätte zu Fundstätte. Deren Inhalte werden nicht nur akribisch beschrieben, sondern auch ausgebreitet: mit bis zu 300 Beilen pro Stellwand, als sei die Landesausstellung eine Inventarliste.

 

Anscheinend sind die Macher so tief in Fachdebatten verstrickt, dass sie versäumen, ihre Erkenntnisse auch Nicht-Archäologen nahezubringen. Ihre Materialschlacht wirkt paradoxerweise dann am stimmigsten, wenn sie fiktiv wird: bei imaginierten Reisen, die damalige Fürsten nach Ägypten oder Mesopotamien hätten unternehmen können, um von dort neue Kosmologien und Berechnungsmethoden mitzubringen – etwa die Schaltregel.

 

Publikationen sind gelungener

 

Das ist spekulativ, aber plausibel. Und es findet sich so bündig wie verständlich in den Publikationen zur Ausstellung; deren Begleitheft und Katalog sind deutlich gelungener als diese selbst. Oder man sucht zuvor die Dauerschau des Hauses auf: Sie führt den heutigen Wissensstand zur Frühneuzeit prägnant inszeniert vor Augen.