Potsdam

Impressionismus in Russland – Aufbruch zur Avantgarde

Abram Archipow : Besuch, 1914, Öl auf Leinwand, 97,7 x 150 cm, Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau; Fotoquelle: Museum Barberini, Potsdam
Im Zarenreich skeptisch beäugt, in der Sowjetunion verpönt: Die kurze Blüte des russischen Impressionismus ist wenig bekannt. Obwohl er Freiräume eröffnete, die berühmten Avantgardisten den Weg ebneten, wie das Museum Barberini eindrucksvoll veranschaulicht.

Globalisierung der Avantgarde: Der Impressionismus war die erste Strömung der klassischen Moderne, die weltweit rezipiert wurde. Ausgehend vom Epizentrum Frankreich übernahmen um 1900 Künstler nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika und sogar in Japan diesen Stil. Ebenso im Zarenreich, doch russische Impressionisten sind hierzulande kaum bekannt. Das ändert das Museum Barberini durch eine pointiert zusammengestellte Überblicksschau mit rund 80 Werken, meist Leihgaben der Moskauer Tretjakow-Galerie, von 24 Malern.

 

Info

 

Impressionismus in Russland –
Aufbruch zur Avantgarde

 

28.08.2021 - 09.01.2022

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Museum Barberini, Am alten Markt, Potsdam

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Vom Impressionismus erfuhren Russlands Künstler schon Anfang der 1870er Jahre durch Kollegen, die sich für mehrjährige Studien in Paris aufhielten. Doch die Skepsis war groß: Maßgebliche Stimmen lehnten eine aufgehellte Palette, aufgelöste Konturen und Konzentration auf Augenblickseindrücke als oberflächlich ab. Derlei widerspräche der russischen Realismus-Tradition, auf der Leinwand gewichtige Themen der Geschichte und Philosophie in gedeckten Farben abzuhandeln.

 

Slawophile gegen Westler

 

Im Grunde trug diese Debatte auf dem Gebiet der Malerei den Konflikt aus, der im 19. Jahrhundert die gesamte russische Kultur prägte: Slawophile gegen Westler – Befürworter nationaler Nabelschau gegen die einer Orientierung an Westeuropa. So wandten sich zunächst nur wenige Künstler dem Impressionismus zu. Breite Akzeptanz fand er erst durch zwei große Präsentationen französischer Malerei in Moskau 1891 und 1896. Da setzten sich in Frankreich bereits neue Stile wie Pointilismus und später Fauvismus durch; sie wurden in Russland fast zeitgleich bekannt.

Impressionen der Ausstellung


 

Paris als Mekka russischer Exil-Künstler

 

Seine Blütephase erlebte der russische Impressionismus etwa zwischen 1890 und 1910, doch nicht als dominante Richtung. Manche Künstler übernahmen seine Maltechniken zeitweilig, andere dauerhaft, machten aber auch Anleihen bei anderen Stilen; nach 1905 lösten Avantgarde-Zirkel fast im Jahrestakt einander ab. Sinnvollerweise ist die Ausstellung, die zuvor im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen war, daher nicht chronologisch, sondern nach Sujets und Genres gegliedert.

 

Den Auftakt bildet Paris als Mekka russischer Exil-Künstler. Etwa für Ilja Repin, der hier ab 1873 drei Jahre lang wohnte, den Durchbruch des Impressionismus miterlebte und sich dessen Innovationen aneignete. Sein lichtdurchflutetes Porträt seiner Familie „Auf dem Feldrain“ (1879) könnte auch von Claude Monet stammen, wurde jedoch zwiespältig aufgenommen. Fortan setzte der verehrte Großmeister des russischen Realismus impressionistische Malweisen eher punktuell ein – etwa, um das Pathos von Porträts wie das der „Schauspielerin Bella Gorskaja“ (1910) aufzulockern.

 

Gegensatz von Stadt + Land

 

Einige Künstler ließen sich dauerhaft in der französischen Hauptstadt nieder; wie Konstantin Korowin, dessen dynamisch flirrende Stadtansichten denen von Camille Pissarro ähneln. Nicolas Tarkhoff reiste 1899 nach Frankreich und blieb dort bis zu seinem Tod 1930. Seine Gemälde wie „Karnevalstag“ (1900) oder „Eine Straße im Pariser Vorort Saint-Martin“ (1901) bestechen durch den Kontrast von vibrierenden Punkten und flächigen Streifen, die etwa Schlieren von Regentropfen auf einer Fensterscheibe simulieren.

 

Die Maler im Zarenreich wählten meist ländliche oder private Motive. Isaak Lewitan spezialisierte sich auf kleinformatige Ansichten von Feld, Wald und Flur, die er zuweilen abstrahierte. Stanislaw Shukowski und Sergei Winogradow schufen mit delikat abgestuften Farbharmonien stimmungsvolle Interieurs von Landhäusern und Sommerfrische-Szenen. Igor Grabar lässt auf seinen grobkörnigen Landschaften funkelnde Lichtreflexe aufblitzen – damit verleiht er sogar einer fast monochromen Birke in „Weißer Winter. Saatkrähennester“ (1904) visuelle Spannung.

 

Stilmixe können scheitern

 

Dagegen wirken auf den eher konventionell komponierten Gemälden von Abram Archipow die kräftigen Farbkontraste höchst eindrucksvoll: „Im Norden“ (1909/10) leuchten Gewässer und Gebäude im fahlen Sonnenschein der Tundra. Beim „Besuch“ (1914) rückte der Maler vier Bäuerinnen in grelles Gegenlicht, damit ihre Kleider in allen Rottönen strahlen.

 

Zur gleichen Zeit experimentierten andere Künstler längst mit allen möglichen Innovationen. Nicht immer gelang der Stilmix: Auf zwei realistisch angelegten Frauenporträts von 1906/7 bedeckte Wladimir Burljuk Hautpartien und Kleider mit pointilistischen Tüpfeln, die sie pockennarbig und zerschlissen aussehen lassen. Derlei vermieden andere Maler, indem sie den Impressionismus entschieden hinter sich ließen.

 

Baden in Rot + Grün

 

Wie das Künstlerpaar Natalija Gontscharowa und Michail Larionow: Beide schufen bis etwa 1908 anmutig ausbalancierte impressionistische Landschaften. Doch bereits 1906 malte Larionow kraftvoll stilisierte „Badende bei Sonnenuntergang“ nur aus Rot- und Grüntönen; das erscheint wie ein Vorgriff auf den Neoprimitivismus, dem sich beide bald zuwenden sollten.

 

1910 waren sie Mitgründer der Gruppe „Karo-Bube“, zwei Jahre später bildeten sie mit Kasimir Malewitsch, Marc Chagall und Wladimir Tatlin die Vereinigung „Eselsschwanz“. Mittlerweile hatten sich Gontscharowa und Larionow dem Rayonismus verschrieben: Farbstrahlen um alle Objekte sollten die Energie des Lichts wiedergeben.

 

Aufbruch + Rückkehr

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Impressionismus – Die Kunst der Landschaft" im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "In einem neuen Licht – Kanada und der Impressionismus" in der Kunsthalle München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung  "Monet und die Geburt des Impressionismus" im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier eine Kritik des Films "Malmkrog" - Verfilmung eines Romans von Wladimir Solowjow über die russische Oberschicht um 1900 durch Cristi Puiu

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde" in der Bundeskunsthalle, Bonn.

 

Der letzte Saal der Ausstellung ist der aufregendste: Er veranschaulicht anhand von einem Dutzend Bilder, wie die russische Kunst nach 1910 zentrifugal in verschiedenste Avantgarde-Richtungen auseinander strebte. Einen Vektor beschrieb 1915 Georgi Jakulow mit seinem halbtransparent-mehrdimensionalen „Bar“-Raum, der vom Orphismus von Robert und Sonia Delaunay beeinflusst war. Einen anderen Kasimir Malewitsch: Er fand 1913 zur Abstraktion und wurde zwei Jahre später zum Propheten des Suprematismus.

 

Zuvor hatte er sich an recht blassen impressionistischen Landschaften versucht, von denen mehrere in der Schau gezeigt werden. Ende der 1920er Jahre schloss er daran an; der Ober-Avantgardist kehrte zu seinen Anfängen zurück. In seiner Person beglaubigt sich der Ausstellungs-Untertitel „Aufbruch zur Avantgarde“ besonders deutlich.

 

Verpönter Geist der Freiheit

 

Anders als in Westeuropa entfaltete sich die klassische Moderne in Russland nicht in mehreren Künstler-Generationen, sondern in einer: Viele Avantgarde-Maler begannen mit impressionistischen Werken. Sie boten ihnen Freiräume für Experimente, die sie alsbald radikal weiterentwickelten. Das mag erklären, warum all diese Spielarten ab Mitte der 1920er Jahre Opfer der Zensur wurden.

 

In der Sowjetunion waren nicht nur die Avantgarden verpönt, sondern auch der Impressionismus – obwohl manche Protagonisten des Sozialistischen Realismus eine lockere, an ihn angelehnte Malweise pflegten. Doch als vorrevolutionärer Stil mit apolitischer Freude an sinnesfrohen Darstellungen und Motiven aus der großbürgerlichen Lebenswelt passte der Impressionismus nicht zur Diktatur des Proletariats: Aus ihm sprach der Geist der Freiheit.