Als der Maler Johann Erdmann Hummel (1769-1852) im Frühjahr 1799 nach einem siebenjährigen Studienaufenthalt in Italien in seine Geburtsstadt Kassel zurückkehrte, wollte er sich dem Fürsten als Hofmaler empfehlen: mit einer Ansicht von Schloss Wilhelmshöhe in einer idealen Parklandschaft.
Info
Magische Spiegelungen –
Johann Erdmann Hummel
22.10.2021 – 20.02.2022
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
in der Alten Nationalgalerie, Museuminsel, Bodestraße 1-3, Berlin
Katalog 29 €
Halbes Jahrhundert an der Spree
Recht unauffällig hängt dieses Hauptwerk von Hummels Kasseler Zeit nun in der Alten Nationalgalerie in Berlin; sie widmet ihm die erste große Retrospektive seit fast 100 Jahren. Der Fokus liegt hier auf Hummels Entwicklung in Preußen nach dem Abschied von seiner Heimatstadt. Mit Anfang Dreißig kam er nach Berlin. Ein halbes Jahrhundert lebte, arbeitete und lehrte der Künstler an der Spree, bis er mit 83 Jahren starb.
Impressionen der Ausstellung
Im Schatten von C.D. Friedrich
Hummel war ein Zeitgenosse von Caspar David Friedrich, dessen Ikonen romantischer Malerei – wie der „Mönch am Meer“ und die „Abtei am Eichwald“ – im Oberlichtsaal des Museums bis heute das Publikum fesseln. Beide Maler erregten im frühen 19. Jahrhundert viel Aufsehen in den Kunstausstellungen der Berliner Akademie. Doch anders als dem Star-Künstler Caspar David Friedrich war Hummel postum nur bescheidener Ruhm beschieden.
Dass Hummel heute überhaupt noch einigermaßen bekannt ist, verdankt sich vor allem einem einzigen Motiv. Als Maler begleitete er um 1830 den Entstehungsprozess der riesigen Granitschale, die vor Schinkels Altem Museum im Lustgarten steht. Die 75 Tonnen schwere Riesenschüssel aus märkischem Granit galt seinerzeit als kunsthandwerklich-technologisches Weltwunder und vaterländisches Symbol.
Hidden champion der Epoche
Hummel schuf mehrere Bilder, in denen der Koloss im Mittelpunkt steht. Auf seiner berühmtesten Aansicht spiegeln sich Spaziergänger, Lustgarten und Schloss in der auf Hochglanz polierten Oberfläche der Schale. So unverrückbar wie dieses Ungetüm auf der Museumsinsel steht, so unverzichtbar schmückt Hummels Abbildung die Nationalgalerie-Dauerschau von Malerei des 19. Jahrhunderts – und stellt sein übriges Œuvre in den Schatten.
Dagegen rühmt Ausstellungskuratorin Birgit Verwiebe Hummel als hidden champion der Kunst dieser Epoche. Mit ihrer Retrospektive unternimmt die Nationalgalerie einen dritten Anlauf, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 1904 hatte Museumsdirektor Hugo von Tschudi drei seiner Werke angekauft; sein Nachfolger Ludwig Justi widmete Hummel 1924 eine Gedächtnisausstellung. Sie fiel in die Zeit des Übergangs vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit. In diesem Kontext seien Hummels Raumkonstruktionen und Porträts neu wahrgenommen worden, suggeriert die aktuelle Schau – und platziert eine Handvoll neusachlicher Werke zwischen Hummels Bilder.
Obsessiv mit Oberflächen befasst
Tatsächlich schlägt in seiner Malerei bereits das Interesse an der Welt des objektiv Sichtbaren in eine Art Hyperrealismus mit magischer Wirkung um. Das führt die Schau vor, indem sie verschiedene Versionen von Werken mit Vorstudien zusammenführt. Bei den Granitschalen-Bildern etwa war Hummel daran interessiert, die Farbigkeit des Granits unter verschiedenen Lichtverhältnissen einzufangen. Obsessiv befasste er sich mit Licht und Schatten, Spiegelungen und Reflexen auf Oberflächen.
Ähnlich beim Auftragswerk „Die Schachpartie“, das erstmals in beiden Versionen in einer Ausstellung zu sehen ist: Es zeigt einen Berliner Freundeskreis in einem von Kerzen und Mondlicht erhellten Innenraum. Aus der Distanz scheinen die Bilder zwei Mal das gleiche Motiv darzustellen, doch aus der Nähe fallen viele Details ins Auge, die den Bildraum in der späteren großen Fassung noch vertrackter wirken lassen.
Ein Tüftler im Atelier
In ihr montiert der Maler einen zweiten Spiegel ins Bild, der eine Lampe und eine durchscheinende Glasflasche verdoppelt und einen Kaminofen im Rücken des Betrachters sichtbar macht. Weil eine Gardine fehlt, spiegeln sich die Anwesenden auch in der Glasscheibe. Das zarte Muster der Wandtapete wird durch Lichtreflexe und Schatten zusätzlich belebt.
Hummel muss einen Riesenspaß an der Lösung komplizierter malerischer Probleme gehabt haben. Er konnte das in Berlin zu seinem Beruf machen: Seit 1809 lehrte er als Professor für Perspektive, Optik und Architektur an der preußischen Akademie der Künste. Er verfasste mehrere Lehrbücher und bildete den künstlerischen Nachwuchs aus, ohne eine Schule zu begründen.
Lebensgroßes Spiegel-Oktogon
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Sammlung Schack: Neue Räume - Von Gibraltar bis Helgoland" über die einzigartige Kollektion spätromantischer Landschaftsmalerei in München
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Andreas Achenbach – Revolutionär und Malerfürst" als Kopf der Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts im Museum LA8, Baden-Baden
und hier einen Beitrag über den Film "Moritz Daniel Oppenheim – Der erste jüdische Maler" - Doku über den romantischen Künstler von Isabel Gathof
und hier einen Bericht zur Wiedereröffnung der Neuen Galerie in Kassel mit Werken von Johann Erdmann Hummel 2011.
Die Werkschau zeigt auch, wie vielseitig begabt Hummel war. Er hinterließ anmutige Naturstudien; bei Bildnissen orientierte sich Hummel an der älteren niederländischen Malerei. Sein maltechnischer Perfektionismus kühlte die Motive aus – daher wagt die Ausstellung eine Konfrontation mit neusachlichen Porträts etwa von Christian Schad oder Carlo Mense.
E. T. A. Hoffmann war begeistert
Wie stellt man die Dynamik einer Schaukel oder einen Moment der Stille während einer Musikaufführung dar? Solche Sujets haben Hummel gereizt. Von seiner Darstellung zweier Musikerinnen in einem italienischen Gasthaus war der Dichter E. T. A. Hoffmann so angetan, dass er seine Erzählung „Die Fermate“ um das Motiv spann. Sie kannte Joseph von Eichendorff ebenso wie Hummels Bild; beide zitiert er in seiner Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“.
Solche Italienbegeisterung teilte Hummel mit seinen Zeitgenossen. Deutlich weniger fühlte sich der Wahlberliner zu christlicher Frömmigkeit, romantischer Innerlichkeit und patriotischer Ritter- und Burgenverklärung hingezogen. Wie E. T. A. Hoffmann inspirierte ihn eher die Magie des großstädtischen Lebens: Kerzenschein auf den Gesichtern einer Abendgesellschaft oder die Spiegelungen von Passanten in einer Pfütze vor einem Modegeschäft.