Salomé Jashi

Die Zähmung der Bäume – Taming the Garden

Um die ausgewählten Bäume herum wird das Unterholz gerodet. Foto: 2021 © - Film Kino Text
(Kinostart: 2.12.) Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen: Georgiens heimlicher Herrscher sammelt große Gehölze. Ihren Transport dokumentiert Regisseurin Salomé Jashi in statischen Einstellungen – als eine Art Öko-Elendsporno aus der Borkenkäfer-Perspektive.

Der diskrete Alleinherrscher: Seit zwei Jahrzehnten drückt Bidsina Iwanischwili dem Leben in Georgien seinen Stempel auf. Der 1956 geborene Sohn eines Kleinbauern studierte in Tiflis und Moskau, bevor er bei den Privatisierungen im Russland der 1990er Jahre schwerreich wurde. Mit IT-Technik, Banken, Eisenbergbau und Chemie häufte er ein riesiges Vermögen an. Es wird auf sechs bis acht Milliarden US-Dollar geschätzt; das entspricht einem Drittel von Georgiens BIP. Dabei sagt man ihm, im Gegensatz zu den meisten postsowjetischen Oligarchen, keine Korruptionsskandale oder rücksichtsloses Geschäftsgebaren nach.

 

Info

 

Die Zähmung der Bäume –
Taming the Garden

 

Regie: Salomé Jashi,

92 Min., Georgien/ Schweiz/ Deutschland 2021;

 

Website zum Film

 

2003 kehrte Iwanischwili nach Georgien zurück. Anfangs unterstützte er den Reform-Präsidenten Micheil Saakaschwili, bis er mit ihm brach, weil dieser zusehends autoritärer auftrat. 2012 gründete der Magnat das Parteienbündnis „Georgischer Traum“ und gewann damit die Parlamentswahlen. Iwanischwili wurde Premierminister, trat aber bereits Ende 2013 zurück. Seither zieht er im Hintergrund die Drähte; vier Amtsnachfolger galten und gelten als seine Erfüllungsgehilfen.

 

Wohltäter privatisiert Öffentlichkeit

 

Iwanischwilis Ausnahmestellung als Krösus von Georgien wird schon im Stadtbild von Tiflis deutlich: Unübersehbar thront sein futuristischer, 50 Millionen Dollar teurer Wohn- und Geschäftskomplex auf einem Hügel über der Altstadt. Popularität erwarb er sich aber als großzügiger Mäzen. Ob Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Infrastruktur, Bildungs- und Kultureinrichtungen: In vielen Bereichen hat seine „Cartu Stiftung“ kostspielige Verbesserungen finanziert – und damit Aufgaben übernommen, die der chronisch klamme georgische Staat nicht bewältigen kann. Der Wohltäter privatisiert die öffentliche Sphäre.

Offizieller Filmtrailer


 

Auf schwimmenden Inseln übers Meer

 

Wie ein aufgeklärter absolutistischer Regent verhält sich Iwanischwili auch bei seinem jüngsten Herzensprojekt, dem „Dendrologischen Garten“ von Shekvetili an der Schwarzmeerküste. Seit 2017 lässt er landesweit ausgewachsene Bäume verschiedener Arten ausgraben und zu seinem Park verfrachten, wo sie wieder eingepflanzt werden. Ihre vorigen Besitzer werden mit bis zu 10.000 Euro entschädigt. Der Transport bringt erhebliche Eingriffe in die Landschaft mit sich: Dafür werden Betonpisten angelegt, störende Bäume am Wegesrand gestutzt oder gefällt, zeitweilig Stromleitungen oder Bahntrassen unterbrochen.

 

Von all dem erfährt man in Salomé Jashis Dokumentarfilm – fast nichts. Die georgische Regisseurin verweigert jeden Kommentar oder Kontext. Stattdessen schwelgt die Kamera in statischen Einstellungen auf Baumstämmen und -wipfeln, Grabungs- und Verankerungsarbeiten. Oder sie verfolgt minutenlang, wie mächtige Baumriesen auf Sattelschleppern und schwimmenden Inseln im Zeitlupentempo über Land und Meer bewegt werden. Iwanischwilis Name fällt nur wenige Male, wenn Dörfler plaudernd über seine Absichten spekulieren.

 

Suggestion eines Umwelt-Verbrechens

 

Mitgehörte Gespräche der Bauarbeiter untereinander tragen genauso wenig zum Verständnis der Vorgänge bei. Dabei könnten sie gewiss erklären, wie man die heikle Aufgabe meistert, ausladende Bäume mit weit verzweigtem Wurzelwerk von A nach B zu bringen, ohne dass sie Schaden nehmen. Daran ist Regisseurin Jashi jedoch nicht interessiert. Ihr liegt offenkundig nur daran, den bizarren Anblick von Bäumen in Bewegung aus malerischen Sichtachsen auszuschlachten. Um damit zu suggerieren, der Tycoon begehe ein Umweltverbrechen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "El Olivo - Der Olivenbaum" – ökologisches Feelgood-Roadmovie von Icíar Bollaín

 

und hier eine Besprechung des Films "Das geheime Leben der Bäume" – Essay-Film über Peter Wohllebens Bestseller von Jörg Adolph + Jan Haft

 

und hier einen Bericht über den Film "Vor dem Frühling" – Polit-Thriller über den Sturz von Georgiens erstem Präsidenten von George Ovashvili

 

und hier ein Beitrag über den Film "Die Maisinsel" – idyllische Fluss-Robinsonade in Georgien von George Ovashvili.

 

Was keineswegs ausgemacht ist: Die Umgepflanzten werden im 60 Hektar großen Garten von Shekvetili – der erst in den letzten Filmminuten gezeigt wird – bestens gepflegt. Ein Drittel des Geländes ist heimischen, zwei Drittel exotischen Gehölzen vorbehalten. Klugerweise hat Iwanischwili den Park nicht abgeriegelt, sondern im Juli 2020 für jedermann geöffnet; bei freiem Eintritt. Das schafft Akzeptanz.

 

Demokratie mutiert zu Plutokratie

 

Zudem legen frühere Initiativen nahe, dass seine Baum-Sammlung kein Spleen ist, sondern er sich nachhaltig für Naturschutz engagiert. Seine „Cartu Stiftung“ hat mehrere Botanische Gärten und Nationalparks in Georgien instand gesetzt und aufgeforstet. Dennoch bleibt ein Unbehagen: Georgiens instabile, doch halbwegs funktionierende Demokratie wird dadurch ausgehöhlt, dass der wohlhabendste Bürger ihre Geschicke nach Gutdünken bestimmt.

 

Dass Staaten zu Plutokratien mutieren, ist nicht auf Entwicklungs- oder Schwellenländer beschränkt: Ohne seine Milliarden wäre Donald Trump kaum US-Präsident geworden. Jeff Bezos, Elon Musk oder Mark Zuckerberg könnten es leicht werden, indem sie alle relevanten Medien und Werbeplattformen aufkaufen. Zum Gemeinwesen im Privatbesitz hat Regisseurin Jashi nichts zu sagen: Ihr Film verharrt in der Borkenkäfer-Perspektive.