Srdan Golubović

Vater – Otac

Nikola (Goran Bogdan) will seinen Sohn Miloš (Muharem Hamzić) nicht verlieren. Foto: Maja Medić / Barnsteiner Film
(Kino-Start: 2.12.) Das Einfache, das so schwer zu machen ist: Der serbische Regisseur Srdan Golubović porträtiert einen Mann, der seinen Kindern zuliebe zu Fuß 300 Kilometer nach Belgrad läuft. Ein ergreifendes Alltagsdrama über einen durch und durch menschlichen Helden.

Er hat nicht viel, aber er gibt alles: Nikola (Goran Bogdan) ist eine Kämpfernatur. Seit er vor zwei Jahren seine Festanstellung verloren hat, schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, um seine Familie zu ernähren. Aber es reicht hinten und vorne nicht. Zu Hause leben sie in spärlichsten Verhältnissen ohne fließendes Wasser und Strom. Doch am Schlimmsten ist der Hunger.

 

Info

 

Vater – Otac

 

Regie: Srdan Golubović,

120 Min., Serbien/ Kroatien/ Deutschland/ Frankreich 2020;

mit: Goran Bogdan, Boris Isaković, Nada Šargin

 

Weitere Informationen zum Film

 

Als seine Frau Biljana (Nada Šargin) das irgendwann nicht mehr erträgt, schnappt sie ihren Teenager-Sohn samt kleiner Tochter und begeht einen Selbstmordversuch auf offener Straße, um Nikolas früheren Arbeitgeber zur Zahlung der Abfindung zu bewegen, die noch immer aussteht. Vergeblich. Als Nikola von dem Unglück erfährt, liegt seine Frau schwer verletzt im Krankenhaus, während sich die Kinder in einem Heim vom Schock erholen. Das erklärt ihm der Leiter des zuständigen Sozialamts (Boris Isaković).

 

Beschwerde beim Ministerium

 

Damit nicht genug: Dem Vater wird verwehrt, seine Kinder zu sehen, geschweige denn, weiterhin für sie zu sorgen. Er sei zu arm, heißt es, um ein angemessenes Lebensumfeld für sie zu gewährleisten. Nikola will sich damit nicht abfinden. Er beschließt, eine Beschwerde beim Sozialministerium in Belgrad einzulegen. Das muss er persönlich tun, und die Hauptstadt ist fern. Doch für seine Kinder ist dem auf stille Weise wütenden Vater kein Weg zu weit – selbst 300 Kilometer Fußmarsch nicht.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Held ohne heroische Züge

 

Regisseur Srdan Golubović konzentriert sich völlig auf seine Hauptfigur und dessen Mission. Die Kamera von Aleksandar Ilić folgt Nikola auf Schritt und Tritt; viel gesprochen wird dabei nicht. Man muss aber Goran Bogdans Vater nur in die Augen schauen, um zu begreifen, dass seine Familie sein Leben ist. Dafür läuft er sich die Füße blutig, hungert, schläft im Freien auf der Straße oder im Wald. Irgendwann kann er nicht mehr und fällt einfach um. Doch seine Willenskraft ist stärker als körperliche Erschöpfung.

 

Das Drehbuch von Golubović und dem Kroaten Ognjen Sviličić beruht auf einer wahren Begebenheit. Unabhängig davon wirkt der Film in jeder Sekunde authentisch. Bogdan verkörpert einen Helden des Alltags, ohne jemals das Heroische seiner Figur in den Vordergrund zu spielen. Im Gegenteil: Sein Vater ist ein einfacher, schweigsamer Mensch, der für seine Liebsten kämpft, jedoch nie mehr verlangt als das, was ihm zusteht.

 

Rundblicke durch ruiniertes Land

 

Dabei filmt Golubović die Szenen, in denen Nikola sich mit den Behörden auseinandersetzen muss, so nüchtern und ohne dramatische Schnitte, dass dem Zuschauer die Starrheit des Systems und dessen Überlegenheit deutlich ins Auge springt. In diesem Machtspiel stehen Nikolas Chancen schlecht, gegen die Kaltschnäuzigkeit der Amtsinhaber zu gewinnen. Jedoch wächst sich seine Beharrlichkeit, insistiert er bei jedem Besuch im Sozialamt etwas mehr.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Quo vadis, Aida?" - aufwühlender Bosnienkriegsfilm über das Massaker von Srebrenica 1995 von Jasmila Žbanić

 

und hier eine Besprechung des Films "Enklave" – Drama über Jungen im serbisch-albanischen Kosovo-Konflikt von Goran Radovanović

 

und hier einen Bericht über den Film "Babai – Mein Vater" – bewegend kühles Drama über einen jungen Kosovo-Emigranten von Visar Morina

 

und hier einen Beitrag über den Film "Djeca – Kinder von Sarajevo" – Drama über den Alltag bosnischer Kriegswaisen von Aida Begić.

 

Sobald der Vater seinen Weg nach Belgrad antritt, weitet sich zudem der Blick. Die Kamera schweift durch ein Land, in dem Nikolas Armut kein Einzelfall ist: Verlassene Fabrikgebäude, stillgelegte Tankstellen, verrottete Straßen und einsame Haltestellen bestimmen das Bild.

 

Ehrliche Mittel, große Wirkung

 

Dennoch lässt Golubović nie ein Gefühl der Resignation aufkommen; darin liegt die Kraft des eindringlichen Dramas. Immer wieder begegnet Nikola vereinzelt auf Menschen, die auf ihre Weise zu helfen bereit sind. Die ruhige Kameraführung verstärkt den gewünschten Effekt. Die Bilder wirken versöhnlich – dort muss Hoffnung erst wieder wachsen.

 

Dass dieser Film auf der Berlinale 2020 den Panorama-Publikumspreis erhielt, verwundert nicht. Mit einfachsten und ehrlichsten Mitteln erzielt der Regisseur die größtmögliche Wirkung: „Vater – Otac“ ist ein berührendes Werk über einen durch und durch menschlichen Helden. Auch wenn Nikola trotz aller Entschlossenheit am Ende das System nicht verändern kann, stimmt die Begegnung mit ihm auf der Leinwand zuversichtlich, dass die Suche nach Recht und Gerechtigkeit nicht vergebens ist.