Charlotte Rampling

Benedetta

Die Braut Jesu: Für die Bewohner des Dorfes hat Benedetta (Virginie Efira) schon längst den Status einer Heiligen erreicht. Foto: © capelight pictures / Koch Films
(Kinostart: 2.12.) „Der Name der Rose“ trifft „Showgirls“: Regie-Provokateur Paul Verhoeven verfilmt das Leben einer lesbischen Nonne um 1600, die erst als Heilige verehrt wird und dann als Hexe verbrannt werden soll – ein unterhaltsamer und geistvoller Klosterkrimi.

Talentförderung in der frühen Neuzeit: Im 17. Jahrhundert wird die junge Benedetta (Virginie Efira) von ihren Eltern in die Obhut der Schwestern vom Kloster Pescia gegeben. Die Preisverhandlung beim Aufnahmegespräch erinnert an die Gepflogenheiten amerikanischer Elite-Universitäten: Wer viel spendet, dessen Kinder sind drin in der privilegierten Erziehungseinrichtung. So wächst Benedetta behütet im Kloster auf.

 

Info

 

Benedetta

 

Regie: Paul Verhoeven,

131 Min., Frankreich 2021;

mit: Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patakia, Lambert Wilson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dort wird sie schnell verhaltensauffällig: Zuerst gerät sie durch den Anblick einer Marienstatue in erotische Ekstase, später zeigen sich an ihren Händen und Füßen auch noch Wundmale – ein eindeutiger Beweis, dass es sich bei der Novizin um eine Heilige handeln muss. So erringt Benedetta einen Sonderstatus im Kloster und wird zur Äbtissin gewählt, misstrauisch beobachtet von der von Charlotte Rampling gespielten Oberin.

 

Hingabe und Begierde

 

Zwischen beiden kommt es bald zum Machtkampf; im Neuzugang Bartolomea (Daphné Patakia) findet Benedetta eine Verbündete. Allerdings fordert Bartolomea auch ihre Sexualität heraus. Als Gerüchte über ihre Beziehung den päpstlichen Nuntius (Lambert Wilson) auf den Plan rufen, wird die Lage für die jungen Frauen ernst. Der Zuschauer darf derweil rätseln: Was wütet in Benedetta – religiöse Hingabe oder weltliches Begehren? Kühler Ehrgeiz oder blanker Narzissmus?

Offizieller Filmtrailer


 

Schändliche Leidenschaften

 

Regisseur Paul Verhoeven lässt das Publikum eine Weile über Benedettas Motive im Dunkeln. Während Oberin und Nuntius gemäß ihrer Stellung in der Kirchenhierarchie handeln und taktieren, erweist sich die Nonne als noch intriganter; sie scheint den beiden immer ein Stück voraus. Aber hat Benedetta eine Strategie, und wird diese auch aufgehen, wenn sich ausgerechnet Bartolomea als ihre Achillesferse erweist?

 

Verhoeven inszeniert dieses historisches Ränke- und Intrigenspiel geschickt. Dabei kann sich der Regisseur auf historisch verbürgtes Material stützen: Wie die Prozessakten der viel berühmteren Jeanne d’Arc (1412-1431), die bereits für zahlreiche Verfilmungen herhielten, sind auch Aufzeichnungen über die Nonne Benedetta Carlini (1590-1661) erhalten. Sie wurden von Judith C. Brown wieder entdeckt. Die US-Historikerin veröffentlichte 1986 Carlinis Biographie – auf Deutsch 1988: „Schändliche Leidenschaften: das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance“.

 

Scheiterhaufen statt langjähriger Haft

 

Darauf basiert lose diese Leinwand-Adaption; sie nimmt sich aber manche Freiheiten. Die historische Benedetta Carlini wurde inhaftiert und starb nach 35-jähriger Gefangenschaft mit 71 Jahren. Im Film wird sie als Hexe zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, überlebt aber, weil während der Vollstreckung ein Aufstand ausbricht.

 

Diese Geschichte erzählt Verhoeven als populärtheologischen Polit-Thriller an Originalschauplätzen und in penibel rekonstruierter Ausstattung. Dass er dabei viel Augenmerk auf die lesbische Beziehung richtet, scheint er seinem Ruf als Skandal-Regisseur schuldig zu sein.

 

Vorm Ausziehen etwas zu sagen haben

 

Auf raffinierte Weise hat Verhoeven die Bahnhofskino-Schmuddelgenres „Nonnensex“ und „Hexenfolter“ in den Rang eines Autorenfilms befördert. „Benedetta“ wirkt wie eine späte Antwort auf Jean-Jacques Annauds Verfilmung von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ (1986). Mit dem Unterschied, dass er – wie Verhoevens eigener Film „Showgirls“ (1995) – in einer weiblichen anstatt einer männlichen Welt spielt; zwar entkleiden sich die Frauen häufig, aber immerhin haben sie zwischendurch auch etwas zu sagen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Elle" - raffiniertes Vergewaltigungs-Rachedrama von Paul Verhoeven

 

und hier eine Besprechung des Films "Jenseits der Hügel – După dealuri" - brillant vielschichtiges Drama über Liebe + Exorzismus im rumänischen Nonnenkloster von Cristian Mungiu

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Nonne" - Empowerment-Historiendrama von Guillaume Nicloux nach dem Klassiker von Denis Diderot 

 

und hier ein Beitrag über den Film "Meteora" – griechisches Liebesdrama zwischen Mönch + Nonne in den gleichnamigen Einsiedler-Klöstern von Spiros Stathoulopolos.

 

 

Dabei überzeugen Daphné Patakia in der Rolle des sinnlichen Störfaktors, die stets undurchschaubare Charlotte Rampling und ihr männlicher Gegenspieler Lambert Wilson. Nur Hauptdarstellerin Virginie Efira bleibt eher blass – was jedoch ihre Funktion als Projektionsfläche begünstigt.

 

Instinkte bedienen + bloßlegen

 

Der gebürtige Niederländer Verhoeven drehte in seiner Heimat bis 1985 eine Reihe vielbeachteter Filme; sie sind nicht zuletzt wegen des Schauspielers Rutger Hauer, den er entdeckte, immer noch sehenswert. In Hollywood gelang ihm eine Erfolgsserie mit Filmen wie „RoboCop“ (1987), „Die totale Erinnerung – Total Recall“ (1990) oder „Basic Instinct“ (1992), die wegen ihrer drastischen Sex- und Gewaltdarstellungen umstritten waren.

 

Im Rückblick wirken sie wie postmoderne Satiren: Verhoeven legte die niedersten Instinkte des Publikums bloß, indem er sie einfach bediente. Sein aktueller Klosterkrimi, der vor 30 Jahren ein feministisches Statement von Belang gewesen wäre, wird zwar nie langweilig, zeigt aber, dass der frühere Provokateur nicht mehr auf der Höhe der Zeit agiert. Er wendet weiter seine alten Methoden an: Aufregung verursachen und makellos polierte Spiegel vorhalten. Allerdings ist er noch immer für Kino-Überraschungen gut, die zugleich unterhalten und intellektuell herausfordern.