Srdjan Dragojevic

Der Schein trügt

Nada (Ksenija Marinkovic) macht ihrem Mann Stojan (Goran Navojec) das Sünden schmackhaft. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart. 16.12.) Gottes unzulängliches Bodenpersonal: Bigotterie auf dem heutigen Balkan karikiert Regisseur Srdjan Dragojević mit beißendem Humor. Seine Satire schwankt zwischen Klamauk und Groteske – originell inszenierte Episoden machen platte Momente verzeihlich.

Es knallt, als Stojan (Goran Navojec) eine Glühbirne in die Fassung schraubt. Als er wieder zu sich kommt, leuchtet plötzlich ein Neon-Heiligenschein über seinem Kopf. Doch der grundehrliche und daher arme Stojan ist über diesen göttlichen Gnadenerweis alles andere als erfreut. Schließlich ist er Atheist und auch noch im Jahr 1993 seinen kommunistischen Überzeugungen treu.

 

Info

 

Der Schein trügt

 

Regie: Srdjan Dragojevic,

122 Min., Serbien/ Deutschland 2021;

mit: Goran Navojec, Bojan Navojec, Ksenija Marinković

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mit Frau und Tochter haust er in einem Flüchtlingslager am Rande einer namenlosen Stadt in Südosteuropa. Aus ihrer Heimat wurde die Familie durch den Jugoslawienkrieg vertrieben, wobei Regisseur Srdjan Dragojević den Konflikt nicht näher verortet – die Erfahrung von Krieg und Vertreibung ist auf dem Balkan weit verbreitet.

 

Wandlung vom Paulus zum Saulus

 

Anstatt den lästigen Nimbus wie ein falscher Prophet gewinnbringend einzusetzen, will Stojan ihn unbedingt loswerden. Gattin Nada (Ksenija Marinković) findet die Lösung: Ihr braver Mann muss zum Sünder werden! Seine Wandlung vom Paulus zum Saulus wird als ein Reigen von Derbheiten inszeniert; dabei überschreitet der Klamauk mehrmals die Grenze zur Plattheit. Doch in der zweiten von drei Episoden wechselt die Tonlage zur schrägen Mischung aus Tragik und Zynismus, um in der dritten in beißende Satire umzuschlagen. Dieses Triptychon ist durch die Hauptfiguren lose miteinander verknüpft.

Offizieller Filmtrailer


 

Baby-Verwandlung + Bilder-Nahrung

 

Das zweite, mit „Gnade“ betitelte Kapitel spielt einige Jahre später; es geht um einen Geisteskranken namens Gojko (Bojan Navojec), der wegen eines Handys gemordet haben soll. Kurz vor seiner geplanten Hinrichtung verwandelt sich der verurteilte Mörder in ein Baby. Dieses übernatürliche Wunder beeindruckt Stojan, der mittlerweile Gefängnisdirektor geworden ist und sich an seinen Heiligenschein gewöhnt hat, kein bisschen.

 

Weitere 25 Jahre später nimmt die Galeristin Julia (Nataša Marković) einen jungen Künstler unter Vertrag, dessen Bilder einen ungewöhnlichen Effekt haben: Ihr Anblick sättigt Menschen, als hätten sie gegessen. Dieses Phänomen ruft auch die Begehrlichkeiten der Macht auf den Plan. In der Zwischenzeit ist Stojan zum Präsidenten aufgestiegen; er ordnet staatliche Kontrolle über die Kunst und den Künstler an. Dessen „nahrhafte Bilder“ werden ungeahnt populär.

 

So grell wie ein Heiligenschein

 

Mit seiner Religions-Satire spießt Regisseur Srdjan Dragojević offenkundig Bigotterie und Geschäftemacherei auf. In der postkommunistischen Gesellschaft haben tiefer Glaube und feste Überzeugungen keinen Platz; es gilt das Recht des Stärkeren und der Primat des Opportunismus. Nicht einmal die Kunst bietet eine sinnstiftende Alternative, denn sie wird nur mit Blick auf ihre finanzielle Verwertbarkeit betrachtet.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Parada” - originelle serbische Schwulen-Komödie von Srdjan Dragojević

 

und hier eine Besprechung des Films "Vater - Otac" - ergreifendes serbisches Familiendrama von Srdan Golubović

 

und hier einen Bericht über den Film "Quo vadis, Aida?" - erschütterndes Historiendrama über das Massaker von Srebrenica 1995 von Jasmila Žbanić, prämiert als "Europäischer Film 2021"

 

und hier ein Beitrag über den Film "Gott verhüte!" - klerikale Komödie aus Kroatien von Vinko Brešan.

 

Dabei will Dragojević weniger Autorenfilm-Cineasten ansprechen: Seine Komödie gerät so grell wie der Heiligenschein auf Stojans Kopf, samt lustvoll chargierendem Spiel der Darsteller. Wie schon 2011 in „Parada“: Diese Komödie über ein schwules Paar, das eine Gay-Pride-Parade ausgerechnet von nationalistischen Machos beschützen lässt, war im letzten Jahrzehnt einer der erfolgreichsten Kinofilme auf dem Balkan – trotz der dort weit verbreiteten Homophobie.

 

Balkan-Bild ohne Problemfilme

 

An dieses Publikum richtet sich auch sein aktuelles Werk mit seiner Mischung aus teils krachledernem Humor und etlichen Anspielungen auf die heimische Politik und Kultur. Das mag auf hiesige Zuschauer manchmal befremdlich wirken. Andererseits entwirft Dragojević ein völlig anderes Bild als die ambitionierten Problemfilme, die es sonst aus dem Balkanraum in deutsche Kinos schaffen; jüngst etwa das Historiendrama „Quo vadis, Aida?“ von Jasmila Žbanić, soeben prämiert als „Europäischer Film 2021“, oder die harsche Sozialkritik in „Vater – Otac“ von Srdan Golubović.

 

Dagegen hat „Der Schein trügt“ mehr mit den anarchischen Klamotten von Emir Kusturica gemein. Von solchen überdrehten Grotesken mag man halten, was man will – unterhaltsam sind sie in jedem Fall.