Frankfurt am Main

Katastrophe: Was kommt nach dem Ende?

Szenenbild aus: "2012 - Das Ende der Welt" (US 2009. R: Roland Emmerich). Foto: Quelle: RGR Collection / Alamy Stock Photos
Die Ausstellung als sich selbst erfüllende Prophezeiung: Das Deutsche Filmmuseum nimmt Untergangs-Visionen in den Blick. Doch die Sicht wird von rauchenden Trümmern vernebelt – übrig bleibt ein Weltuntergangs-Eintopf mit volkspädadogischer Absicht.

Am Ende steht immer ein neuer Anfang: Diese Paradoxie gilt nicht nur für jede zyklische Zeitmessung, sondern auch für menschliche Welterfahrung insgesamt. An jedem Neujahr feiert man ausgiebig, dass der Kalender auf Null zurückgestellt wird – hoffend, das kommende Jahr möge besser werden als das alte. So oft sie auch trügen mag: Diese Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Info

 

Katastrophe:
Was kommt nach dem Ende?

 

14.07.2021 - 22.05.2022

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

im DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum e.V., Schaumainkai 41, Frankfurt am Main

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen

 

Was auch für die Katastrophe zutrifft: Wäre sie total und würde sie jedes Leben auslöschen, gäbe es niemanden mehr, der von ihr berichten könnte. Zumindest ein Überlebender kann und muss den Neuanfang wagen: wie Noah nach der Sintflut. Eine Katastrophe stellt also nicht das Ende, sondern vielmehr eine radikale Wendung im Lauf der Dinge dar. So wurde der Begriff in der antiken Dramentheorie auch aufgefasst: als Umschlagpunkt einer Tragödie, hin zum Guten oder Schlechten.

 

Katastrophale Epidemie-Reaktionen

 

Insofern könnte das Timing der Ausstellung im Deutschen Filmmuseum kaum besser sein. Seit zwei Jahren schlägt sich die Welt mit einer Epidemie herum, die allmählich Züge einer schleichenden Katastrophe annimmt: weil die Gegenmaßnahmen fast schon katastrophal unentschieden, unkoordiniert und erratisch ausfallen. Da würde man sich von dieser Schau tiefere Einsichten in die Darstellung von und den Umgang mit Katastrophen erhoffen – vergebens. 

Offizieller Trailer zum Film "2012 - Das Ende der Welt" von Roland Emmerich


 

Genre nicht ernster nehmen als es sich selbst 

 

Was weniger am Wesen von Blockbuster-Schockern liegt: Sie erlauben dem Kinopublikum, gemütlich Popcorn zu futtern, während es seiner Angstlust beim Anblick simulierter Katastrophen frönt; stets wissend, dass die Sache gut ausgehen wird. Diese – im Prinzip zynische – Perspektive prägt letztlich jede Kunstbetrachtung: sich einer fremden, oft verstörenden Erfahrung auszusetzen, ohne ihre Folgen erleiden zu müssen.

 

Doch das Versäumnis dieser Schau ist ein anderes: Sie nimmt das Genre nicht ernster als es sich selbst. Heutige Katastrophenfilme verpulvern oft dreistellige Millionenbudgets für atemberaubende Spezialeffekte, während Fabel und Charaktere so simpel gestrickt erscheinen wie in den frühesten Menschheits-Mythen. Da läge nahe, unter der effekthascherischen Oberfläche zu sondieren: Lassen sich typische Ausgangslagen und Handlungsverläufe unterscheiden, Darstellungsmodi oder Reaktionsmuster – und was folgt jeweils daraus?

 

Zwischen Banalitäten + Kalauern

 

Doch Kuratorin Stefanie Plappert rührt alles in einem Weltuntergangs-Eintopf zusammen. Sie presst sämtliche Werke in ein Vier-Phasen-Modell: Warnsignale, Katastrophe, Rettungsbemühungen und Neuanfang. Da mehr als 100 Jahre Filmproduktion schwerlich derart schematisch zu erfassen sind, schert sie zahllose Varianten – auch die gegensätzlichsten – über einen Kategorien-Kamm. Dass solche Filme eng mit dem Zeitgeist ihrer Epoche verbunden und daher so verschieden sind wie diese selbst, wird ausgeblendet.

 

So schwanken die Befunde zwischen Banalitäten und Kalauern: „Es gibt Rettung, für einige wenigstens. Mit ausreichend heldenhafter Anstrengung, moralisch untadeligem Verhalten und etwas Glück haben die zentralen Filmcharaktere alle Chancen zu überleben. Und auch wenn vielleicht noch Hindernisse zu überwinden sind: Die Welt nach der Katastrophe wird eine bewohnbare sein.“ Wer hätte das gedacht?

 

Wie im leeren Amazon-Versandlager

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Entfesselte Natur: Das Bild der Katastrophe seit 1600" - in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier eine Besprechung des Films "Chasing Ice" - großartige Dokumentation über das Abschmelzen der Gletscher von Jeff Orlowski

 

und hier einen Bericht über den Film "Noah - Das Ende ist erst der Anfang" - eigenwillige Sintflut-Verfilmung von Darren Aronofsky mit Russell Crowe

 

und hier einen Beitrag über den Film "Take Shelter – Ein Sturm zieht auf"realistischer Katastrophen-Thriller von Jeff Nichols mit Michael Shannon

 

 

Ähnlich flach und plakativ fällt die Inszenierung der Schau aus: als Irrgarten unlackierter Holzstellwände. An denen wird dicht an dicht Flachware wie Filmposter, Storyboard-Beispiele, Skizzen oder auch nur Zeitschriften-Titel aufgereiht. Als sei das Ganze ein leer geräumtes Amazon-Versandlager, in dem jedes Exponat eine Stelle anzeigt, an der mehr Material gestapelt sein müsste – bloß findet sich hier nichts weiter. Am ehesten noch der Eindruck, dass ein Hamburger Nachrichtenmagazin seit rund 60 Jahren sein Geld mit Angstmacherei verdient.

 

Auch die Filmausschnitte scheinen beliebig zusammengestellt: zehn Mal Krisensitzung, zehn Mal Monsterwellen, zehn Mal Trümmerlandschaft hintereinander. Da jede Dramaturgie wegfällt, wirkt das Augenpulver eher einschläfernd als erhellend. Zumal alle Bezüge fehlen, als seien Katastrophenfilme ein zeitlos-statisches Genre, dessen Elemente und Abläufe so unwandelbar sind wie die Naturgesetze selbst. Nur in der Ecke über postnukleare Apokalypsen in Ost und West findet sich ein Hinweis auf die in den 1980er Jahren herrschende Atomkriegs-Furcht.

 

Volkspädagogik über alles

 

Diese weitgehende Geschichts- und Kontext-Blindheit hat einen schlichten Grund. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt. Dessen Beitrag besteht in einem halben Dutzend eingestreuter Video-Interviews, in denen Wissenschaftler so eindringlich wie spröde vor den Folgen des Klimawandels warnen.

 

Sicherlich zurecht – aber in einer Schau des Filmmuseums? Sollte es die Alternative von Verhaltensänderung oder Auslöschungsgefahr nicht auf der Ebene filmischer Analyse behandeln? Nein: Die wohlmeinende volkspädagogische Absicht übertrumpft alles und nimmt einen Etikettenschwindel in Kauf, den sich kein B-Picture-Produzent leisten könnte. Und nun: Frohes Neues Jahr!