Trine Dyrholm

Die Königin des Nordens

Mit Adlersaugen: Wie eine geübte Jägerin treibt Königin Margarethe I. (Trine Dyrholm) ihre Rivalen vor sich her. Foto: © 2021 Dusan Martincek/ SF Studios
(Kinostart: 30.12.) Ungekrönte Herrscherin über ganz Skandinavien: Margarethe I. war die mächtigste Regentin des Mittelalters. Das zeigt Regisseurin Charlotte Sieling anhand einer verwickelten Episode – ein atmosphärisch dichtes Historien-Epos, in der Hauptrolle brilliert Trine Dyrholm.

Zum Auftakt ein Antiklimax: In der Dämmerung wird ein kleines Mädchen vom Schlachtfeld weggetragen. Über die Schulter spähend sieht es, wie Leichenfledderer den gefallenen Rittern alles Verwertbare abnehmen. Ob sich diese Szene so zugetragen hat, und ob der traumatische Anblick dem Kind tiefe Friedenssehnsucht einflößte, mögen nordische Mittelalter-Historiker beurteilen.

 

Info

 

Die Königin des Nordens

 

Regie: Charlotte Sieling,

120 Min., Dänemark 2021;

mit: Trine Dyrholm, Søren Malling, Morten Hee Andersen

 

Weitere Informationen zum Film

 

Verbürgt ist hingegen: Als Erwachsene stieg Margarethe I. (1353-1412) zur mächtigsten Frau Skandinaviens auf. Die Tochter des dänischen Königs Waldemar IV. wurde 1363 mit dem norwegischen König Håkon VI. verheiratet; er war Sohn des schwedischen Königs Magnus II.. Als Waldemar 1375 starb, setzte Margarethe durch, dass ihr erst fünfjähriger Sohn Olav neuer König wurde – und sie für ihn die Regentschaft übernehmen konnte.

 

Ein König für drei Reiche

 

Fünf Jahre später starb ihr Mann Håkon – abermals beerbte ihn Margarethe: So begann die dänisch-norwegische Personalunion, die vier Jahrhunderte dauern sollte. In ihrer Verwandtschaft ging das Männersterben weiter: 1387 ereilte Olav ein früher Tod. Nun wurde seine Mutter von den Reichsräten in Dänemark, Norwegen und Schweden zur Herrscherin gewählt. Sie installierte ihren Großneffen Erik/ Erich von Pommern auf dem Thron: Er wurde 1397 zum König der drei Reiche gekrönt. Damit entstand die so genannte Kalmarer Union, die bis 1523 bestand.

Offizieller Filmtrailer


 

Englisch-skandinavische Allianz

 

Die Vereinigung Skandinaviens bezeichnete den Gipfel von Margarethes Macht. Sie schuf jedoch kein einheitliches Großreich, sondern einen Staatenbund, dessen Mitglieder selbstständig blieben; ähnlich der Europäischen Union. Diese verwickelte Vorgeschichte setzt der Film von Regisseurin Charlotte Sieling voraus – und mit einer Episode im Jahr 1402 ein.

 

Margarethe will Erik mit der Prinzessin Philippa von England verheiraten. Als Mitgift soll die Tochter von Heinrich IV. militärischen Schutz gegen Feinde aus dem Süden mitbringen: Skandinavien wird von der Hanse und dem Deutschen Orden bedroht. Nach langem Ringen sind Dänen und Engländer fast handelseinig, da taucht ein mysteriöser Unbekannter auf. Der Mann behauptet, er sei der rechtmäßige König Olav und 15 Jahre lang gefangen gehalten worden.

 

Zwischen Mutterliebe + Staatsräson

 

Die Regentin ist schockiert – zumal weder sie noch einer ihrer Vertrauten den Leichnam ihres vermeintlich toten Sohns je gesehen haben. War sein Begräbnis nur fingiert? Falls ja: Wer könnte diese Intrige eingefädelt haben, und warum? Zur Lösung dieser Rätsel hat Margarethe wenig Zeit: Der norwegische Adel schlägt sich auf die Seite des Prätendenten. Daraufhin stellen die englischen Gesandten die geplante Herrscher-Hochzeit infrage. Ohne Rückendeckung aus England droht Schweden, vom militärisch überlegenen Deutschen Orden überfallen zu werden, fürchtet Margarethe: Sie sieht ihr Lebenswerk in Gefahr.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Last Duel" – aufwändiges Mittelalter-Spektakel über Vergewaltigungs-Vorwurf von Ridley Scott mit Matt Damon + Adam Driver

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Königin und der Leibarzt" – Historiendrama über Radikal-Reformer am dänischen Hof von Nikolaj Arcel mit Mads Mikkelsen, prämiert mit Silbernem Bären 2012

 

und hier einen Bericht über den Film "Maria Stuart, Königin von Schottland" – opulent inszeniertes Monarchinnen-Drama von Josie Rourke mit Saoirse Ronan

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Girl King" – süffiges Biopic über Schwedens Königin Kristina von Mika Kaurismäki.

 

Ob und wie dieses Störmanöver tatsächlich abgelaufen ist, dürften nordische Historiker erforschen. Die Geschichtsbücher wissen: Erik heiratete Philippa 1406; ihre Ehe währte 24 Jahre bis zu ihrem Tod. 1439 wurde ihr Mann nach glückloser Regierungszeit abgesetzt. Doch dynastische Verwicklungen interessieren Regisseurin Sieling wenig: Ihr Film konzentriert sich auf die Zerreißprobe für Margarethe zwischen Mutterliebe und Staatsräson.

 

Kettenhemd-Kleiderständer

 

Diesen inneren Konflikt drückt Trine Dyrholm bewunderungswürdig nuanciert aus. Während die Männer in ihrem Hofstaat nur als wandelnde Kettenhemd-Kleiderständer auftreten, einschließlich Kirchenfürst Peder (Søren Malling) in seiner Soutane, zeigt Dyrholm das ganze Spektrum menschlicher Emotionen. Vielleicht etwas zu modern differenziert – aber das Minenspiel von Monarchen vor 600 Jahren lässt sich nicht rekonstruieren.

 

Dagegen fängt Regisseurin Sieling die Armseligkeit damaliger Lebensumstände hervorragend ein. Schlösser gleichen düsteren Verliesen, Sauberkeit ist ein seltener Luxus, und Bankette sind vor allem zum gegenseitigen Belauern da. Man fragt sich, wie in dieser ungehobelten Macho-Gesellschaft eine Frau sämtliche Widersacher ausstechen konnte.

 

Nur durch konsequente Selbstverleugnung, suggeriert der Film – woran sich wenig geändert hat. Dass der Himmel bei Machtkämpfen stets bleiern bedeckt bleibt, ist allerdings ebenso ein Klischee wie die Beantwortung der Schuldfrage: Die Bösewichter sind natürlich Deutsche.