Es ist die entscheidende Weichenstellung im Leben der meisten Künstler: Die Ausbildung ist absolviert, erste Schritte zur eigenen Formensprache sind getan. Nun gilt es, die richtigen Kontakte zu knüpfen, solvente Abnehmer – Sammler und Händler – zu finden und dieses Netzwerk geschickt zu erweitern, um im Kunstbetrieb bekannt und begehrt zu werden. Davon hängt die gesamte weitere Laufbahn ab – und der Nachruhm.
Info
Nennt mich Rembrandt!
Durchbruch in Amsterdam
06.10.2021 - 30.01.2022
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main
Katalog 39,90 €;
Begleitheft 9,50 €
Werkstatt mit 50 Schülern
Als Mitglied der Maler-Zunft konnte Rembrandt eine Werkstatt mit Lehrlingen eröffnen, die ihre Bilder nicht signieren durften – ihr Meister verkaufte sie auf eigene Rechnung. Zudem verlangte er von seinen Schülern 100 Gulden jährlich ohne Kost und Logis; ein sehr hohes Lehrgeld. Dennoch war der Zustrom enorm. Vermutlich waren im Laufe der Jahre rund 50 Lehrlinge in seinem Atelier tätig; viele von ihnen wurden selbst berühmt. Wie Rembrandt sein phänomenaler Aufstieg auf dem hart umkämpften Kunstmarkt gelang, zeichnet das Städel Museum sehr anschaulich und plausibel nach.
Feature zur Ausstellung. Copyright: Städel Museum, Frankfurt am Main
70.000 Gemälde pro Jahr
Wobei er zwar im Zentrum steht – etwa 60 von insgesamt 140 Exponaten sind von seiner Hand – doch der Anspruch der Ausstellung reicht weit darüber hinaus: Sie „präsentiert die überwältigende künstlerische Vielfalt, die Kunstliebhabern im Amsterdam der Rembrandtzeit zur Auswahl steht.“ Tatsächlich blühte der Kunstbetrieb im Goldenen Zeitalter auf wie nie und nirgends zuvor. Um 1650 sollen in den Niederlanden 700 Maler pro Jahr circa 70.000 Gemälde fürs wohlhabende Bürgertum fertig gestellt haben. Diese fiebrige Massenproduktion begünstigte ihre starke Spezialisierung auf einzelne Genres.
Rembrandt hingegen blieb äußerst vielseitig. Zwar schuf er vor allem gut bezahlte Porträts sowie hoch angesehene Historienbilder, meist mit biblischen Themen, aber auch Genrebilder, Landschaften, Stillleben, Grafiken aller Art – und Selbstporträts. Er hielt sein Konterfei häufiger als jeder andere Künstler seiner Epoche fest; meist in aufwändiger Kostümierung, deren exotischer Glanz in der Seehandels-Metropole sehr geschätzt wurde. So wurden seine Gesichtszüge im Laufe der Zeit zum Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert.
Monumentale Gruppenbilder
Höchste Preise wurden indes für Gruppenbilder erzielt. Weltberühmte Beispiele wie „Die Anatomie des Dr. Tulp“ (1632) oder „Die Nachtwache“ (1642) konnte das Städel natürlich nicht ausleihen; stattdessen bietet es zwei monumentale Beispiele des Rembrandt-Schülers Ferdinand Bol („Regenten des Leprösenhauses“, 1649) und Rembrandt-Konkurrenten Dirck van Santvoort („Regentinnen des Frauenzuchthauses“, 1638) – auf beiden Gemälden posieren Oberschichts-Angehörige stolz als Leiter kommunaler Einrichtungen.
Flankiert von vier Frontalporträts von Frauen: Alle Damen tragen schwarze Satinkleider mit weißen Spitzenkragen, doch jede wird etwas anders wiedergegeben. An Details wie Perlenketten oder durchbrochener Spitze wird das unterschiedliche Vorgehen der Porträtisten Rembrandt, Jacob Backer, Govaert Flinck und Bartholomeus van der Helst deutlich. Feine Amsterdamer Damen hatten schon damals die Wahl, wie sie dargestellt und gesehen werden wollten – wie heute bei professionellen Fotosessions.
Mit dem Dolch ins Auge
Im Vergleich zu seinen Wettbewerbern praktizierte Rembrandt eine lockere Malweise, die Figuren beweglich und gelöst erscheinen ließen. Das zeigt nicht nur sein Ganzkörperbild von „Andries de Graeff“ (1639), der sich lässig gegen einen Mauervorsprung lehnt. Dagegen wirkt der Würdenträger, den Nicolaes Eliasz. Pickenoy elf Jahre zuvor porträtierte, steif und in eigener Bedeutung erstarrt. Es kommt auch in Rembrandts Historienbildern zur Geltung, verstärkt durch seine ausgefeilte Lichtführung mit dunklen Zonen und Schlaglichtern.
Wie der „Blendung Simsons“ (1636), einem Prunkstück der Städel-Kollektion. Gut barock biegen sich und stürzen die Gestalten durcheinander; oben enteilt Delila mit dem Haarschopf, den sie ihrem Mann abgeschnitten hat. Unten schlagen und fesseln ihn die Philister. Einer sticht gerade mit dem Dolch in sein Auge; Blut spritzt. Dabei ist Simson grell beleuchtet, alle übrigen Figuren sind überwiegend verschattet; die harten Kontraste verstärken die Drastik.
Ganymed als feistes Kleinkind
Solche Freiheiten gestattet sich Rembrandt öfter. Beim mythologischen Motiv „Ganymed in den Fängen des Adlers“ (1635) stellte er den Götter-Mundschenk, den Zeus von einem Adler entführen lässt, nicht wie überliefert als bildschönen Jüngling dar – sondern als feistes Kleinkind, das hysterisch schreit und vor Angst pinkelt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Inside Rembrandt – 1606-1669" - eindrucksvolle Werkschau im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Barock - Nur schöner Schein?" mit Werken von Rembrandt in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim
und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Kunst und Alchemie" mit Werken von Rembrandt im Museum Kunstpalast, Düsseldorf.
Insolvenz 1656
Dieser Szene zogen Zeitgenossen bald die klassizistisch-ruhige Variante vor, die Pickenoy 1640 komponierte. Rembrandts bewegte Malweise in tonigen Farben kam Mitte des 17. Jahrhunderts zusehends aus der Mode. Das dürfte – neben Schicksalsschlägen wie dem Tod seiner Frau 1642 und seiner Kinder – zu seinem finanziellen Abstieg beigetragen haben: 1656 wurde er für zahlungsunfähig erklärt, die letzten 13 Jahre lebte er in unsicheren Verhältnissen.
Seinen sozialen wie künstlerischen Niedergang blendet die Ausstellung jedoch aus. Darin ist diese facettenreiche Betrachtung des Kunstmarkts vor 400 Jahren ganz zeitgenössisch: Durchbruch und Erfolge werden wort- und bilderreich gefeiert, ihr Ausbleiben aber betreten beschwiegen.