Valérie Donzelli

Notre Dame – Die Liebe ist eine Baustelle

Demonstranten protestieren gegen den Umgestaltungs-Entwurf von Maud (Valérie Donzelli). Foto: © W-film / RectangleProductions
(Kinostart: 9.12.) Volltreffer im Karriere-Roulette: Eine Aushilfs-Architektin gewinnt den Wettbewerb zur Gestaltung des Kathedralen-Vorplatzes. Noch ein Mühlstein in ihrem komplizierten Leben – darüber macht Regisseurin Valérie Donzelli eine märchenhafte Komödie zwischen Satire und Romantik.

Manchmal haut einem das Leben viele Knüppel zwischen die Beine, zuweilen erledigt man das selbst. Im Film von Valérie Donzelli schlingert die Hauptfigur Maud gestresst zwischen beiden Optionen hin und her. Ihr Ex-Mann Martial, ein Schluffi mit Hundeblick, darf immer noch bei ihr übernachten, wenn es mit seiner neuen Freundin gerade schwierig ist. Ihre beiden halbwüchsigen Kinder haben schon aufgegeben, das seltsame Verhältnis ihrer eigentlich getrennten Eltern verstehen zu wollen.

 

Info

 

Notre Dame –
Die Liebe ist eine Baustelle

 

Regie: Valérie Donzelli,

89 Min., Frankreich/Belgien 2019;

mit: Valérie Donzelli, Pierre Deladonchamps, Thomas Scimeca

 

Weitere Informationen zum Film

 

In ihrem Job als Architektin in einem großen Büro traut man Maud nur Zweitrangiges wie die Ausstattung eines Spielplatzes zu; außerdem wird sie von ihrem pedantischen Chef Greg (Samir Guesmi) jedes Mal angezählt, wenn sie etwas zu spät kommt. Das Schicksal meint es aber gut mit der überdrehten 42-Jährigen; just als sie von einer weiteren, ungeplanten Schwangerschaft erfährt, stellt ein unfassbarer Zufall ihr Leben auf den Kopf.

 

121 Millionen Euro Budget

 

Ihr ursprünglich für den Spielplatz gedachter Entwurf gewinnt einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Vorplatzes von Notre Dame. Die Pariser Bürgermeisterin gratuliert ihr persönlich; nun verfügt Maud über 121 Millionen Euro Budget. Plötzlich reißen sich alle um sie, die Aufmerksamkeit der Medien ist enorm. Dabei kommt es zu einer Begegnung mit ihrer Jugendliebe mit dem seltsamen Namen Bacchus (Pierre Deladonchamps), der als Reporter den Werdegang des Projekts begleiten soll.

Offizieller Filmtrailer


 

Dreharbeiten vor Kathedralen-Brand

 

Dieses Chaos breitet Donzelli genüsslich aus. Weder versucht sie, es zu entwirren, noch es zu entschärfen, sondern sie verwandelt es mit märchenhaft angehauchtem Realismus in eine streckenweise charmante Komödie. Die Hauptrolle spielt Donzelli selbst; sie hat auch das Drehbuch mitverfasst – wie schon in ihrem Drama „Das Leben gehört uns“ (2011) über die Krebserkrankung ihres Kindes, mit dem sie hierzulande bekannt wurde.

 

Ihr aktueller Film schlägt aber völlig andere Töne an; allein schon durch die Konstellation einer Frau zwischen zwei Männern mit geduldiger Singlefreundin (Virginie Ledoyen) in der Hauptstadt. Dabei sind die Postkarten-Panoramen von Paris kaum zu sehen, obwohl die Dreharbeiten vor dem großen Brand 2019 in der Kathedrale stattfanden; hier ist sie also noch in voller Pracht zu bewundern.

 

Zwischen Selbstsabotage + Familiendrama

 

Doch von Anfang an ist klar, dass keine harmlose Romcom abläuft; so tönen etwa aus dem Radio nur Schreckensnachrichten über den Klimawandel. Wie Heldin Maud ihr kompliziertes Leben zwischen Selbstsabotage und Familiendrama austarieren muss, balanciert auch der Film zwischen burleskem Humor, Gesellschaftssatire und ein wenig Romantik. Dabei erlaubt sich Regisseurin Donzelli einige Brüche und überraschende Wendungen.

 

Das Setting fällt dabei sehr realistisch aus: Anstelle geräumiger, durchgestylter Altbauwohnungen, in denen Paris-Filme sonst häufig spielen, durcheilt Maud ganz normale Stadtlandschaften, die keine Touristen anlocken. Maud trägt zudem immer dasselbe Kleid; für updressing hat sie keine Zeit. Ihr Dasein als frischgebackene Stararchitektin ist schon anstrengend genug: überall Fallstricke, Missgunst oder Ignoranz. Oder Leute werden mir nichts, dir nichts von Fremden geohrfeigt.

 

Hommage an Cherbourg-Regenschirme

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Eiffel in Love" - gelungenes Biopic-Melodram über die Jugendliebe des  Eiffelturm-Erbauers von Martin Bourboulon

 

und hier eine Besprechung des Films "Die brillante Mademoiselle Neïla" - französische Tragikomödie über Rhetorik-Ass von Yvan Attal, Vorlage für das deutsche Remake "Contra" von Sönke Wortmann

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sorry Angel" über die letzte Liebe eines HIV-positiven Schriftstellers von Christophe Honoré mit Pierre Deladonchamps

 

und hier einen Bericht über den Dokumentarfilm "Sagrada – Das Wunder der Schöpfung" über den Bau der Kathedrale Sagrada Familia in Barcelona von Stefan Haupt.

 

Der Wettbewerb, den sie durch eine Art göttlicher Fügung gewonnen hat – ihr Modell schwebt nachts während eines Gewitters auf den Schreibtisch der Bürgermeisterin – steuert die märchenhafte Komponente bei. Doch Maud landet schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen, als sich die ausnahmslos männlichen Bauingenieure über den Entwurf hermachen und ihn unabsichtlich nicht jugendfrei umgestalten – ihre Anordnung von Röhren und Kuppeln verletzt sittliches Empfinden.

 

Die folgende öffentliche Entrüstung mit albern inszeniertem Gerichtsprozess nutzt Donzelli für augenzwinkernde Medienschelte. Wobei Maud ihre Jugendliebe beisteht; der Reporter wird mehr als einmal zum Retter in ihrer auch finanziellen Not. Eine Wohnung in bester Innenstadtlage lässt sich teuer vermieten: Anstatt dass konventionell Airbnb-Touristen aufmaschieren, tanzen dabei die Familie und Gäste auf einer Theaterbühne mit Rollkoffern – als Hommage an die Nouvelle-Vague-Musicals von Jacques Demy wie „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1964).

 

Spaß ohne Klassiker-Kenntnisse

 

Oder die Akteure sitzen nach einem Giftgasalarm singend im Gerichtssaal fest, um den Weg für eine romantische Tanzeinlage von Maud und Bacchus freizumachen. Solche Momente wiegen die mitunter enervierende Exaltiertheit der Protagonisten auf. Diese Verbeugungen vor französischen Kinoklassikern machen dem Ensemble sichtlich Spaß, was sich auch auf den Zuschauer überträgt – obwohl der Film auch ohne derartiges Vorwissen amüsiert.