Manchmal haut einem das Leben viele Knüppel zwischen die Beine, zuweilen erledigt man das selbst. Im Film von Valérie Donzelli schlingert die Hauptfigur Maud gestresst zwischen beiden Optionen hin und her. Ihr Ex-Mann Martial, ein Schluffi mit Hundeblick, darf immer noch bei ihr übernachten, wenn es mit seiner neuen Freundin gerade schwierig ist. Ihre beiden halbwüchsigen Kinder haben schon aufgegeben, das seltsame Verhältnis ihrer eigentlich getrennten Eltern verstehen zu wollen.
Info
Notre Dame –
Die Liebe ist eine Baustelle
Regie: Valérie Donzelli,
89 Min., Frankreich/Belgien 2019;
mit: Valérie Donzelli, Pierre Deladonchamps, Thomas Scimeca
Weitere Informationen zum Film
121 Millionen Euro Budget
Ihr ursprünglich für den Spielplatz gedachter Entwurf gewinnt einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Vorplatzes von Notre Dame. Die Pariser Bürgermeisterin gratuliert ihr persönlich; nun verfügt Maud über 121 Millionen Euro Budget. Plötzlich reißen sich alle um sie, die Aufmerksamkeit der Medien ist enorm. Dabei kommt es zu einer Begegnung mit ihrer Jugendliebe mit dem seltsamen Namen Bacchus (Pierre Deladonchamps), der als Reporter den Werdegang des Projekts begleiten soll.
Offizieller Filmtrailer
Dreharbeiten vor Kathedralen-Brand
Dieses Chaos breitet Donzelli genüsslich aus. Weder versucht sie, es zu entwirren, noch es zu entschärfen, sondern sie verwandelt es mit märchenhaft angehauchtem Realismus in eine streckenweise charmante Komödie. Die Hauptrolle spielt Donzelli selbst; sie hat auch das Drehbuch mitverfasst – wie schon in ihrem Drama „Das Leben gehört uns“ (2011) über die Krebserkrankung ihres Kindes, mit dem sie hierzulande bekannt wurde.
Ihr aktueller Film schlägt aber völlig andere Töne an; allein schon durch die Konstellation einer Frau zwischen zwei Männern mit geduldiger Singlefreundin (Virginie Ledoyen) in der Hauptstadt. Dabei sind die Postkarten-Panoramen von Paris kaum zu sehen, obwohl die Dreharbeiten vor dem großen Brand 2019 in der Kathedrale stattfanden; hier ist sie also noch in voller Pracht zu bewundern.
Zwischen Selbstsabotage + Familiendrama
Doch von Anfang an ist klar, dass keine harmlose Romcom abläuft; so tönen etwa aus dem Radio nur Schreckensnachrichten über den Klimawandel. Wie Heldin Maud ihr kompliziertes Leben zwischen Selbstsabotage und Familiendrama austarieren muss, balanciert auch der Film zwischen burleskem Humor, Gesellschaftssatire und ein wenig Romantik. Dabei erlaubt sich Regisseurin Donzelli einige Brüche und überraschende Wendungen.
Das Setting fällt dabei sehr realistisch aus: Anstelle geräumiger, durchgestylter Altbauwohnungen, in denen Paris-Filme sonst häufig spielen, durcheilt Maud ganz normale Stadtlandschaften, die keine Touristen anlocken. Maud trägt zudem immer dasselbe Kleid; für updressing hat sie keine Zeit. Ihr Dasein als frischgebackene Stararchitektin ist schon anstrengend genug: überall Fallstricke, Missgunst oder Ignoranz. Oder Leute werden mir nichts, dir nichts von Fremden geohrfeigt.
Hommage an Cherbourg-Regenschirme
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Eiffel in Love" - gelungenes Biopic-Melodram über die Jugendliebe des Eiffelturm-Erbauers von Martin Bourboulon
und hier eine Besprechung des Films "Die brillante Mademoiselle Neïla" - französische Tragikomödie über Rhetorik-Ass von Yvan Attal, Vorlage für das deutsche Remake "Contra" von Sönke Wortmann
und hier einen Beitrag über den Film "Sorry Angel" über die letzte Liebe eines HIV-positiven Schriftstellers von Christophe Honoré mit Pierre Deladonchamps
und hier einen Bericht über den Dokumentarfilm "Sagrada – Das Wunder der Schöpfung" über den Bau der Kathedrale Sagrada Familia in Barcelona von Stefan Haupt.
Die folgende öffentliche Entrüstung mit albern inszeniertem Gerichtsprozess nutzt Donzelli für augenzwinkernde Medienschelte. Wobei Maud ihre Jugendliebe beisteht; der Reporter wird mehr als einmal zum Retter in ihrer auch finanziellen Not. Eine Wohnung in bester Innenstadtlage lässt sich teuer vermieten: Anstatt dass konventionell Airbnb-Touristen aufmaschieren, tanzen dabei die Familie und Gäste auf einer Theaterbühne mit Rollkoffern – als Hommage an die Nouvelle-Vague-Musicals von Jacques Demy wie „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1964).
Spaß ohne Klassiker-Kenntnisse
Oder die Akteure sitzen nach einem Giftgasalarm singend im Gerichtssaal fest, um den Weg für eine romantische Tanzeinlage von Maud und Bacchus freizumachen. Solche Momente wiegen die mitunter enervierende Exaltiertheit der Protagonisten auf. Diese Verbeugungen vor französischen Kinoklassikern machen dem Ensemble sichtlich Spaß, was sich auch auf den Zuschauer überträgt – obwohl der Film auch ohne derartiges Vorwissen amüsiert.