Isabelle Adjani

Schwestern – Eine Familiengeschichte (Soeurs)

Norah (Maïwenn) und Djamila (Rachida Brakni). Foto: Copyright: Studiocanal GmbH / Marcel Hartmann
(Kino-Start: 30.12.) Postkoloniales Verwandtschaftsdrama: Die frankoalgerische Regisseurin Yamina Benguigui verwebt Emigranten-Konflikte mit dem Bürgerkrieg gegen Islamisten von 1992 bis 2002 – allerdings kommt die Zeitgeschichte etwas zu kurz.

Drei Schwestern, ihre Mutter und eine Vergangenheit, die sie gebrochen hat: Regisseurin Yamina Benguigui verschwendet keine Zeit, um in ihrem sehr persönlichen Familiendrama auf den Punkt zu kommen. Bereits in der ersten Szene, in der die jüngste Tochter Norah (Maïwenn) nach einer gescheiterten Ehe ins mütterliche Haus zurückkehrt, wird deutlich, dass hier etwas im Argen liegt. Die Wunden sitzen tief. Aber Norah hält sich nicht länger zurück. Sie bohrt nach – und weiter.

 

Info

 

Schwestern - Eine Familiengeschichte (Soeurs)

 

Regie: Yasmina Benguigui,

99 Min., Frankreich/ Algerien 2020;

mit: Isabelle Adjani, Rachida Brakni, Maïwenn

 

Die Mittdreißigerin will wissen, warum Mutter Leïla sich scheiden lassen und aus Algerien nach Frankreich absetzen musste, als Norah und ihre Geschwister noch Kinder waren. Denn daraufhin entführte der Vater den Sohn, ihren kleinen Bruder. Die Mutter kam darüber nie hinweg; auch für die Mädchen brach damals eine Welt zusammen. Allerdings haben sich die älteste Tochter Zorah (Isabelle Adjani), jetzt Theaterregisseurin, und Djamila (Rachida Brakni), heute eine moderne Polit-Powerfrau, scheinbar besser damit arrangiert.

 

Jeder Blick ein Volltreffer

 

Doch kaum sitzen die vier zu Beginn des Film im Wohnzimmer zusammen, werfen alle mit Vorwürfen und Anklagen, Beschwichtigungen und Rechtfertigungen um sich. Jedes Wort sitzt, jeder scharfe Blick ein Volltreffer. Die ersten Minuten sind brillant; das Drama steckt voller Potential und einer spannenden Problematik, obgleich vom Generationstrauma als Kern der Handlung durch einen unnötigen Kunstgriff immer wieder abgelenkt wird.

Offizieller Filmtrailer


 

Rückblenden in Bürgerkriegs-Zeiten

 

Zorah will das Geschehene mit einem Bühnenstück für sich greifbar und für alle anderen anschaulich machen. Selbst ihre eigene Tochter darf einen Part übernehmen. Doch der Rest der Familie zeigt sich verständlicherweise wenig begeistert. Der Streit darüber eskaliert und treibt die Schwestern weiter auseinander. Da erfährt die Mutter plötzlich, dass ihr Ex-Mann im Sterben liegt. Kurzerhand beauftragt sie ihre Töchter, nach Algerien zu reisen, um die letzte Gelegenheit zu nutzen, noch Informationen über ihren verschollenen Sohn einzuholen. 

 

Regisseurin Benguigui nutzt die Proben zu Zarahs Inszenierung im ersten Filmteil, um Schlüsselmomente zu rekonstruieren und die Gegenwart mit Rückblenden in die Zeit des algerischen Bürgerkriegs gegen Islamisten von 1992 bis 2002 zu verbinden. Zu sehen sind die Trennung der Eltern und der aussichtslose Kampf der Mutter um das Sorgerecht für ihren Sohn. Aber auch Kostümfragen und andere Schwierigkeiten mit der Produktion werden gezeigt – was problematisch wird.

 

Am Ende zurück nach Algerien

 

Hintergrund

 

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Die Regisseurin stammt selbst aus einer algerischen Einwandererfamilie und ist in Frankreich politisch aktiv. Ihr geht es offenbar darum, einen Kontext herzustellen, in dem Realität und Erinnerung, Kunst und Politik ineinander übergehen. Das ist zwar streckenweise recht gelungen arrangiert, geht letztlich jedoch auf Kosten des zentralen Konflikts.

 

Viel interessanter und weniger hysterisch sind die Gespräche, die die Schwestern zu Beginn mit ihrer Mutter sowie am Ende in ihrer algerischen Heimat führen. Ihre klug argumentierenden Dialoge geben dem Film Kraft und Dynamik. Von jenen Szenen, in denen Adjani, Brakni und Maïwenn – allesamt algerischer Abstammung – miteinander oder mit Anderen diskutieren, anstatt sich wegen eines Theaterstücks zu streiten, würde man gerne mehr gesehen. Mehr Details über die Charaktere hätte sie auch aus ihrer Eindimensionalität befreit.

 

Reine Familiengeschichte

 

Dann wäre es Regisseurin Benguigui eher gelungen, die großen historischen Themen zu geschickt zu dramatisieren, die sich vorgenommen hat. Doch als reine „Familiengeschichte“, wie der deutsche Titel besagt, entwickelt sich „Schwestern“ zunehmend zu einer verschenkten Gelegenheit; auch das starke Finale gleicht das insgesamt mittelmäßige Ergebnis nicht aus.