Thomas Balmès

Sing me a Song

Peyangki bei Videospielen in einem Internetcafé der Hauptstadt Thimphu. Foto: © Copyright: zeroone Filmproduktion
(Kinostart: 9.12.) Blind Date in Thimphu: Liebesglück im Internet zu finden, fällt auch einem jungen Mönch in Bhutan nicht leicht. Die Doku von Regisseur Thomas Balmès ist ästhetisch ansprechend, begnügt sich aber mit krassen Kontrasten – und bedient so gängige Vorurteile.

Das kleine Bhutan im östlichen Himalaya, etwa so groß wie die Schweiz, ist ein besonderes Land. Trotz weit verbreiteter Armut gilt es als eine Art Shangri-La und löst vielerorts positive Projektionen aus – nicht zuletzt, weil der bis 2006 herrschende König Jigme Singye Wangchuck ein hohes “Bruttonationalglück” anstelle von reinem Wirtschaftswachstum als politisches Ziel definierte. Entscheidend sei, wie glücklich sich die Menschen fühlten – angeblich sind das in dem buddhistischen Land über 90 Prozent der rund 800.000 Einwohner.

 

Info

 

Sing me a Song

 

Regie: Thomas Balmès,

99 Min., Bhutan/ Deutschland/ Frankreich 2019;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Lange schottete sich Bhutan konsequent ab. Bis heute lässt man Touristen nur mit vorab gebuchten Touren ins Land. Erst seit 1999 gibt es Fernsehen und Internet. Der letzte Ort, der an das Stromnetz angeschlossen wurde, war das kleine Dorf Laya, in dem der französische Regisseur Thomas Balmès 2013 „Happiness“ drehte. Nun besucht er es erneut: Sein Nachfolgefilm „Sing me a Song“ beobachtet, wie das Internet in Gestalt allgegenwärtiger Smartphones den Alltag der Bhutaner verändert.

 

Strom löst Hausbrände aus

 

Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms steht, wie auch schon bei „Happiness“, der junge Mönchsnovize Peyangki. Im Prolog zu „Sing Me A Song“, der aus „Happiness“ übernommen wurde, erzählt der seinerzeit Achtjährige von seinen Vorstellungen über die Zukunft. Etwa, dass er Lama werden will. Doch auch die weite Welt interessiert ihn; zum Beispiel Flugzeuge. Und die Straße, die Laya mit dem Rest des Landes verbinden und Strom zu seinem Ort bringen soll – was ihn aber zugleich mit Sorge erfüllt. Er habe gehört, dass Elektrizität Hausbrände auslösen kann.

Offizieller Filmtrailer


 

Via WeChat Kontakt zu Barfrau

 

Die Realität, die der Fortschritt mit sich bringt, erweist sich allerdings als vielschichtiger. Acht Jahre später sieht der Alltag des nun 16-Jährigen auf den ersten Blick kaum anders aus als ein knappes Jahrzehnt zuvor. Und doch hat sich sein Leben fundamental verändert. Wenn er und die anderen Novizen sich in ihre Gebete versenken, werfen sie zwischendurch immer wieder einen Blick auf ihre Handys – zum Unmut ihrer Lehrer, die allerdings ihrerseits nicht selten auch handysüchtig sind.

 

In Gedanken ist Peyangki die ganze Zeit bei Ugyen. Er hat sich über die chinesische Social-Media-Plattform „WeChat“ in die junge Frau verguckt. Sie lebt in der Hauptstadt Thimphu, arbeitet in einer Bar und schickt ihm per Sprachnachrichten Liebeslieder. Nun will er sie persönlich kennenlernen. Um Geld für die Reise aufzutreiben, sammelt er Heilpilze, die sich teuer verkaufen lassen. Als Peyangki und Ugyen sich erstmals real treffen, sind allerdings beide enttäuscht – diese Erfahrung teilen sie zweifellos mit vielen Menschen in aller Welt.

 

Zombie-Teenies bei Ballerspielen

 

Ugyen klagt, dass sie sich Peyangki größer vorgestellt habe. Ohnehin träumt sie von einem Leben in Wohlstand und erwägt dafür, nach Kuwait auszuwandern. Peyangki wiederum ist enttäuscht, dass seine Chat-Partnerin schon ein Kind hat. Trotzdem will er zunächst nicht in sein Kloster zurückkehren, sondern verliert sich in der großen Stadt. Die wird als größtmöglicher Kontrast zum entlegenen Kloster in den Bergen präsentiert: In Spielhöllen verdaddeln zombiehafte Teenager ihre Zeit mit Ballerspielen. Dichter Verkehr knattert laut, Neonlichter blinken.

 

Wie der Regisseur diese dokumentarische Coming-of-Age-Geschichte in Szene setzt, wirkt bisweilen geradezu spielfilmartig. Man fragt sich, wie die perfekt aussehenden Bilder entstanden sind. Kam Balmès seinen Protagonisten so nahe, dass sie sich auch in höchst privaten Momenten filmen ließen? Oder wurden manche Schlüsselszenen doch nachgestellt?

 

Doku-Fiction als Hybrid-Genre

 

Das Ergebnis erinnert ein wenig an Arbeiten der mongolischen Regisseurin Byambasuren Davaa. Ihre Werke wie „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ (2005) oder auch „Das Lied von den zwei Pferden“ (2009) sind zwischen Dokumentarfilm und Fiktion angesiedelt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Adern der Welt" – anschaulich-einfühlsamer Öko-Krimi aus der Mongolei von Byambasuren Davaa

 

und hier eine Besprechung des Films "Chaddr – Unter uns der Fluss" – facettenreiches Porträt einer Familie in der indischen Himalaya-Region Ladakh von Minsu Park

 

und hier einen Beitrag über den Film "Pawo" – optisch opulentes Doku-Drama über tibetischen Widerstand gegen China von Marvin Litwak

 

und hier einen Beitrag über den Films "My Reincarnation – Wiederkehr" – Doku über den Sohn eines tibetischen Dzogchen-Lehrmeisters von Jennifer Fox.

 

Sie kombinieren einen ethnographischen Blick auf traditionelle Lebensweisen mit einer teils erfundenen Dramaturgie. Einige Aspekte von „Sing me a Song“ schließen an wohl universelle Probleme von Teenagern weltweit an; andere speisen sich aus Bhutans spezieller Exotik.

 

Wohlfeil bis holzhammerartig

 

Der Film verdeutlicht seine Aussagen mit krassen Gegensätzen. Das ruhige Leben im Kloster wird urbanen Abgründen gegenüber gestellt; das warme Dunkelrot der Roben junger Mönche kontrastiert mit Spielzeuggewehren aus Plastik, die sie auf dem Markt kaufen, um Online-Games nachzustellen. Oder auch: Warmes Kerzenlicht erhellt das Kloster; grell leuchten dagegen die Handy-Displays.

 

So bietet Regisseur Balmès anregende Schauwerte, aber letztlich kaum überraschende Erkenntnisse. Die allzu vereinfachten Unterschiede zwischen althergebrachten Traditionen und brachialer Modernisierung erscheinen etwas wohlfeil, manchmal sogar holzhammerartig – wenn etwa Ugyen ausführlich mit ihren Freundinnen über Videoclips von Enthauptungen spricht, die sie im Internet gesehen haben.

 

Westliche Asien-Sehnsüchte

 

Ästhetisch ist der der Film durchaus ein Genuss, doch er blickt wenig differenziert auf den gesellschaftlichen und technologischen Wandel in Bhutan. Und bedient mit dieser Ausrichtung gängige westliche Sehnsüchte in Bezug auf buddhistisch geprägte Regionen in Zentralasien.