Berlin

The Cool and the Cold. Malerei aus den USA und der UdSSR 1960–1990

Jurij Korolev: Kosmonauten, 1982, © Foto: Carl Brunn, Courtesy: Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung
Als der Kalte Krieg noch heiß war: Der Martin-Gropius-Bau zeigt Malerei, die zwischen 1960 und 1990 in den USA und der Sowjetunion entstanden ist. Eine kluge Auswahl legt unvermutete Ähnlichkeiten in der Kunst der beiden Supermächte frei – die Extreme berühren sich.

Diese Schau erscheint wie aus der Zeit gefallen. Nicht nur wegen ihres Sujets, sondern auch wegen des Ausstellungsortes. Als Stephanie Rosenthal im März 2018 die Leitung des Martin-Gropius-Baus übernahm, krempelte sie das Haus radikal um. Waren hier zuvor üppige Event-Ausstellungen über alle Epochen der Kulturgeschichte zu sehen, die das Publikum in Scharen anzogen, wird seither karge Kost geboten.

 

Info

 

The Cool and the Cold. Malerei aus den USA und der UdSSR 1960–1990

 

24.09.2021 - 09.01.2022

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Martin Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

Rosenthal betrachtet es als ihre Aufgabe, spröden und wenig bekannten Avantgarde-Künstlern große Auftritte zu verschaffen – möglichst mit Arbeiten zu politisch korrekten Forderungen wie Diversity, Gender Mainstreaming, Identitätspolitik etc.. Solchen Zielen sind auch oft die Gruppenausstellungen gewidmet: So verwandelte „Down to Earth“ 2020 den Gropiusbau in eine Art Öko-Utopia, mit Räumen voller Muttererde und dem „Kunstwerk“ eines von einer Spinne gewebten Netzes.

 

Bilder wie archäologische Ausgrabungen

 

Dass sich der Zuspruch meist in Grenzen hält, beirrt die Direktorin nicht. Sie transformiert weiter die – neben der Bonner Bundeskunsthalle – größte Ausstellungshalle des Bundes in einen dreistöckigen Experimental-Kunstverein. In diesem Umfeld müssen Bilder von rund 80 weißen alten Männern und ein paar Frauen aus dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts wie archäologische Ausgrabungen wirken. Man stelle sich vor: mit Farbe auf Leinwand gemalt und danach an die Wände gehängt – dass es so etwas noch gibt!

Impressionen der Ausstellung


 

Lastwagen voller Kunst importiert

 

Tatsächlich stammen alle Exponate aus einer der größten Kunst-Kollektionen hierzulande. Der Schokoladenfabrikant Peter Ludwig (1925-1996) trug ab den 1960er Jahren systematisch zeitgenössische Werke zusammen; seine Leihgaben an Museen machten die angelsächsische Pop Art in der Bundesrepublik populär. In den 1970/80er Jahren stieg Ludwig zum ersten deutschen Mega-Sammler auf: Während der Perestroika-Jahre soll er Lastwagen voller günstig erworbener Arbeiten von sowjetischen Künstlern importiert haben.

 

Peter Ludwig und seine Frau Irene verteilten ihren Bestand auf 19 Museen weltweit von Havanna bis Beijing; manche von ihnen wurden eigens dafür gegründet. Aus diesem riesigen Fundus haben die Kuratoren Benjamin Dodenhoff und Brigitte Franzen klug ausgewählt: Ihre Zusammenstellung führt unvermutete Ähnlichkeiten in der Kunstproduktion der beiden verfeindeten Supermächte vor Augen. Ganz unangestrengt – die Bilder sprechen für sich.

 

Auf- und Untergang der Soz Art

 

Schon die Eingangssituation besticht durch Symmetrie. In der Mitte zwei identitätsstiftende Ikonen: links ein Elvis-Siebdruck von Andy Warhol, rechts ein offiziöses Ganzkörper-Porträt von Lenin. Daneben jeweils ein galliger Kommentar: links das Schrift-Bild „USA 666 (iss, stirb, irre, umarme) II“ (1966) von Robert Indiana, rechts ein leuchtendes Sowjet-Wappen über dem Meer, von Erik Bulatow 1989 zweideutig „Sonnenaufgang oder -untergang“ betitelt.

 

Bulatow war einer der wichtigsten Akteure der so genannten Soz Art: Sie trieb analog zur westlichen Pop Art ein ironisches Spiel mit Zeichen und Emblemen der Massenkultur – allerdings nicht der Warenwelt, sondern der kommunistischen Propaganda. In der Endphase der Sowjetunion wurden ihre Vertreter, etwa das Duo Komar & Melamid, auch im Westen viel beachtet, bis mit ihrem Zerfall auch die Soz Art in der Versenkung verschwand.

 

Facettenreiche inoffizielle Sowjet-Kunst

 

Ähnlich erging es den Exponenten des Moskauer Konzeptualismus wie Ilja Kabakow mit ihren vielschichtigen Bild-Text-Konglomeraten. Nach dem Ende der Blockkonfrontation erlosch auch das internationale Interesse an solchen Arbeiten. Vermutlich, weil sie sehr voraussetzungsreich waren: Ohne intime Kenntnis des sowjetrussischen Alltags konnte man sie kaum verstehen. Insofern ist diese Ausstellung auch eine Wiederentdeckung: Sie demonstriert, wie facettenreich das inoffizielle Kunstgeschehen in der späten Sowjetunion war – von den Stereotypen des Sozialistischen Realismus findet sich fast keine Spur.

 

Die Werke sind nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet; dadurch zeigen sich verblüffende Parallelen. Abstraktionen aller Art entstanden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, obwohl sie im Osten offiziell verpönt waren. Doch die meisten präsentierten Arbeiten sind figurativ, was Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich erkennbar macht.

 

Krieg gegen Alkohol + Zigaretten

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Pop on Paper - Von Warhol bis Lichtenstein" - große Grafik-Ausstellung im Kulturforum Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Modern Icons – Malerei aus der Sammlung Ludwig" - interessante Themen-Schau mit US- und UdSSR-Beispielen im Ludwig Forum, Aachen

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Durch Mauern gehen" - zeitgenössische Politkunst-Schau zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Martin-Gropius-Bau

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Hyper Real - Die Passion des Realen in Malerei und Fotografie" im Museum für Moderne Kunst - Stiftung Ludwig, Wien

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Pacific Standard Time" - große Überblicksschau über Kunst in Kalifornien 1950 bis 1980 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Ilya Kabakov: A Return to Painting 1961 - 2011" - große Retrospektive des Moskauer Konzeptualisten im Sprengel-Museum, Hannover.

 

Etwa im Raum mit Krieger-Bildern: Ronald B. Kitaj pinselt 1961 einen „Österreichisch-Ungarischen Infanteristen“ als Überbleibsel einer vergangenen Epoche. Ein Jahr später fertigt Roy Lichtenstein ein Comicbild mit Mündungsfeuer – Soldaten werden überflüssig. Gegenüber hängt ein zeitgleich gemaltes Großformat von Boris Nemenskij mit zwei erschossenen Rekruten; ein Sinnbild des sowjetischen Opferkults. Doch daneben hat Wjatscheslaw Kalinin im Stil des frühen Chagall drei „Säufer“ porträtiert – Alkoholismus als tödlichster Feind in Friedenszeiten.

 

Zwei Säle weiter scheint ein Grisaille-Gemälde alle Klischees von uniformen Menschenmassen im Ostblock zu bestätigen: Dutzende von Angestellten in Reih und Glied beugen sich über Büromaschinen. Doch das Motiv stammt aus den USA; dieses „IRS Rechenzentrum“ malte Richard Artschwager 1969 nach einem Zeitungsfoto. Dagegen entstand die wilde Partyszene gegenüber drei Jahre vorher in der Sowjetunion, festgehalten von Galina Neledwa. Wobei es auch dort nichts zu beschönigen gibt: Im selben Jahr lässt Igor Popow seine Malocher „Vor der Arbeit“ in den Rauchschwaden billiger Zigaretten verschwinden.

 

Apotheosen der Freizeitgesellschaft

 

Immer wieder berühren sich die Extreme. Die Malweise des Hyperrealismus, der Oberflächen detaillierter als Fotografie wiedergibt, benutzen US-Künstler um 1970 für die Darstellung von Straßenszenen, Autos – und der Eroberung des Weltraums. Auf gleiche Weise porträtiert Juri Korolew noch 1982 vierzehn Kosmonauten als moderne Heldenschar. Schriftzeichen in Collagen werden ab 1980 in der westlichen Street Art populär; diese Kombination verwenden Moskauer Konzeptualisten damals bereits seit einem Jahrzehnt.

 

Selbst Basales wie die Bildgröße entwickelt sich analog: In den 1980er Jahren weiten sich die Formate in Ost wie West. Am Ende stehen zwei Apotheosen der Freizeitgesellschaft von Semjon Faibisowitsch (1988) und Eric Fischl (1984): Halbnackt am Strand gleichen sich Russen und Amis bis auf die Badehose. Auch wenn die Hausherrin offenbar Tafelbilder für antiquiert hält – im Gegensatz zum Kalten Krieg sind sie als Medium des Erkenntnisgewinns noch längst nicht Geschichte.