Andreas Koefoed

The Lost Leonardo

Das Bild "Salvator Mundi". Foto: Piece of Magic Entertainment/Filmagentinnen
(Kinostart: 23.12.) „Salvator Mundi“ ist das teuerste und umstrittenste Gemälde der Welt: Stammt es von Leonardo da Vinci oder nicht? Seinen präzise argumentierenden Indizien-Prozess erweitert Doku-Regisseur Andreas Koefoed zum fesselnden Lehrstück über heutige Machtpolitik.

„Erlöser der Welt“: So lautet übersetzt der Name des Gemäldes, das am 15. November 2017 bei Christie’s in New York für 400 Millionen Dollar zugeschlagen wurde – mit Aufschlag kostete es den anonymen Bieter 450,3 Millionen Dollar. Er erwarb es als eigenhändiges Werk von Leonardo da Vinci (1452-1519). Doch das ist strittig; etliche Experten stufen das Bild als Arbeit aus seiner Werkstatt ein, an der der Renaissance-Meister höchstens mitgewirkt hat.

 

Info

 

The Lost Leonardo

 

Regie: Andreas Koefoed,

100 Min., Dänemark/ Frankreich/Schweden 2021;

mit: Dianne Modestini, Alexander Parish, Yves Bouvier

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dem Für und Wider ihrer Argumente geht der dänische Regisseur Andreas Koefoed mit beeindruckender Präzision nach. Doch sein Dokumentarfilm geht über Zuschreibungs-Fragen weit hinaus. Im zweiten Teil verwandelt sich diese Detektivgeschichte in eine Studie über die Mechanismen gegenwärtiger Hochfinanz und Machtpolitik: der Besitz von Kunstwerken als soft power im Ringen um internationales Prestige.

 

Passgenaues Interview-Kreuzverhör

 

Dabei bietet der Regisseur kaum mehr auf als Interviews mit den Beteiligten, Archivbilder und ein paar Re-enactment-Szenen. Doch die Aussagen seiner Gesprächspartner schneidet Koefoed so passgenau, dass sie einander zu antworten und zu entgegnen scheinen: So entsteht eine windungsreiche, aber jederzeit plausible und nachvollziehbare Erzählung vom unglaublichen Aufstieg eines Zufallsfunds zum kostspieligsten Artefakt aller Zeiten.

Offizieller Filmtrailer


 

Gütesiegel von National Gallery 2011

 

Sie beginnt bei einem Herren-Gruppenbild mit Dame. 2005 ersteigern die US-Kunsthändler Alexander Parish und Robert Simon bei einer Auktion in New Orleans für 1175 US-Dollar ein stark beschädigtes Gemälde, das ihnen viel versprechend erscheint. Es wird von der renommierten Konservatorin Dianne Modestini jahrelang restauriert; sie hält es für einen echten Leonardo. 2008 darf ein halbes Dutzend Fachleute es in der Londoner National Gallery begutachten. Ihr Urteil fällt tendenziell positiv, aber uneinheitlich aus.

 

Der hauseigene Kurator Luke Syson entscheidet jedoch, das Gemälde bei einer Ausstellung 2011 als Original-Leonardo zu präsentieren. Mit diesem Gütesiegel eines der bedeutendsten Museen der Welt steigt sein Wert immens. Parish und Simon holen Warren Adelson in ihr „Konsortium“: Der auf Alte Meister spezialisierte Händler bietet das Werk für 200 Millionen Dollar feil. Vergeblich: Entweder ist es den angesprochenen Museen zu fragwürdig, oder sie bringen die Summe nicht auf.

 

44,5 Millionen Gewinn in 24 Stunden

 

Auftritt Yves Bouvier: Der Schweizer managet in Genf einen Freihafen für Luxusgüter und handelt nebenbei mit Kunst. Er kauft das Gemälde 2013 dem Konsortium für 83 Millionen Dollar ab – und händigt es am nächsten Tag für 127,5 Millionen Dollar dem russischen Milliardär Dmitry Rybolowjew aus. Als dem Kali-Magnaten später klar wird, dass Bouvier ihn bei 38 Transaktionen um mehr als eine Milliarde geprellt haben könnte, zerrt er ihn vor Gerichte auf drei Kontinenten. Seine Schadensersatzforderungen haben den Schweizer nach eigener Aussage ruiniert.

 

Rybolowjew reicht das Bild 2017 bei Christie’s ein. Das Auktionshaus gibt ihm das Etikett „The male Mona Lisa“ und startet eine aufwändige PR-Kampagne. Ein Werbefilm mit Leonardo di Caprio und Schau-Auftritte in vier Weltstädten sollen Begehrlichkeiten wecken. „Hallo Herr Milliardär, dies ist ihre letzte Chance, ein Gemälde des größten Künstlers der westlichen Welt zu erwerben!“, kommentiert Evan Beard, Kunstexperte der Bank of America, diese Marketingstrategie.

 

Meisterstück der Restauratorin

 

Sie geht am 15. November auf. Aber wer ist der Käufer? Bald wird enthüllt, dass es sich um Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) handelt, De-facto-Herrscher von Saudi-Arabien. Zugleich werden die Unkenrufe lauter. „Man könnte es als zeitgenössisches Bild bezeichnen“, lästert der US-Kunstkritiker Kenny Schachter: „90 Prozent wurden in den letzten zehn Jahren gemalt“. Von „Modestinis Meisterstück“ spricht Frank Zöllner, Leonardo-Spezialist aus Leipzig: „Es sieht leonardesker als Da Vincis erhaltene Gemälde aus.“

 

Davon lässt sich MBS nicht beirren. Er schickt das Bild zur Untersuchung in Frankreichs Kunst-Forschungszentrum. 2019 soll es das sensationelle Prunkstück der Leonardo-Retrospektive im Louvre zum 500. Todestag werden. Doch bei der Eröffnung ist die Überraschung groß: Erst bleibt der zugedachte Platz leer. Dann wird an seiner Stelle eine Version des „Salvator Mundi“ gezeigt, die als Kopie aus Leonardos Werkstatt gilt. Offenbar hatte der Eigentümer bei den Leihgabe-Verhandlungen zu hoch gepokert.

 

Ohne Leihgabe kein Leonardo-Zertifikat

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Dokumentation "In den Uffizien" - von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Florenz und seine Maler - Von Giotto bis Leonardo da Vinci" - mit Werken von Leonardo da Vinci in der Alten Pinakothek, München

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Dissident" - spannende Doku von Bryan Fogel über den Mord am saudischen Regimekritiker Jamal Kashoggi, den vermutlich MBS in Auftrag gab

 

und hier einen Bericht über den Film "Beltracchi – Die Kunst der Fälschung" - anschauliches Doku-Porträt des Gemälde-Fälschers von Arne Birkenstock

 

und hier eine Kritik des Films "The Best Offer – Das höchste Gebot" - Psycho-Thriller im Kunsthandel von Giuseppe Tornatore mit Geoffrey Rush.

 

Die Verwirrung hat ein Nachspiel. Der Louvre hatte eine Broschüre zum Gemälde gedruckt, in der Leonardos Urheberschaft bestätigt wird. Sie wurde zurückgezogen und vernichtet; nur wenige Exemplare kamen irrtümlich in Umlauf. Dazu führt der Museums-Pressesprecher vor laufenden Kameras einen rhetorischen Eiertanz auf: „Die Veröffentlichung des Buches war mit der Leihgabe verknüpft. Die Leihgabe fand nicht statt, also gibt es auch kein Buch.“

 

Mit anderen Worten: Wer dem Louvre ein Zugpferd überlässt, das seine Kassen klingeln lässt, dem bestätigt er gern mit seiner geballten Autorität die gewünschte Zuschreibung. Oder kürzer: Eine Hand wäscht die andere, und beide sehr viel Geld. Vom Casino-Nervenkitzel beim Rekordpreis-Roulette abgesehen, bietet dieser packende Kunst-Krimi noch viel weitergehende Einsichten in die Funktion des heutigen Kunstmarkts und seiner Akteure.

 

Warten auf Sino-Superreiche

 

Die Zeiten, in denen bei Auktionen nur vermögende Sammler gegen Museumsleiter boten, sind vorbei. Im obersten Preissegment werden Versteigerungen zu schlagzeilenträchtigen Spektakeln mit weltweiter Resonanz. Superreiche Privatleute mögen Kunst allein als Finanzanlage betrachten, um Abermillionen sicher zu parken und leicht zu transferieren.

 

Sobald nichtwestliche Machthaber in dieses Spiel einsteigen, wird daraus eine Bühne für Symbolpolitik. MBS wollte sich mit der „männlichen Mona Lisa“ eine Ikone aneignen, deren Ruhm dem der weiblichen gleicht, damit Saudi-Arabien zur Kulturnation wie Frankreich aufwerten – und hat sich verzockt. Auf ein Neues: Mal sehen, welcher Russe oder Chinese zuschlagen wird, wenn ein Raffael oder Michelangelo zum Verkauf steht.