Fiat Lux: Kein anderer Zeitgenosse ließ das Licht so heftig und ungedämpft strahlen wie Carl Blechen (1798-1840) in seinen kleinformatigen Ölskizzen aus Italien. Auf den oft kaum postkartengroßen Bildern leuchtet die Intensität des erlebten Moments; sei es auf ockerfarbenen Felsen, Blattwerk oder dem Rasen vor der Villa Borghese, die im Hintergrund zur Randerscheinung wird. Da hat ein eigensinniger Maler brillant umgesetzt, was er sah. Genau das faszinierte Max Liebermann (1847-1935): damit sei Blechen „das Einfachste und daher Schwerste“ gelungen.
Info
Carl Blechen –
Das Einfachste und daher Schwerste
17.10.2021 - 24.01.2022
täglich außer dienstags 11 bis 17 Uhr
in der Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstraße 3, Berlin
Katalog 12 €
Winterschlaf im Fürst-Pückler-Museum
Dort sind nun rund 30 Gemälde und ein paar Zeichnungen zu einer kleinen, feinen Blechen-Retrospektive versammelt. Sie rekonstruiert nicht die Liebermann-Schau, kann aber vergleichbare Motive aufbieten. Hauptleihgeber ist die Blechen-Sammlung im Fürst-Pückler-Museum im Schloss Branitz bei Cottbus; es ist im Winter geschlossen. Daher durften die ausgewählten Werke mitsamt ihrer gespeicherten Sonnenenergie zum Wannsee wandern.
Impressionen der Ausstellung
Ähnlich wie Corots Freiluft-Studien
Kein Wunder, dass der Impressionist Liebermann diesen Lichtzauberer liebte. Er stellte Blechen in eine Reihe mit dem Franzosen Camille Corot (1796-1875); dieser begründete als Pionier der Freiluft-Malerei die Schule von Barbizon mit. Tatsächlich ähneln manche von Blechens auf transportable Papptafeln gepinselte Ölskizzen aus Italien frappierend den Studien von Corot. Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts experimentierten viele Künstler mit helleren Farben als je zuvor in der Landschaftsmalerei.
Für Liebermann waren sie damit Vorläufer des Impressionismus. Er betrachtete sich gleichsam als künstlerischer Erbe des mit nur 42 Jahren verstorbenen Blechen. In direkter Linie: Liebermanns eigener Lehrer Carl Steffeck hatte sein Handwerk wiederum einst bei Blechen gelernt.
Vom Bankangestellten zum Professor
Der in Cottbus geborene Künstler arbeitete zunächst in Berlin als Bankangestellter, bevor er zum Pinsel griff – und wegen seines Talents von Karl Friedrich Schinkel protegiert wurde. Später brachte er es bis zum Professor für Landschaftsmalerei und Mitglied der Akademie der Künste. Doch solche kleinen Ölskizzen, wie sie jetzt in der Liebermann-Villa zu sehen sind, galten zu seinen Lebzeiten nicht als ausstellungswürdig.
Doch die Kunstöffentlichkeit um die Jahrwende stürzte sich mit Begeisterung darauf. „Max Liebermann gibt uns den modernen Blechen“, jubelte ein Kritiker 1921 in seiner Rezension. Hundert Jahre später hat sich der Blick abermals gewandelt. Romantiker oder Impressionist? Carl Blechen passt in keine Schublade. Zudem ergänzt Lucy Wasensteiner, seit Anfang 2020 Direktorin der Liebermann-Villa, die Geschichte seiner Werke um ein weiteres Kapitel.
Hitler + Göring als Blechen-Fans
Nicht nur Max Liebermann, auch Adolf Hitler und Hermann Göring schätzten Blechen. Unter den Frühwerken im ersten Raum ist eine „Winterlandschaft mit Kieferngruppe“ von 1823 zu sehen: Dramatisch beleuchtet stapft ein Mann mit Kind auf verschneitem Weg durch die Nacht. Das Gemälde wurde 1939 für das geplante Führermuseum in Linz erworben. Heute ist es in Staatsbesitz, der Vorbesitzer wird noch gesucht.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Es drängt sich alles zur Landschaft…" über "Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts" im Museum für bildende Künste, Leipzig
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Camille Corot: Natur und Traum" über den bedeutendsten französischen Landschaftsmaler des 19. Jh. in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Max Liebermann und Paul Klee: Bilder von Gärten" - aufschlussreiche Hortikultur-Schau in der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Viaggio in Italia – Künstler auf Reisen 1770 – 1880" über Landschaftsmalerei in Italien in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe.
Umstrittener Höhenzug
Die einzige Leihgabe nicht aus Cottbus, sondern aus einer Privatsammlung heißt „Höhenzug mit blauen Schatten“, 13 mal 24 Zentimeter klein. Sanfte Hügel erstrecken sich am Horizont, der Himmel ist hoch, das Bild an den Rändern unvollendet: eine Momentaufnahme von miniaturhafter Schärfe, die fragmentarisch blieb. Max Liebermann erwarb sie von seinem Galeristen Paul Cassirer.
Wie das Bild später in die Hände der Nationalsozialisten gelangte, ist unklar. Wurde es beschlagnahmt? Oder veräußert von Liebermanns Witwe Martha, die zunehmend drangsaliert wurde und sich 1943 das Leben nahm, um ihrer Deportation nach Theresienstadt zu entgehen? Auf jeden Fall sollte auch dieses Bildchen dem Führermuseum einverleibt werden.
Echt Blechen ist, was man dafür hält
2012 wurde das Werk den Erben Liebermanns restituiert. Die feingemalte Oberfläche ist von unzähligen feinen Rissen durchzogen – das fragile Ölbild hat einiges mitgemacht. Dabei gilt heute als fraglich, ob es überhaupt von Blechen gemalt wurde. Zu feinmalerisch die Pinselführung, zu fernglasartig der Panorama-Weitblick. Aber einerlei: Für Liebermann war es ein Original-Blechen.