Udo Flohr

Effigie – Das Gift und die Stadt

Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) wird beschuldigt Giftmörderin zu sein. Fotoquelle: Entertainment Kombinat GmbH
(Kinostart: 20.1.) Scheidung mit Schierlingsbecher: In den 1810/20er Jahren vergiftete die Bremerin Gesche Gottfried zwei Gatten und 13 andere Menschen. Die Enttarnung der Serienmörderin verfilmt Regisseur Udo Flohr als hölzernes Kammerspiel mit feministischem Feigenblatt.

Wie man eine zerrüttete Ehe durch Scheidung auflöst, ist in Deutschland erst seit 1875 rechtlich geregelt. Zuvor konnten unglücklich verheiratete Frauen oft nur das Ableben ihres Gatten beschleunigen, wenn sie dafür skrupellos genug waren. Einer der spektakulärsten dieser Fälle flog 1828 in Bremen auf: Die respektable Bürgerin Gesche Gottfried hatte im Lauf von 14 Jahren mindestens 15 Menschen mit Arsenik umgebracht und zahlreiche weitere mit nichttödlichen Dosen schwer verletzt.

 

Info

 

Effigie - Das Gift und die Stadt

 

Regie: Udo Flohr,

85 Min., Deutschland 2019;

mit: Suzan Anbeh, Elisa Thiemann, Christoph Gottschalch

 

Weitere Informationen zum Film

 

Erstes Opfer der Serienmörderin war 1813 ihr erster Ehemann Johann Miltenberg. Danach vergiftete sie 1815/6 ihre drei Kinder und ihre Eltern. 1817 tötete sie ihren zweiten Ehemann Michael Christoph Gottfried ebenso wie sechs Jahre später ihren Verlobten, nachdem beide im Testament sie als Erbin eingesetzt hatten. Danach mussten noch sechs Nachbarn, Freunde und ihre Vermieterin dran glauben; beim letzten Opfer Friedrich Kleine war Gesche Gottfried verschuldet.

 

Fassbinder-Stück + -Film von 1971/2

 

Was sie zu ihren Bluttaten trieb, ist bis heute umstritten: War es Geldnot, Rachsucht oder Wahnsinn – oder wechselten ihre Motive? Über ihren Fall schrieb Rainer Werner Fassbinder 1971 das Theaterstück „Bremer Freiheit“. Es ist zwei Mal verfilmt worden, einmal von Fassbinder selbst: Für ihn war Gesche Gottfried ein Opfer von Entmündigung und Unterdrückung – dagegen wusste sie sich nur mit Gift zu wehren. Ihr Schicksal behandeln zwei weitere Spielfilme, zwei Dramen, eine Oper, zwei Hörspiele und Comics. Was hat Regisseur Udo Flohr dem hinzuzufügen?

Offizieller Filmtrailer


 

Aussagen im „Tatort“-Jargon

 

Das Drehbuch zum Film stammt von Peer Meter: Der Bremer hat bereits ein Sachbuch, ein Stück, ein Hörbuch und einen Comic zum Thema verfasst. Er darf also als Gesche-Gottfried-Experte gelten – oder als Tausendsassa, der den Gruselstoff multimedial vermarktet und sich dabei um Faktentreue wenig schert. Meter erzählt die Geschichte aus der Sicht von Cato Böhmer (Elisabeth Thiemann): Sie taucht plötzlich am Kriminalgericht in Bremen als neue Protokollantin auf. Damals konnten Frauen in Deutschland nicht Jura studieren, aber so viel feministischer Zeitgeist muss sein.

 

Außerdem konstruiert das Skript noch einen Interessenkonflikt zwischen Kapitän und Stadtregierung, verkörpert vom Bürgermeister und Senator Droste (Christoph Gottschalch): Der Binnenschiffer will Wasserwege ausbauen, der Senat eine Eisenbahn anlegen. Ihre Honoratioren-Rivalität macht die Gemengelage noch unübersichtlicher: Dauernd schlagen im Dienstzimmer des ermittelnden Senators Leute auf, die Anschuldigungen vorbringen oder Aussagen machen – und dabei im „Tatort“-Jargon von „konkreten Anhaltspunkten“ sprechen.

 

Blutregen + Milch-Licht

 

Wobei sich der Film nicht entscheiden kann, ob er den Kriminalfall nachzeichnen oder Motivforschung betreiben will. Nach dem ersten Drittel ist Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) überführt; von nun an versucht Droste mit etlichen Helfern, ihr ein Geständnis abzupressen. Beweismittel bei bereits vermoderten Toten zu finden, ist mit den damaligen medizinischen Mitteln aussichtslos.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The House That Jack Built" - vielschichtig schillernder Essayfilm über einen Serienmörder von Lars von Trier

 

und hier eine Besprechung des Films "Ma Folie - Deine Liebe. Deine Lügen" - raffinierter Amour-Fou-Psychothriller von Andrina Mračnikar

 

und hier ein Beitrag über den Film "Amour Fou" - stilisiertes Kostüm-Kammerspiel über den Freitod von Kleist + Henriette Vogel 1811 von Jessica Hausner.

 

Nichtsdestoweniger wird ein Leichnam exhumiert, der malerisch vereinzelt direkt vor einer Kirche bestattet liegt. Just bei der Graböffnung fällt rötlicher Niederschlag; dieser „Blutregen“ ist zufälligerweise durch Sahara-Sand gefärbt. Ansonsten spielt sich das Drama vor allem in Innenräumen ab. Unerfindlicherweise sind sie meist in milchiges Licht getaucht, als wäre die Hansestadt ständig von dauerfeuchtem Dunst eingehüllt.

 

Stocksteife Hanseaten vs. Diva

 

Über solche budgetbedingten Schwächen der Inszenierung ließe sich hinwegsehen, würden sie durch darstellerische Präsenz aufgewogen. Allerdings geben sich die TV-erprobten Schauspieler jede Mühe, dem Klischee stocksteifer Hanseaten zu entsprechen. Das gleicht Suzan Anbeh im Alleingang aus: Sie gibt die Serienmörderin als unberechenbare Diva, die noch in den unpassendsten Momenten für kokettes Schäkern oder affektiertes Selbstmitleid gut ist. Sogar wenn sie soeben in ihrer Zelle eine Besucherin samt Sohn vergiftet hat.

 

Bei solchen Zuständen wundert es nicht, dass ausgerechnet die unerschrockene Protokollantin Gesche Gottfried ein verräterisches Bekenntnis entlockt – es wird Böhmers erster Schritt auf einer ansehnlichen Justiz-Laufbahn sein. Über die historischen Umstände, die um 1830 eine Frau zu Serienmorden treiben konnten, erfährt man in diesem verquasselten Kammerspiel jedoch nichts; da war Rainer Werner Fassbinder schon weiter.