Robert Guédiguian

Gloria Mundi – Rückkehr nach Marseille

Mathilda (Anaïs Demoustier) und Nicolas (Robinson Stévenin) mit der kleinen Gloria. Foto: Film Kino Text
(Kinostart: 13.1.) Nachwuchs als Armutsrisiko: Ein Baby stürzt ein Kleinbürger-Paar in Geldnöte. Davon erzählt Regisseur Robert Guédiguian, Spezialist für die Wechselwirkung zwischen Ökonomie und Sozialem, diesmal etwas holzschnittartig – trotz hervorragender Darsteller.

„Sic transit gloria mundi“ – „So vergeht der Ruhm der Welt“ lautet ein Ausruf im Krönungszeremoniell des Papstes, das ihn an seine eigene Sterblichkeit erinnern soll. Im neuen Film des französischen Regisseur Robert Guédiguian geht es jedoch nicht um Gottes Stellvertreter auf Erden, sondern um gewöhnliche Menschen mit sehr irdischen Problemen.

 

Info

 

Gloria Mundi –
Rückkehr nach Marseille

 

Regie: Robert Guédiguian,

107 Min., Frankreich/ Italien 2019;

mit: Anaïs Demoustier, Robinson Stévenin, Ariane Ascaride, Gérard Meylan

 

Weitere Informationen zum Film

 

Das Baby Gloria, das soeben zur Welt gekommen ist, versteht die Bedeutung seines Namens natürlich nicht – ebenso wenig wie seine jungen Eltern. Schnell wird klar, dass das freudige Ereignis einer Geburt offen legt, wie fragil die Situation dieser Familie ist.

 

Uber-Fahrer von Taxikollegen attackiert

 

Mutter Mathilda (Anaïs Demoustier) fürchtet als Verkäuferin in der Probezeit, dass sie jederzeit entlassen werden kann. Ihr Mann Nicolas (Robinson Stévenin) hat sich gerade als Uber-Fahrer selbstständig gemacht und einen Kredit fürs Auto aufgenommen. Als er von Taxifahrern zusammengeschlagen und monatelang arbeitsunfähig wird, bricht das finanzielle Kartenhaus der Familie zusammen. Der französische Sozialstaat springt Ich-AG-Selbstständigen und prekär Beschäftigten in Notlagen nicht bei.

Offizieller Filmtrailer


 

Wirtschaftlicher gleich sexueller Erfolg

 

Auch Mathildas Eltern Sylvie (Ariane Ascaride) und Richard (Jean-Pierre Darroussin) können nicht mit Geld aushelfen, kommen sie doch als Putzfrau und Busfahrer selbst gerade so über die Runden. Nur Mathildas Schwester Aurore steht gut da: Mit ihrem Freund Bruno betreibt sie eine profitable Pfandleihe. Als Geizkragen halten sie sich jedoch mit familiärer Hilfe sehr zurück.

 

In dieses recht schematische Figurenensemble platzt Mathildas biologischer Vater Daniel (Gérard Meylan); er saß wegen Mordes 20 Jahre lang im Gefängnis und wird nun entlassen. Er ist die freieste Figur im ganzen Film; als Außenseiter der Gesellschaft hat er nichts mehr zu verlieren. Alle anderen leiden unter ständigem ökonomischen Druck, der von oben nach unten weiter gegeben wird und sich bis in intime Beziehungen hinein auswirkt. Wirtschaftlicher und sexueller Erfolg gehen Hand in Hand.

 

Mehr Schwarzweiß-Malerei als sonst

 

Altmodische Tugenden wie Solidarität und Opferbereitschaft legen nur noch wenige Menschen an den Tag. An andere, kämpferische Wege wie Streik oder Protestaktionen, um das eigene Los zu verbessern, glauben die Protagonisten schon lange nicht mehr. Dafür sind sie zu erschöpft und desillusioniert. Ihnen bleiben kleine Fluchten: ein Spaziergang am Hafen, ein Kaffee in der Sonne, ein Bad im Meer.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Haus am Meer" - subtiles Familiendrama mit Ariane Ascaride und Jean-Pierre Darroussin von Robert Guédiguian

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Schüler der Madame Anne" - überzeugendes Drama von Marie-Castille Mention-Schaar mit Ariane Ascaride

 

und hier einen Bericht über den Film "Ein freudiges Ereignis" – realistische Tragikomödie über werdende Eltern von Rémi Bezançon

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Junge mit dem Fahrrad" - präzise Milieu-Studie über elternlosen Jungen von Jean-Pierre + Luc Dardenne.

 

Die Filme von Robert Guédiguian nahmen immer eindeutig Partei für diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Aber sie waren auch meist differenziert genug, um nicht in plumpe Schwarzweiß-Malerei zu verfallen. Dieses Fingerspitzengefühl ist ihm in „Gloria mundi“ etwas abhanden gekommen. Das betont unsympathisch gezeichnete Ausbeuterpärchen Bruno und Aurore sticht aus dem übrigen, fein austarierten Figurenensemble heraus.

 

Glaspaläste entstellen Marseille

 

Beide sind übrigens Neulinge im Guédiguian-Kosmos. Ansonsten dreht der Regisseur seit Jahrzehnten mit demselben Ensemble; mit seiner Hauptdarstellerin Ariane Ascaride ist er gar verheiratet. So wie man in Guédiguians Filmen der Darstellerfamilie quasi beim Altern zuschaut, so erlebt man auch mit, wie sich seine Heimatstadt Marseille als Schauplatz verändert.

 

In „Gloria Mundi“ erscheint die drittgrößte französische Metropole kalt und im Umbruch. Moderne Glaspaläste ragen über alten Häusern empor, Wohnblöcke wirken unwirtlich, die ganze Stadt scheint eine einzige Baustelle zu sein. Marseille ist seinen Bewohnern fremd geworden. In quasi dokumentarischen Szenen zeigt die Kamera Flüchtlinge in ihren Zelten am Hafen, patrouillierende Militärs – und dazwischen Touristengruppen.