Cate Blanchett + Bradley Cooper

Nightmare Alley

Ein trickreiches Duo: Molly Cahill (Rooney Mara) und Stanton Carlisle (Bradley Cooper); Foto: Kerry Hayes. © 20th Century Studios
(Kinostart: 20.1.) Ich weiß, was Sie in Ihrer Tasche haben: Mit solchen Tricks feiert ein Gedankenleser-Duo im New York der 1930er Erfolge, bis Geldgier es zu Fall bringt. Ästhetischer Neo-Film noir von Regisseur Guillermo del Toro – er führt dem Publikum vor, wie leichtgläubig es ist.

Traue nie einer Person, deren Gesicht oft in Nahaufnahme gezeigt wird! Meistens hat sie etwas Wichtiges zu verbergen. Das lehrt die Geschichte des Films, oder besser: die des Film noir. Der Psychothriller von Guillermo del Toro, in dem sehr viele Close-Ups vorkommen, ist eine Hommage an dieses Genre der 1940er Jahre. Prägende Stilelemente sind außerdem eine unheilvolle femme fatale, verschattete Einstellungen, eine pessimistische Atmosphäre von allgegenwärtiger Täuschung und Betrug sowie mysteriöse, von Schuldgefühlen geplagte Hauptfiguren.

 

Info

 

Nightmare Alley

 

Regie: Guillermo del Toro,

139 Min., USA 2021;

mit: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Rooney Mara

 

Weitere Informationen zum Film

 

Stanton Carlisle (Bradley Cooper) ist eine solche Figur, dessen Gesicht vielfach die gesamte Leinwand ausfüllt. Dann wirken seine schönen blauen Augen sehr vertrauenswürdig, wenn nicht unschuldig. Anfangs heuert Carlisle bei einem Wanderzirkus irgendwo im Mittleren Westen der USA an. Kein angenehmer Ort: Dicht über dem Boden schwebend, fängt die Kamera exzentrische Schausteller und den Schmutz ein, in dem sie hausen. Eine spektakuläre Veranschaulichung des harten Alltags eines Vagabundendaseins am Rand der Gesellschaft.

 

Details mit Codewörtern absprechen

 

Doch Carlisle erlebt dort einen schnellen Aufstieg. Vom ehemaligen Wahrsager Pete und dessen Ehefrau Zeena, die als „Medium“ arbeitet, lernt er die Kunst des Gedankenlesens und Trickbetrugs. Dabei überrascht das Duo Leute im Publikum mit persönlichen Details aus ihrem Leben; sie werden zuvor unbemerkt durch Codewörter zwischen Zeena und ihrem Assistenten abgesprochen.

Offizieller Filmtrailer


 

Vom Zirkus zu Art-Deco-Salons

 

„Menschen wollen unbedingt gesehen werden. Sie wollen dir sagen, wer sie sind“, erläutert Pete dem Neuling. Dabei folgen er und seine Frau moralischen Grundsätzen: Man müsse unbedingt den Trick am Ende der Vorstellung erklären. Niemals dürfe man der Versuchung verfallen, eine „Spuk-Show“ aufzuführen und vorzugeben, man würde wirklich mit höheren Mächten kommunizieren, betont der Wahrsager: Das könne schlimm ausgehen.

 

Nach einer Weile verlässt Carlisle den Zirkus mit seiner Geliebten, der Schaustellerin Molly (Rooney Mara). Zwei Jahre später inszenieren sie ihre eigene Show im New York der späten 1930er Jahre für den dortigen Geldadel. Das Ambiente hat sich völlig verändert: Anstelle von Bretterbuden unter bleiernem Himmel dominiert nun ein beeindruckender Art-Deco-Look aus geheimnisvoll ausgeleuchteten Büros und ellenlangen Fluren, die in sattem Grün und Gold gehalten sind.

 

Psychoanalyse für Trickbetrug

 

Carlisle tritt nun im schickem Maßanzug als gerissener Showman auf, der offenbar nur noch an Geld interessiert ist – weshalb die Zweifel seiner Partnerin wachsen, mit wem sie es eigentlich zu tun hat. Eines Tages lernt er die listenreiche Psychoanalytikerin Lilith kennen; Cate Blanchett spielt sie mit bohrenden Blicken überspitzt theatralisch als Klischee einer femme fatale. Es verwundert kaum, dass sie die Wendung ins Verderben ankündigt.

 

Da sie viele Patienten aus der New Yorker Oberschicht behandelt, bietet Carlisle ihr einen Deal an: Sie soll ihm möglichst intime Details ihrer Kundschaft verraten, mit denen er sie dann in privaten, bestens bezahlten Seancen konfrontieren wird. Im Gegenzug lässt er sich von ihr analysieren, natürlich nicht ohne Hintergedanken. Das funktioniert bestens. Doch eines Tages deckt der steinreiche Klient Ezra (Richard Jenkins) die betrügerische Absprache auf; Carlisle muss fliehen.

 

Leute glauben, was sie glauben wollen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Shape of Water − Das Flüstern des Wassers" − fantasievolle Fantasy-Fabel über Fisch-Menschen, 2018 mit Goldenem Löwen prämiert, von Guillermo del Toro

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Dieb der Worte"Hochstapler-Thriller im Literaturbetrieb von Brian Klugman und Lee Sternthal mit Bradley Cooper

 

und hier einen Beitrag über den Film "Blue Jasmine" – brillante Tragikomödie von Woody Allen mit Cate Blanchett als Betrüger-Gattin

 

und hier einen Bericht über den Film "Trance – Gefährliche Erinnerung" – Psycho-Thriller über Kunstraub unter Hypnose von Danny Boyle.

 

Zwar verliert sich der Film im letzten Viertel zu sehr in hektischer Action und einem wenig überraschenden Finale. Doch die Szenen, in denen Trickbetrug thematisiert wird, hallen länger nach. Regisseur Del Toro betrachtet etwas, das in Zeiten florierender Verschwörungsmythen sehr relevant ist: die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge oder Wirklichkeit und Illusion. „Finde heraus, wovor Leute Angst haben, spiegele es ihnen zurück und verkaufe ihnen die Erlösung“, bringt Lilith Carlisles Methode auf den Begriff.

 

Dieses Phänomen stellt der Film nicht nur ästhetisch gelungen, sondern auch passenderweise am Beispiel des zwielichtigen Wahrsager-Milieus dar. Immer wieder werfen Menschen ihre Vernunft über Bord und verfallen in Wunschdenken – sobald ihnen der kleinste vermeintliche Beleg dafür angeboten wird, dass es sich so verhält, wie sie es gerne hätten.

 

Große Gesichter können nicht lügen

 

So zahlt der Tycoon Ezra an Carlisle viel Geld, um mit seiner verstorbenen Geliebten Kontakt im Jenseits aufzunehmen – weil er sein schlechtes Gewissen entlasten möchte. Derart fehlgeleitetes Vertrauen erlebt der Zuschauer selbst: Ironischerweise ist er geneigt, den vielen Gesichtern in Großaufnahme auf der Leinwand stets zu glauben, was sie sagen. Damit erweist sich „Nightmare Alley“ als eine Art Meta-Film, der dem Publikum an sich selbst vorführt, wie verführerisch es ist, Lügen zu glauben, obwohl man es besser weiß.