Ninja Thyberg

Pleasure

Bella Cherry (Sofia Kappel) posiert. Foto: © Plattform Produktion
(Kinostart: 13.1.) Drüber, drunter und drauf: Eine junge Schwedin will in Kalifornien Pornostar werden. Doch im Sexfilm-Business voranzukommen, fällt ihr schwer – weil es in dieser Branche so unspektakulär hart zugeht wie in vielen anderen, zeigt Regisseurin Ninja Thyberg.

Am Anfang, bei der Grenzkontrolle am Flughafen von Los Angeles, wird Linnéa (Sofia Kappel) vom Beamten gefragt, ob sie „beruflich oder zum Vergnügen“ in die USA einreise. „Zum Vergnügen“, antwortet Linnéa – weil sie davon ausgeht, dass ohnehin beides in eins fallen wird. Da täuscht sie sich.

 

Info

 

Pleasure

 

Regie: Ninja Thyberg,

109 Min., Schweden/ Niederlande/ Frankreich 2021;

mit: Sofia Kappel, Evelyn Claire, Dana DeArmond

 

Weitere Informationen zum Film

 

Unter dem Pseudonym „Bella Cherry“ will die 19-jährige Schwedin in der Pornoindustrie Karriere machen. Im San Fernando Valley im Nordwesten von L.A. produzieren etwa 200 Studios mit circa 6000 Beschäftigten rund 90 Prozent der professionellen US-Pornofilme, womit sie mehrere Milliarden Dollar erwirtschaften. Allerdings sinken die Umsätze seit einer Dekade wegen kostenloser XXX-Inhalte im Internet erheblich.

 

Selfies nach dem Cumshot

 

Bella findet schnell Anschluss: Ihr erster Agent, ein mickriger Typ im Hinterzimmer-Büro, schickt sie zu einem 08/15-Dreh mit einem Muskelmann. Den übersteht sie passabel; anschließend macht sie noch aufreizende Selfies für ihre Social Media Accounts. Narzissmus ist in diesem Geschäft ebenso unerlässlich wie ständige Selbstvermarktung.

Offizieller Filmtrailer


 

Pro Bondage, versus Vergewaltigung

 

Doch daran hapert es: Dass sie mit gleichfalls selten gebuchten Kolleginnen im schäbigen Bungalow ausharren und warten muss, löst bei Bella bald Lagerkoller aus. Ihre Anläufe, sich bei Adult-Events an Branchengrößen heranzuwanzen, sind wenig erfolgreich. Klagt sie über ausbleibende Aufträge, heißt es: Du musst mehr riskieren, um eine große Online-Fangemeinde aufzubauen.

 

Ihr erster Versuch mit einer Bondage-Session unter Anleitung einer Regisseurin gefällt ihr überraschend gut: Endlich macht der Job Spaß! Sogleich folgt die kalte Dusche: Eine simulierte Vergewaltigung durch drei Grobiane versetzt sie in Panik – sie muss den Dreh abbrechen. Während sie zweifelt, ob sie sich derlei weiter antun soll, überredet sie dazu telefonisch ihre Mutter, die sie bei einem Praktikum wähnt: Sie könne nicht immer vor allem davonlaufen.

 

Verstörte Heldin, nicht Zuschauer

 

Tapfer mutet sich Bella immer extremere Praktiken zu – was in dieser Branche mit mehr Prestige und höher dotierten Engagements belohnt wird. Schließlich steigt sie zum „Spiegler Girl“ auf. Der gleichnamige Agent sieht aus wie ein Gnom, hat aber die begehrtesten Darstellerinnen unter Vertrag. Am Ende steht eine Art Showdown mit ihrer ärgsten Rivalin; dass sie dabei die Oberhand behält, verstört Bella am meisten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier das Interview "Sex-Athleten bei Kampfsportarten" mit Ninja Thyberg + Sofia Kappel über den Film "Pleasure"

 

und hier eine Rezension des Films "Bad Luck Banging or Loony Porn" - Sittendrama über Privatporno in Rumänien von Radu Jude, prämiert mit Goldenem Bären 2021

 

und hier eine Besprechung des Films "Messer im Herz" - schräger Krimi über Morde im Schwulenporno-Milieu von Yann Gonzalez

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sexarbeiterin" - Doku-Porträt einer Erotik-Masseurin von Sobo Swobodnik

 

und hier einen Bericht über den Film "The Neon Demon" - stilsichere Milieu-Studie über den Aufstieg eines Fotomodells von Nicolas Winding Refn mit Ellen Fanning

 

und hier eine Kritik des Films "Antiporno" – wüste Farborgie als ätzende Parodie auf Japans "Pink Movie"-Branche von Sion Sono.

 

Aber nicht den Zuschauer; verstörend ist das Geschehen kaum. Am spektakulärsten wirkt, wie unspektakulär alles daher kommt. Letztlich gehe es in der übel beleumundeten Pornoindustrie ähnlich zu, suggeriert der Film, wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch. Manche Auftraggeber und Chefs sind fair und anständig, andere ausbeuterische Arschlöcher. Manche Kolleginnen sind nett und vertrauenswürdig, andere fies und intrigant.

 

Selbstermächtigung einmal anders

 

Wer vorankommen will, darf nicht zimperlich sein und muss bei jeder sich bietenden Gelegenheit zuschlagen. Allerdings tragen die hier tätigen Scheinselbstständigen nicht ihre Arbeitskraft, sondern ihre Haut und Körperöffnungen zu Markte. Für ihre Einstufung gibt es nur die schwer fassbaren Kriterien Ausstrahlung und Popularität – genauso wie in der jugendfreien Show- und Filmbranche.

 

In seiner unaufgeregten Sachlichkeit ginge der Film als eine Reportage aus der horizontalen Arbeitswelt durch, spielte nicht Sofia Kappel die Hauptrolle. Die 23-jährige Debütantin legt so viel Ehrgeiz und Energie an den Tag, ohne gefühlskalt oder abgebrüht zu erscheinen, dass man unwillkürlich mit ihr mitfiebert. Warum sie sich in den Kopf gesetzt hat, ausgerechnet Pornostar werden zu wollen, bleibt unklar – aber man wünscht ihr, sie möge ihr Ziel erreichen: weibliche Selbstermächtigung einmal anders.

 

Lieber Schwänze als Singen

 

Zwischendurch singt Bella beim Chillen am Straßenrand zwei Kolleginnen ein schwedisches Lied vor; ihre melodische Stimme betört beide. Warum sie, wenn sie derlei könne, nicht etwas anderes aus ihrem Leben mache, fragt eine. Weil sie nun einmal Schwänze liebe, antwortet Bella. Rät nicht jeder Berufsberater, man solle sich der Tätigkeit widmen, für die man besonders motiviert ist, weil man sie am meisten mag?