M. Moghadam + B. Sanaeeha

Ballade von der Weißen Kuh

Witwe Mina (Maryam Moghadam) und der Bruder des Hingerichteten erfahren im Gericht vom Justizirrtum. © Weltkino Filmverleih
(Kinostart: 3.2.) Mater dolorosa in der Milchfabrik: Eine iranische Witwe wird nicht nur Opfer eines Justizirrtums, sondern auch etlicher weiterer Schicksalsschläge. Das spannungsarme Hiob-Porträt eines Regie-Duos bewahrt nur die Hauptdarstellerin vor papiernem Moralismus.

Harte Filme für harte Zeiten: Iranische Autorenfilmer reagieren auf den Druck der Zensur einer Klerikokratie, unter der sie arbeiten müssen, mit hohen moralischen Ansprüchen. Oft geht es um existentielle Entscheidungen zwischen Leben und Tod, Schuld und Sühne – und welche Konsequenzen die Alternativen für die Protagonisten haben. Solche letzten Fragen liegen nahe in einem Land, das nach China die meisten Todesurteile fällt und vollstreckt: jährlich etwa 300.

 

Info

 

Ballade von der Weißen Kuh

 

Regie: Maryam Moghadam + Behtash Sanaeeha,

105 Min., Iran/Frankreich 2021;

mit: Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar, Pourya Rahimisam

 

Weitere Informationen zum Film

 

Davon handelt auch die „Ballade von der weißen Kuh“. Die Kuh ist ein Symbol der Unschuld und religiöses Opfertier. Zugleich begründet die entsprechende Sure im Koran ein System des Blutgelds, das im Iran ausgiebig angewendet wird: Hinterbliebene eines Opfers können vom Täter finanzielle Entschädigung verlangen.

 

Tochter ist gehörlos

 

In diese Lage gerät Mina (Maryam Moghadam): Ihr Mann ist als Mörder verurteilt und hingerichtet worden. Was die Witwe auch vor große finanzielle Probleme stellt: Mit ihrem mageren Lohn als Arbeiterin in einer Milchfabrik kommen sie und ihre kleine, gehörlose Tochter kaum über die Runden.

Offizieller Filmtrailer


 

Unbekannter will Darlehen zurückzahlen

 

Ein Jahr später stellt sich heraus, dass es sich um einen Justizirrtum handelte. Ein anderer war der Mörder; Minas Mann hatte das Opfer nur verletzt, aber nicht getötet. Der Staat bietet Mina eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet rund einer halben Million Euro an, aber das genügt ihr nicht. Sie will mit den verantwortlichen Richtern sprechen und fordert von ihnen eine offizielle Entschuldigung.

 

Während ihr Ex-Schwager sie drängt, das Blutgeld anzunehmen, und damit droht, andernfalls werde ihr Ex-Schwiegervater sie verklagen, um ihr das Sorgerecht für ihre Tochter entziehen zu lassen, taucht ein undurchsichtiger Fremder auf. Dieser Reza (Alireza Sanifar) behauptet, er sei ein Freund des Verstorbenen gewesen und habe sich von ihm Geld geliehen; nun wolle er ihr die etwa 20.000 Euro zurückzahlen.

 

Rekrut stirbt an Überdosis

 

Damit nicht genug: Als Mina ihre Wohnung verliert, weil sie – in Gestalt von Reza – Herrenbesuch empfangen hat, beschafft er ihr flugs eine geräumige neue, hilft tatkrätig beim Umzug und stundet ihr zunächst die Miete. Ein wahrer Wohltäter! Kein Wunder, dass die Witwe bald beginnt, zarte Gefühle für ihn zu entwickeln und sich vor gemeinsamen Treffen die Lippen zu schminken.

 

Ihre Zuneigung kann sie bald unter Beweis stellen. Rezas Sohn, der mit dem Geschiedenen in einer Wohnung lebt, aber sich von ihm entfremdet hat, muss zum Militärdienst in der Provinz. Kurz darauf kommt die Nachricht, dass er an einer Überdosis Heroin gestorben ist – im Iran gibt es vermutlich rund eine Million Junkies. Reza ist am Boden zerstört, Mina kümmert sich sorgenvoll um ihn – bis ein einziger Anruf ihre Beziehung radikal umkehrt.

 

Schicksalsschläge für mater dolorosa

 

Anders als in den Filmen berühmter Regie-Kollegen wie Mohamad Rasoulof, Ashgar Farhadi oder Jafar Panari liegen die Verhältnisse hier ziemlich eindeutig. Die Würfel sind gefallen; niemand muss eine Entscheidung treffen, deren Folgen unabsehbar sein können. Dass es sich bei Reza um einen der Richter handelt, die Minas Mann zum Tode verurteilten, und er nun von Gewissensbissen geplagt wird, wird bald dem Zuschauer explizit mitgeteilt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Doch das Böse gibt es nicht" - beklemmender Episodenfilm über die Todesstrafe von Mohammad Rasoulof, prämiert mit Goldenem Bären 2020

 

und hier eine Besprechung des Films "Eine moralische Entscheidung (No Date, No Signature)" - intensives iranisches Schuld-und-Sühne-Drama von Vahid Jalilvand

 

und hier ein Beitrag über den Film "Yalda" - packendes Reality-TV-Drama aus dem Iran über Schulderlass für Todgeweihte von Massoud Bakhshi.

 

Zur Eindimensionalität des Geschehens tragen auch die übrigen Schicksalsschläge bei, die Mina heimsuchen. Ihre Tochter ist taub, das Geld reicht hinten und vorne nicht, gierige Verwandte erpressen sie, Hals über Kopf muss sie ausziehen. Und der rettende Engel namens Reza wird – kaum hat er schützende Flügel über sie ausgebreitet – vom Schock des Drogentods seines Sohns dahingestreckt. All das ist arg viel; Mina wird zur mater dolorosa.

 

Allegorien ethischer Prinzipien

 

Umso weniger verständlich ist, warum sie gegenüber der Justiz unnachgiebig auf einer offiziellen Entschuldigung beharrt – was hätte sie außer symbolischer Genugtuung davon? Zumal die ganze Wahrheit sie überfordert. Dieses Drehbuch wird weniger von lebendigen Charakteren mit realistischen Problemen bevölkert als vielmehr von allegorischen Figuren, die ethische Prinzipien vor sich hertragen.

 

Was den Film davor bewahrt, zur papiernen Moral-Fabel abzugleiten, ist die Hauptdarstellerin. Maryam Moghadam verleiht ihrem weiblichen Hiob unzählige Nuancen tief empfundenen Leids, ohne je zu chargieren. Eine eindrucksvolle schauspielerische Leistung der Ko-Regisseurin, die über weite Strecken den Film allein trägt. Allerdings zu keiner Einsicht, die mehr wäre als Mitgefühl.