Kenneth Branagh

Belfast

Ma ( Caitriona Balfe), Buddy (Jude Hill), Will (Lewis McAskie) und Pa (Jamie Dornan) planen ihre Übersiedlung ins englische Berkshire. Foto : Rob Youngson / Focus Features
(Kinostart: 24.2.) Kindheit im Straßenkampf: Als Kenneth Branagh in Nordirlands Hauptstadt aufwuchs, brachen dort bürgerkriegsähnliche Unruhen aus. Fünf Jahrzehnte später blickt der nunmehr berühmte Regisseur zurück – detailreich und lebensnah, aber auch nostalgisch verklärend.

Ein Showdown wie aus einem Western: auf der einen Seite ein Vater mit seinem älteren Sohn. Auf der anderen Seite einer der Aufrührer, der die Ehefrau des Mannes und seinen jüngeren Sohn in der Gewalt hat. Zwar stehen hinter „Pa“ bewaffnete Soldaten, die ihm Deckung geben. Aber das Risiko einer falschen Bewegung ist groß und der Rivale ein Fanatiker.

 

Info

 

Belfast

 

Regie: Kenneth Branagh,

98 Min., Großbritannien 2021;

mit: Caitríona Balfe, Judi Dench, Jamie Dornan, Ciarán Hinds,

 

Weitere Informationen zum Film

 

Wir befinden uns im Belfast der späten 1960er Jahre. Damals begannen in Nordirland bürgerkriegsähnliche Unruhen, die so genannten troubles. Das Duell auf offener Straße, ein dramatischer Höhepunkt in Kenneth Branaghs semi-autobiografischem Film, steht symbolisch für den Konflikt zwischen katholischen Iren und protestantischen Bewohnern, deren Loyalität Großbritannien gehörte.

 

Befriedet seit 1998

 

Ihre Auseinandersetzungen verwandelten Nordirland drei Jahrzehnte lang in eine Kampfzone mit rund 3500 Todesopfern. Erst das “Karfreitags-Abkommen“ von 1998 brachte einen bis heute fragilen Frieden; seither können sich die Menschen zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland im Süden frei bewegen.

Offizieller Filmtrailer


 

Brandstifter mit Molotov-Cocktails

 

Branagh blickt zurück: Im August 1969 brechen blutige Unruhen in Belfast aus. Molotov-Cocktails setzen ganze Stadtviertel in Brand. Radikale Protestanten wollen ihr katholischen Nachbarn vertreiben. Gemäßigte Protestanten, die sich der Hetzjagd nicht anschließen wollen, bekommen die Wut der Randalierer zu spüren. So prägt plötzlich Gewalt von allen Seiten auch den Alltag des neunjährigen Buddy (Jude Hill), das alter ego des Regisseurs als Kind.

 

Der aufgeweckte Junge mit allerhand Flausen im Kopf sieht alarmierende Nachrichten im Fernsehen und bewaffnete Männer auf Barrikaden. Er belauscht seine Eltern (Caitríona Balfe, Jamie Dornan) und Großeltern (Judi Dench, Ciarán Hinds) bei hitzigen Gesprächen. Dennoch kann er nicht verstehen, warum seine Familie auf einmal aus der geliebten Heimat wegziehen soll. Denn sein Leben spielt sich weiter zwischen Modellautos, Schule und erster Liebe ab.

 

Leuchtende Kinderaugen im Kino

 

Branagh erzählt hier seine persönliche Geschichte. Er selbst wurde am 10. Dezember 1960 als der jüngere von zwei Söhnen in eine nordirische Protestantenfamilie geboren. Belfast ist seine Heimatstadt; dieser Film schildert seine eigenen Kindheits-Erinnerungen, bis er mit seinen Eltern ins englische Berkshire übersiedelte.

 

In gestochen scharfem Schwarzweiß mit einem Anflug von Technicolor, der die frühe Leidenschaft des Regisseurs fürs Kino spiegelt: Buddy liebt den Rausch der Bilder heiß und innig. Seine Augen leuchten, wenn Rachel Walsh in der Steinzeit-Klamotte „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“ (1966) im Fell-Bikini auf der Leinwand erscheint, oder das Auto im Kinderbuch-Klassiker „Chitty Chitty Bang Bang“ (von Bond-Autor Ian Flemming) 1968 über eine Klippe fliegt.

 

Liebesbrief an Heimatstadt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Tod auf dem Nil" - Agatha-Christie-Neuverfilmung von Kenneth Branagh

 

und hier eine Besprechung des Films "The Deep Blue Sea" - Dreiecksbeziehungs-Melodram im England der Nachkriegszeit von Terence Davies mit Rachel Weisz

 

und hier ein Beitrag über den Film "Jimmy`s Hall" über Klassenkampf im Irland der 1930er Jahre von Ken Loach

 

und hier ein Bericht über den Film "Shadow Dancer" - Psychothriller über IRA-Terror von James Marsh.

 

Der Regisseur zeichnet in “Belfast” das Bild einer Welt kindlicher Fantasie und Abenteuer inmitten der brodelnden Auseinandersetzungen im Arbeitermilieu. Anders als etwa in den sozialkritischen Filmen seines Kollegen Ken Loach, der die Härten des Unterschichts-Daseins betont. Branaghs Sicht ähnelt der von Terence Davies, der seine nostalgischen Rückblicke in die britische Vergangenheit mit erlesenem Stilgefühl veredelt.

 

Dabei gewinnt Normales und Banales im familiären Miteinander im Kontext der Unruhen eine fast surreale Kraft. „Belfast“ sei ein filmischer Liebesbrief an die Stadt, sagt Branagh. Der Regisseur schaut mit Kinderaugen in die Vergangenheit, was zu seinem lebensbejahenden Gemüt passt. Dabei nimmt er in Kauf, dass er manchmal ins Kitschige verfällt und dabei die politischen Ursachen der Gewalt weitgehend ausblendet, obwohl die Auseinandersetzungen im Film stets präsent sind. 

 

Feelgood-Movie in Unruhen

 

Doch lässt sich das eine vom anderen bei diesem brisanten Thema trennen? Aus Branaghs Blickwinkel ist „Belfast“ ein nostalgischer Rückblick, der mit viel Verve, Humor und Leidenschaft das damalige Lebensgefühl beschreibt. Wer allerdings mehr vom Kino erwartet als ein Feelgood-Movie vor düsterem Hintergrund, der dürfte an diesem Film wenig Freude haben.