Fernanda Valadez

Was geschah mit Bus 670?

Miguel (David Illescas) und Magdalena (Mercedes Hernández). Fotoquelle: MFA+ FilmDistribution
(Kinostart: 10.2.) Über den „Krieg gegen Drogen“ an der US-mexikanischen Grenze wimmelt es von Kinoklischees. Regisseurin Fernanda Valadez zeigt ihn faszinierend neu: so wuchtig wie „Apocalypse Now“, aber mit den reduzierten Stilmitteln des Autorenfilms. Ein kleines Meisterwerk.

In einem Dorf in Mexiko verabschieden sich zwei Teenager von ihren Eltern. Sie wollen nach Norden in die USA, wo ihnen ein Job winkt. Doch sie erreichen nicht einmal die Grenze. Nach wenigen Wochen gelten sie als vermisst; kurze Zeit später wird die Leiche eines der Jungen in einem Sammelgrab gefunden. Von seinem Freund Jesús taucht nur die Tasche auf, von ihm selbst fehlt jede Spur. Also macht sich seine Mutter Magdalena auf die Reise in den Norden, um ihn zu finden. Es wird zu einer Reise ins Herz der Finsternis.

 

Info

 

Was geschah mit Bus 670? 

 

Regie: Fernanda Valadez,

99 Min., Mexiko/ Spanien 2020;

mit: Mercedes Hernández, David Illescas, Juan Jesús Varela

 

Weitere Informationen zum Film

 

„Was geschah mit Bus 670?“ beginnt langsam, mit sorgsam gefilmten Bildern und Gesten. Der Film übt sich zunächst in Andeutungen, Unschärfen und vor allem im Weglassen. Dafür steht der emblematische Schnitt in einen Augapfel, den Regisseurin Fernanda Valadez bewusst an den Anfang des Films stellt. Damit zitiert sie nicht nur die berühmte Szene aus dem surrealistischen Kinoklassiker „Ein andalusischer Hund“ (1929) von Luis Buñuel – der viele seiner Filme in Mexiko drehte. Sie thematisiert auch das Verhältnis von Kamerablick, Horror und Voyeurismus.

 

Andeutungen genügen

 

Nach diesem Angriff aufs Sinnesorgan muss man die Polizeifotos toter Jugendlicher nicht sehen, um zu wissen, was auf ihnen zu sehen ist – zumal in Mexiko drastische Tatort-Fotos regelmäßig in die Presse gelangen. Man braucht auch keine zusätzlichen Informationen, wenn sich ein SUV von hinten nähert: Es genügen die aus dem Fenster dringende Musik und der Moment, wenn er auf gleicher Höhe das Tempo drosselt für einen abschätzigen Blick der Insassen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Narcos als das absolut Böse

 

Die Drogendealer im Auto, so genannte Narcos, sind nie richtig zu sehen. Doch geschult durch zahllose mediale Darstellungen von ihnen weiß der Zuschauer, wer sie sind und wofür sie stehen. Sie verkörpern in dieser Gegend die Macht – und in der schlichten, aber plausiblen Logik des Films das Böse. Ihm nähert sich Magdalena auf ihrer Reise unaufhaltsam, bis zum infernalischen Finale.

 

Unterwegs erfährt sie immer wieder Unterstützung und Solidarität von anderen Betroffenen oder Leuten, die einfach helfen wollen. Etwas Optimismus erlaubt auch ihre Begegnung mit einem Jugendlichen, der aus den USA zurückgekehrt ist. Doch jede Hoffnung wird im Keim erstickt; von jener Macht, der der ganze Zorn des Filmes gilt: den Narcos. Sie wurde bereits in unzähligen Filmen und Fernsehserien porträtiert, die jedes Detail des dekadenten Lebensstils ihrer Anführer ausbreiten. Für die Angehörigen der Opfer muss dies eine andauernde Demütigung sein.

 

Drogenmafia aus Sicht von Frauen

 

Dabei bleiben die zahlreichen Toten selbst dann ohne Namen, wenn sich ihr Schicksal aufklärt. Ihre Geschichte zu erzählen, ist das Anliegen dieses Films. Sein Ansatz ähnelt dem der mexikanischen TV-Serie „Somos“, die eine Episode des US-amerikanischen „War on Drugs“ aus der Sicht der zivilen Opfer schildert. Bei beiden spielt wohl nicht zufällig auch Mercédes Hernandez mit, hier als Hauptdarstellerin in der Rolle der Magdalena.

 

Beide Projekte unterscheiden sich von handelsüblichen: Sie werden, wie Stab- und Besetzungsliste zeigen, vor allem von Frauen getragen. Um die Welt der Narcos gleichsam von hinten abzubilden, verwendet Regisseurin Fernanda Valadez eine Bildsprache, die alles, was an diesem Thema sonst so fasziniert, bewusst ausspart.

 

Stille Variante von Coppolas Epos

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Apocalypse Now - Final Cut" zur Wiederaufführung des besten Kriegsfilms aller Zeiten von Francis Ford Coppola

 

und hier eine Besprechung des Films "Sicario" - vielschichtiger Drogenmafia-Thriller an der US-mexikanischen Grenze von Dennis Villeneuve

 

und hier einen Beitrag über den Film "Miss Bala" von Gerando Naranjo über den Drogenkrieg in Mexiko

 

und hier einen Beitrag über den Film "Heli" – eindringliches Drogenkriegs-Drama aus Mexiko von Amat Escalante; prämiert für beste Regie in Cannes 2013.

 

Was ihr recht spektakulär gelingt: Erinnert der Film mit abgetönten Farben und dem schummerigen Licht zunächst an skandinavische Krimis, erweitert sich der Blickwinkel zusammen mit der behutsam eingesetzten Musik von Clarice Jensen allmählich zu grandiosen Landschaftaufnahmen und einem geradezu metaphysischem Spiel von Licht und Dunkelheit.

 

Dieser souveräne Einsatz seiner zweifellos begrenzten Stilmittel lässt „Bus 670“ zu einem Stationendrama im Kriegsgebiet werden, das mit den besten des Genres mithalten kann. Quasi als stille Variante von „Apocalypse Now“ für die Gegenwart; aber eben nicht produziert mit den Budgets einer militärischen Großmacht, sondern denen des Autorenkinos aus einem Schwellenland.

 

Besser, der Sohn wäre tot

 

Dabei erreicht der Film dieselbe überwältigend eindringliche Wirkung wie Francis Ford Coppolas Adaption von Joseph Conrads Erzählung  „Herz der Finsternis“. Regisseurin Valadez kommt auch zum gleichen Urteil über die dünne Firnis der Zivilisation: Es genügt ein Augenblick, um sie zerbrechen zu lassen und dabei verloren zu gehen. Am Ende der Reise wird Magdalena sich wünschen, ihr Sohn wäre tot.