Michaela DePrince

Coppelia

Franz (Daniel Camargo) und Swan (Michaela DePrince) tanzen zusammen. Foto: © SquareOne Entertainment
(Kinostart: 3.3.) E.T.A. Hofmann trifft Mark Zuckerberg: Das Ballett um die Liebeskonkurrenz von Dorfmädchen und mechanischer Puppe zählt seit 1870 zum Standard-Repertoire. Diese Filmversion modernisiert es mit Digital-Brimborium, spielt aber der Original-Musik übel mit.

Das Ballett „Coppelia“ zur Musik des französischen Komponisten Léo Delibes zählt seiner Uraufführung 1870 zum Standardrepertoire der großen Häuser. Inszenierungen des Bolschoi Theaters, der Pariser Oper und des Royal Ballet sind live oder aufgezeichnet immer wieder im Kino zu sehen. Diese Ko-Produktion mit dem „Dutch National Ballet“ will jedoch mehr sein als eine gefilmte Bühnenshow, sie ist konzipiert als abendfüllender Tanzfilm.

 

Info

 

Coppelia

 

Regie: Steven de Beul, Ben Tesseur + Jeff Tudor,

82 Min., Niederlande/ Deutschland/ Belgien 2021;

mit: Michaela DePrince, Daniel Camargo, Vito Mazzeo

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dafür haben die Regisseure Steven de Beul, Ben Tesseur und Jeff Tudor eine sehr bunte Welt aus Comicgrafiken und Computeranimationen kreiert, durch die sich das Ensemble dank Green-Screen-Technik durchweg tanzend bewegt. Dankenswerterweise kommt der Film ohne Dialoge aus. Mehr als zwanzig Minuten dauert dagegen die Vorstellung der Charaktere und des Schauplatzes – einer kitschig überformten, vage französischen Kleinstadt; das wirkt anfangs wie ein überlanger Werbefilm.

 

Saftverkäuferin + Fahrradmonteur

 

Die Handlung folgt der jungen Swan, die auf dem Marktplatz Orangensaft verkauft; ihr Herz schlägt für den Fahrradmonteur Franz im orangefarbenen T-Shirt. Dann sind da noch die  Mutter von Swan, ihr Freundeskreis sowie Dorf-Archetypen wie der Friseur, die Bürgermeisterin und der Bäcker. Offenbar richtet sich der Film vorwiegend an ein jugendliches, wenn nicht kindliches Publikum.

Offizieller Filmtrailer


 

Gehirnwäsche wie durch Instagram

 

Das wird besonders deutlich, sobald die Handlung Fahrt aufnimmt: Der Geschäftsmann Coppelius erscheint, mit allen Insignien des urbanen Bösewichts. Binnen kurzem errichtet er auf dem Dorfplatz ein scheußliches modernes Bauwerk und lockt die Anwohner mit einer Art Programm zur Selbstoptimierung. Sein Lockvogel ist die – als einzige computeranimierte – Titelfigur: Coppelia ist das in jeder Hinsicht perfekte Gegenstück zu Swan.

 

Erstaunt beobachten Swan und ihre Clique, wie die anderen im Dorf dieser Masche auf den Leim gehen. Nachdem ihre Daten gescannt wurden, bekommen sie eine maßgeschneiderte Gehirnwäsche, woraufhin sie im Spiegel alle besser und jünger aussehen als in Wirklichkeit. Offensichtlich steht diese Metapher für den Druck, den soziale Medien wie etwa Instagram auf ihre Nutzer ausüben.

 

E.T.A. Hofmann meets Mark Zuckerberg

 

Als auch Fahrradmonteur Franz dem Zauber von Coppelia verfällt, begibt sich Swan in die Höhle des Löwen, um ihn zu retten. Dabei findet sie Coppelius’ Ziel heraus: den Menschen heimlich Eigenschaften abzuzapfen, die es in dieser seltsam alchemistisch-digitalen Fantasy-Welt ermöglichen, seine Kreation Coppelia menschlicher zu machen. Das klingt zwar paradox – aber auch nach dem Lebenstraum von Mark Zuckerberg.

 

Diese Geschichte ist schon viele Male erzählt worden, und stets etwas anders: Bereits Delibes’ „Coppelia“ basiert auf der Schauergeschichte „Der Sandmann“. Darin beschreibt Autor E.T.A. Hofmann eine scheinbar lebendige Automatenfrau, die den Helden in den Wahnsinn und dann in den Tod treibt. Ihr Schöpfer, der Sandmann, ist ein manipulatives Genie: ein Vorläufer der Doktoren Mabuse, Caligari und Frankenstein.

 

Tanz-Szenen beeindrucken kaum

 

Dagegen stellt die Ballett-Fassung eine eher unschuldige Lesart des Stoffes dar, passenderweise samt Happy End. All das wird vom Film übernommen und mit mehr oder weniger neuen Ideen wie Umkehrung der Geschlechterrollen und Gefahren des Internet angereichert. Dabei nehmen die Macher billigend in Kauf, dass die Plausibilität den Stereotypen bei Figuren und Handlung zum Opfer fällt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Soul" - mitreißender Animationsfilm über Jazz-Musiker von Pete Docter

 

und hier eine Besprechung des Films "Mary Poppins‘ Rückkehr" - gelungene Fortsetzung des legendären Disney-Musicals von 1964 durch Rob Marshall mit Emily Blunt

 

und hier ein Beitrag über den Film "Greatest Showman" - brillantes Kino-Musical mit Hugh Jackman von Michael Gracey

 

 

Auch die Verbindung gefilmter und animierter Tanz-Szenen, die Disney 1964 im legendären Kinomusical „Mary Poppins“ erfand, überzeugt nicht; sie erreicht kaum das Niveau kindgerechter TV-Animationsfilme. Da das Ensemble in einem virtuellen Raum mit verzerrter Perspektive, simulierter Tiefe, ohne Boden und ohne echte Schwerkraft agiert, wirken die getanzten Figuren auch längst nicht so beeindruckend wie auf herkömmlichen Bühnen.

 

Von James Bond bis Techno

 

Übel mitgespielt wurde der Musik. Man traute Delibes’ Partitur scheinbar nicht zu, den Spagat zwischen idealisierter Pastorale und Coppelius’ High-Tech-Festung zu untermalen. Oder auch nur: die Zielgruppe wach zu halten. So dröhnen auf der Tonspur diverse Filmmusik-Klischees von „James Bond“-Soundtrack bis Techno, in der die Original-Musik nur eine Referenz unter vielen bleibt.

 

Da hilft es auch nicht, dass im Ensemble Ballettstars mehrerer Generationen wie Darcey Bussell und Irek Muchamedov mitwirken. Michaela DePrince, Ex-Solistin des „Dutch National Ballet“ schultert immerhin mühelos die Rolle der patenten Sympathieträgerin Swan. Damit verkörpert sie zugleich die unoriginelle Botschaft eines Tanzfilms, der noch am ehesten Kindern etwas zu sagen hat: Sei du selbst!