
Das Wichtigste zuerst: Auf allen Plakaten, Flyern und Broschüren zur Ausstellung prangen direkt unter dem Titel die Worte: „kuratiert von Nana Oforiatta Ayim“. Man muss eben Prioritäten setzen. Dass die Kuratorin mit derart robustem Selbst- und Sendungsbewusstsein gesegnet ist, hat einen guten Grund: Sie ist die Enkelin eines ghanaischen Regionalkönigs. Mehr noch: Ihr Großonkel war Joseph B. Danquah, wichtigster Gegenspieler von Ghanas erstem Präsidenten Kwame Nkrumah. Nach ihm wurde einer der größten Plätze in der Hauptstadt Accra benannt.
Info
EFIE: The Museum as Home –
Kunst aus Ghana
10.12.2021 - 06.03.2022
täglich außer montags
11 bis 18 Uhr,
donnerstags + freitags bis 20 Uhr
im Dortmunder U - Zentrum für Kunst und Kreativität, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund
Gotteskind-Autobiographie
Wie Oforiatta Ayim: Sie wurde in Deutschland als Kind einer Königstochter und eines Arztes geboren und wuchs in Duisburg auf. Mit ihrer Mutter ging sie nach Großbritannien, lebte in verschiedenen Ländern, arbeitete kurz für die UNO und studierte Kunstgeschichte in London. Über ihren Werdegang schrieb sie den autobiographischen Roman „The God Child“ (2019, deutsch: „Wir Gotteskinder“).
Impressionen der Ausstellung
Kurz-Informationen nur im Faltblatt
Zudem gründete sie in Accra das „ANO Institute of Arts and Knowledge“, kuratierte mehrere Ausstellungen in afrikanischen Städten und 2019 den ersten Pavillon von Ghana bei der Biennale in Venedig. Doch ihr schwebt Größeres vor: Sie will eine 54-bändige Enzyklopädie edieren, in der die Kulturgeschichte jedes afrikanischen Landes gewürdigt wird. Angesichts dieses Vorhabens darf die Ausstellung im Dortmunder U als Nebenprojekt gelten.
Gezeigt werden Arbeiten von neun zeitgenössischen Künstlern: sechs Ghanaer, ein Duo und ein Brasilianer. Doch in der Schau selbst fehlen Informationen über sie. Namen und Werktitel erfährt man nur aus einem am Eingang erhältlichen Faltblatt. Bekanntester Teilnehmer ist der 77-jährige El Anatsui; seine schillernden Wandbehänge aus Kronenkorken und Flaschen-Manschetten wurden bereits in vielen Museen weltweit gezeigt. Hier soll sein Beitrag offenbar als Zugpferd dienen. Alle übrigen Künstler kamen in den 1980/90er Jahren zur Welt.
PC färbt Adam + Eva dunkelbraun
Manche Arbeiten werden von seilbespannten Polyedern aus Bambus oder Metallleisten eingehüllt; diese so genannten „Fufuzela“ nutzt Oforiatta Ayim für temporäre Präsentationen ihres ANO-Instituts. Wie dieses „mobile Museum“ funktioniert, zeigt ein Dokumentarfilm im Wechsel mit herkömmlichen Riten, etwa Prozessionen durch die Straßen von Accra. Gegenüber kommt Schattenseiten der ghanaischen Gesellschaft zur Sprache: Kuukua Eshun lässt Frauen vor laufender Videokamera berichten, wie sie vergewaltigt wurden.
Einige Beiträge beziehen sich auf Ghanas Kulturerbe. Ganz direkt Kwasi Darko mit „In My Father’s House“: Auf Tapeziertischen hat er Alltags- und Porträtfotos ausgebreitet. Darüber färbt der Computer zu Klavierklängen eine nachgestellte Adam-und-Eva-Szene in schwarzweißer Savannenlandschaft langsam ein – die ersten Menschen haben dunkelbraune Haut.
Regimentfahnen + Schirm-Sprüche
Vielschichtiger sind die Bezüge, derer sich Na Chainkua Reindorf bedient. Im Stil von Regimentfahnen der Fante, einem kriegerischen Volk in Zentral-Ghana, stickt sie Wandbilder, die mächtige Frauengestalten aus der Mythologie darstellen – daneben hängen Gebilde aus Glasperlen an Nylonfäden. Beides ist für Nicht-Initiierte kaum zu entschlüsseln; ebenso wenig die Sinnsprüche-Inschriften der Prunkschirme, die Rita Mawuena Benissan angefertigt hat. Sie werden üblicherweise bei Zeremonien zum Schutz der Würdenträger verwendet.
Solche handwerklich aufwändigen Werke deuten einen komplexen kulturellen Kontext an, dem sie entspringen – doch darüber erfährt man fast nichts. Der Ausstellungsplan beschränkt sich auf wenige dürftige Zeilen pro Künstler. Offenkundig geht es der Kuratorin kaum darum, Ghanas Gegenwartskunst in seiner ganzen Vielfalt vorzustellen. Aber worum sonst?
Neue Runde in Restitutions-Debatte
Die Antwort auf diese Frage findet sich im zweiten Teil der Schau. Als Leihgaben deutscher Museen werden dort ethnologische Objekte ausgebreitet: eine Trommel, fantasievoll geformte Goldgewichte aus Bronze und Amulette aus organischen Materialien. Dazu bietet eine Gratis-Broschüre einen Abriss der Kolonialverbrechen ab 1838: welche europäischen Invasoren wann welches ghanaische Gebiet eroberten, seine Hauptstadt plünderten und zerstörten – und wie sich Ghana seit den 1970er Jahren bemüht, Geraubtes zurückzuerhalten.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "El Anatsui – Triumphant Scale" – faszinierend schillernde Wandbehänge aus Recycling-Material aus Ghana im Haus der Kunst, München
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Megalopolis – Stimmen aus Kinshasa" – faszinierende Überblicksschau über Recycling-Künstler aus dem Kongo im Grassi-Museum, Leipzig
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afro-Tech and the Future of Re-Invention" – ambivalenter Überblick über Afrofuturismus im Hartware Medienkunstverein (HMKV), Dortmund
und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Deadly And Brutal" - handgemalte Filmplakate aus Ghana in der Pinakothek der Moderne, München.
Nationalmuseums-Neubau wurde nie fertig
Weil ihnen die geistigen Voraussetzungen fehlen? Diesen Verdacht legt eine Aussage von Nana Oforiatta Ayim in einem Interview mit dem ARD-Magazin „titel, thesen, temperamente“ von Juni 2021 nahe. In der Frage westlicher Akteure, ob afrikanische Objekte nach ihrer Rückgabe angemessen gepflegt würden, stecke „beleidigender Rassismus“, so die Kuratorin: Er zeige, dass „die geistige Haltung der Kolonialherren, die glauben, die Zivilisation zu bringen, immer noch vorherrschend ist“.
Zu fragen, ob Verhandlungspartner kompetent sind, ist ihr zufolge also schon rassistisch. Vor diesem Vorwurf bewahrt nur die Erfüllung all ihrer Wünsche en bloc und frei Haus. Immerhin verfügt Ghana über ein Nationalmuseum in Accra, das internationalen Standards annähernd genügt. Allerdings ist es viel zu klein und dürftig ausgestattet; ein größerer Neubau wurde 1974 begonnen, aber nie fertig gestellt.
Wie Hohenzollern-Forderungen
Doch die Raubkunst-Diskussion dreht sich ohnehin nicht um Kunst, sondern um politisches Prestige; mit ihrer Position beweist Nana Oforiatta Ayim wahrhaft Sinn für Souveränität. In bester blaublütiger Gesellschaft: Ähnlich argumentieren Vertreter des Hauses Hohenzollern, die seit 2014 vom deutschen Staat Entschädigung für ihre enteigneten Besitztümer fordern.